Fossile Geldmaschine: Saudi-Arabien greift nach der Welt
Muhammad bin Salman, der saudische Kronprinz, nutzt seinen Staatsfonds dazu, mit Investitionen rund um den Globus an Einfluss zu gewinnen. An den Milliarden aus Saudi-Arabien kommt fast kein Land mehr vorbei.
Es ist nur ein weiteres kleines Puzzleteil eines grossen Plans: Diese Woche kündigte der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman an, dass sein Land ab 2024 die «E-Sports-Weltmeisterschaft» austragen werde. Mit der seit 2017 bestehenden Saudi Esports Federation will das Land bis 2030 zum Mittelpunkt der weltweiten E-Sport-Industrie werden. So fanden vergangenes Jahr in Riad schon die «Riyadh Masters» statt, bei denen es für die E-Sportler:innen rund fünfzehn Millionen US-Dollar zu gewinnen gab. Welche Preisgelder bei der Weltmeisterschaft angeboten werden, ist noch nicht bekannt. Es dürften sehr hohe Summen sein. Die saudi-arabische Savvy Games Group, die sich im Besitz des Staatsfonds Public Investment Fund (PIF) befindet, erklärte, dass sie rund 38 Milliarden US-Dollar investieren werde, um Saudi-Arabien zu einem Zentrum für «global gaming» zu machen.
In Saudi-Arabien gibt es kaum einen wichtigen Bereich, in dem der PIF nicht vertreten ist. Beim Ölkonzern Aramco, der zu neunzig Prozent dem Staat gehört, verdoppelte der Fonds im April seinen Aktienanteil auf acht Prozent. Bei der Saudi Telecom (STC) verfügt der PIF über eine Mehrheitsbeteiligung von 64 Prozent. In seinem Jahresbericht wies der Fonds im vergangenen Juli ein verwaltetes Vermögen von 776 Milliarden US-Dollar aus. Das entspricht einer Steigerung um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. 25 Unternehmen hat der PIF im selben Zeitraum neu gegründet oder übernommen.
Ausweitung der Allianzen
Mit dem PIF-Tochterunternehmen Saudi Arabian Military Industries etwa wird der Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie vorangetrieben. Die Investitionen des PIF reichen aber von E-Fahrzeugen bis zu Gamingportalen und Konzertveranstaltern – weltweit. Bis 2030 soll der PIF mit Finanzeinlagen von insgesamt zwei Billionen US-Dollar zum grössten Fonds der Welt werden. «Dadurch, dass Saudi-Arabien so riesige Öleinnahmen hat, kann dieses Ziel erreicht werden», sagt der Islamwissenschaftler Toby Matthiesen. «Wenn es heute grosse Firmenkrisen gibt, geht man mittlerweile im Golf schauen, ob jemand Geld einschiessen kann. Dadurch gibt es kaum mehr Sektoren in grossen Wirtschaftsnationen, die nicht irgendwie mit dem Golf verbandelt sind.»
Im September wurde bekannt, dass STC für 2,1 Milliarden Euro 9,9 Prozent der Aktien der spanischen Telefonica erworben hat. Damit zieht STC an der bisher grössten Aktionärin, der spanischen Bank BBVA, vorbei. Der milliardenschwere Einstieg der Saudis rief die spanische Regierung auf den Plan: Spanien müsse sicherstellen, dass die Entscheidungen eines Unternehmens, das mit sensiblen Daten umgehe, weiterhin im Land getroffen würden, schrieb die Arbeitsministerin Yolanda Díaz auf dem Kurznachrichtendienst X.
PIF hält auch grosse Anteile an Facebook, Disney, dem Flugzeughersteller Boeing oder der Bank of America. Zugleich will Saudi-Arabien den Bergbau-, Logistik- und Energiesektor ausbauen, Letzteren etwa durch Milliardeninvestitionen in Erdgas. Trotzdem machen die Investitionen im Ausland mit 23 Prozent weiterhin nur einen kleinen Teil des Portfolios aus. «Im Westen waren es immer nur kleine Gruppen von Eliten, die mit den Saudis zu tun hatten», sagt Matthiesen. Die Geschäfte seien stark auf die Waffen- und Finanzindustrie sowie auf Luxusgüter beschränkt gewesen. Jetzt wolle Saudi-Arabien zu einem wichtigen Player in neuen Wirtschaftsfeldern werden und so «neue Allianzen und Abhängigkeiten schaffen».
Um das eigene Image aufzupolieren, verfolgt das Land besonders im Sportbereich eine aggressive Strategie. Vier Fussballklubs, die zu 75 Prozent dem Staatsfonds gehören, kaufen Weltstars wie Cristiano Ronaldo und Karim Benzema, die seit kurzem in der Liga des Wüstenstaats spielen. Ronaldo soll Hunderte Millionen Euro pro Jahr erhalten. Anfang Oktober kündigte Saudi-Arabien zudem an, sich für die Fussball-WM 2034 zu bewerben. Das Land hat sich schon die Austragung der Fifa-Club-WM 2023 und der Asienmeisterschaft 2027 gesichert. Es gibt neben einem Formel-1-Rennen auch eine eigene Golfserie, und 2029 sollen sogar die Asienwinterspiele in Saudi-Arabien stattfinden. Mit all diesen Anlässen soll auch endlich Katar abgehängt werden, das in den letzten Jahren grosse Erfolge im internationalen Sportgeschäft erzielen konnte.
Scheinheile Welten
Der 1971 gegründete Staatsfonds PIF war lange Zeit eines von mehreren Investmentinstrumenten der saudischen Machthaber. Die Wende kam 2015. Damals verstarb König Abdullah, und sein Halbbruder Salman ibn Abd al-Aziz wurde zum König ernannt. Dieser ernannte seinen Sohn Muhammad bin Salman zum Verteidigungsminister. Zwar ist der König Staatschef – doch der Sohn wurde 2017 zum Kronprinzen ernannt und hat faktisch die Führung des Landes übernommen. Ab da bekam Muhammad bin Salman, kurz MBS genannt, per Dekret die Kontrolle über den Fonds, der bis dahin dem Finanzministerium unterstellt gewesen war.
Kenner:innen bezeichnen den Fonds deswegen als «one man investment vehicle». «MBS ist der Architekt jeglicher Investitionen, er gibt die Richtlinien vor», sagt der Nahostexperte Sebastian Sons, dessen Buch «Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss» vor kurzem veröffentlicht wurde. Der PIF, so Sons, diene «als Aushängeschild für eine saudische nationalistische Wirtschaftspolitik». Dabei gehe es darum, der eigenen Bevölkerung zu demonstrieren, dass Saudi-Arabien nicht nur in der Lage sei, viel Geld in die Hand zu nehmen, sondern auch in die richtigen Sektoren zu investieren, um etwa Projekte im Land voranzutreiben.
In einer Studie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik wird gewarnt: «Wirtschaftskooperationen mit dem Königreich unter Einbeziehung des PIF oder von ihm kontrollierter Unternehmen haben eine machtpolitische Dimension, die nicht ignoriert werden darf.» Denn durch den Staatsfonds erhalte der Kronprinz direkten Zugriff auf erhebliche finanzielle Ressourcen des Staates. Dadurch könne er herrschaftsstrategisch wichtige Gruppen an sich binden. Die Macht solcher «Golffonds» sei immens, sagt Islamwissenschaftler Matthiesen, weil wir weiterhin fossile Brennstoffe verwendeten und diese den Golfstaaten abkauften. Die Finanzkraft des PIF sei «derart gross, dass sich am Schluss viele nicht gegen diesen wehren werden».
Gleichzeitig bemüht sich Saudi-Arabien um eine attraktive Aussenwirkung: Frauen und Männer dürfen heute gemeinsam ins Kino, es gibt mehr Visa für Tourist:innen, Kleidervorschriften wurden gelockert. All das gehört zur 2017 vorgestellten «Vision 2030», die vom Beratungsunternehmen McKinsey und der Boston Consulting Group entworfen wurde. Mit diesem Reformprogramm will das Land seine Wirtschaft umbauen und unabhängiger werden vom Öl, das einen Grossteil der Staatseinnahmen ausmacht. Mit der «Vision 2030» wurden auch die Ziele des Fonds neu definiert. Er tritt seither nicht mehr nur als Kreditgeber, sondern auch als aktiver Investor auf. Er präsentiert sich dafür auf einer Website mit aufwendigen Videos. Zu sehen sind Frauen im Büro, lachende Kinder, Businessmänner, grüne Landschaften – und auch das Logo des Staatsfonds: eine Palme über zwei gekreuzten Schwertern. Wer sich durch die Site klickt, bekommt das Bild einer gleichberechtigten Gesellschaft vermittelt – die Herrscher präsentieren sich wie freundliche Lichtgestalten. Dass die königlichen Hoheiten ihnen unangenehme Personen inhaftieren oder gar ermorden lassen, davon ist hier nicht die Rede.
Realität ist aber, dass die Unterdrückung kritischer Stimmen sich noch einmal verschärft. Bis zu 45 Jahre Haft verhängten saudische Gerichte für regierungskritische Äusserungen auf dem Netzwerk X. Zuletzt traf es die Fitnesslehrerin Manahil al-Otaibi, die sich für ein Ende des Systems männlicher Vormundschaft ausgesprochen hatte. Rechtlich muss eine Frau in Saudi-Arabien ihrem Ehemann immer noch «Gehorsam» leisten und darf Sex nur aus «legitimen Gründen» verweigern.
Mord fast ohne Folgen
Und die internationale Gemeinschaft? Hat offenbar kein Interesse, sich um Menschenrechtsverletzungen zu kümmern. Moral hat ihren Preis – und die Saudis kennen diesen. Besonders deutlich wurde das im Fall Jamal Khashoggi. Der saudische Dissident betrat im Oktober 2018 das saudische Konsulat in Istanbul – und wurde nie wieder lebend gesehen. Sein Körper wurde noch vor Ort zerstückelt und anscheinend verbrannt. US-Geheimdienste beschuldigen Muhammad bin Salman, für die Tötung durch ein Mordkommando verantwortlich zu sein. Vorübergehend führte das zu einer internationalen Isolierung des Thronfolgers. Dieser wiederum sagte 2019 in einem Interview, er habe nichts von den Mordplänen gewusst – er übernehme aber dennoch die volle Verantwortung, weil das Verbrechen von Mitgliedern der saudischen Regierung verübt worden sei. Das Interview fand vier Wochen vor der «Future Investment Initiative» statt – einer internationalen Investorenkonferenz in Riad.
Die Uno-Berichterstatterin Agnès Callamard hat in einem Untersuchungsbericht deutlich gemacht, dass sie den Prozess, in dem in Riad fünf Saudis zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, für eine Farce hält. Sie empfahl persönliche Sanktionen gegen Salman, doch der Prinz blieb verschont. Auch die US-Justiz schützte den Prinzen vor einer Anklage, nachdem Khashoggis Freundin vor einem US-Gericht Klage gegen ihn und andere Personen eingereicht hatte, denen sie eine Beteiligung an der Tötung ihres Partners vorwirft.
Vergangenes Jahr wies ein US-Gericht die Klage ab und folgte damit einer Empfehlung der Regierung von Präsident Joe Biden, Salman in dem Verfahren Immunität zu gewähren. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Biden noch gefordert, die Regierung in Riad für den Mord zu belangen. Angesichts der Energiekrise aufgrund des russischen Krieges gegen die Ukraine änderte er seinen Kurs. Auch die türkische Staatsanwaltschaft stellte einen Prozess ein, die Akten wurden der Golfmonarchie überstellt. Zur selben Zeit vereinbarten Saudi-Arabien und die Türkei neue Kooperationen auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene.
Doch ganz gefeit vor Fehlinvestitionen ist auch die saudische Geldmaschinerie nicht. Mit ihrem Kauf von Aktien der angeschlagenen Credit Suisse verschwendete die saudische Nationalbank rund 1,5 Milliarden US-Dollar.