Von oben herab: Vom Kriege
Stefan Gärtner über Gewalt an der Scholle
Am Wochenende auf einem Geburtstagsfest mal wieder meinen ältesten Freund M. getroffen, mit dem ich schon im Sandkasten gesessen habe, und weils irgendwann um Politik ging und M., Vater einer schwerstbehinderten Tochter, aus leidvoller Erfahrung weiss, was es mit deutscher Zweiklassenmedizin auf sich hat, habe ich mich auf der Heimfahrt gefragt, was er wohl wählt. Dazu muss man wissen, dass M. ein Bauernkind ist und ich in jungen Jahren viel Zeit auf dem Hof seiner Eltern verbracht habe, zwischen Kuhstall und Treckerscheune, und ich bilde mir ein, dass ich darum so eisern allergiefrei bin.
Je traditioneller Landwirtschaft ist, desto verkehrter ist sie auch.
Früher durfte man pauschal sagen: Bauern wählen konservativ. Das hat sich mit der ökologischen Landwirtschaft geändert, doch als es die noch so wenig gab wie grüne Parteien, wählten Landwirtinnen wie selbstverständlich nicht sozialdemokratisch. Soziologisch mag das mit dem strukturellen Konservatismus zusammenhängen, wie er sich aus dem ewigen Zyklus von Jahreszeiten und Fruchtfolge ergibt, und was der Bauer nicht kennt, weiss das Sprichwort, frisst er ohnehin nicht. Es hat aber auch damit zu tun, dass die deutsche Christdemokratie sich um diese (früher auch sehr fromme) Klientel immer besonders bemüht hat, gerade in den Zeiten vor Merkel, als die CDU ihre Wahlen auf dem Land gewann; die Subventionskatastrophik heutiger Landwirtschaft ist das Werk einer starken, in Deutschland stets unionsnahen Agrarlobby. Landwirtschaft, das ist der Grund und Boden selbst, und so rechts können Linke gar nicht werden, um als Linke nicht den Urreflex bäuerlichen Selbstverständnisses zu kitzeln: War meins, ist meins, bleibt meins. Und jetzt runter von meinem Hof!
In der Schweiz hat sich nun der Bauernverband, ein Jahr vor den Parlamentswahlen, offen auf die Seite der Wirtschaft geschlagen. Unter der Parole «Perspektiven statt Wunschdenken» agitiert der SBV gemeinsam mit Arbeitgeberverband, Gewerbeverband und Economiesuisse für eine Abkehr vom vermeintlichen «Linksrutsch in der Schweizer Politik», wider «Stillstand» und also dafür, dass «die Stimme der Wirtschaft […] im politischen Diskurs wieder mehr Gewicht» bekomme, so etwa der Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi.
«Das hat es noch nie gegeben», staunt da die landwirtschaftliche Fachzeitschrift «Die Grüne», als habe der Schweizer Nährstand bislang als Bastion des Kommunismus gelten müssen. Neu dürfte allenfalls sein, wie unverhohlen und früh sich die Lobby äussert, ein Zeichen allerdings bloss dafür, dass die Nähe von Konservatismus und Landwirtschaft keine reine Selbstverständlichkeit mehr ist und dass, wer ökologischen Landbau betreibt, auch sonst gern vieles anders hätte und vielleicht findet, dass die Gewalt, die man der Natur antut, die Urform aller Gewalt ist. Konservativ aber ist, das Gewaltverhältnis so wenig infrage zu stellen wie die Fruchtfolge und die Jahreszeiten. Dass diese Art des Denkens mittlerweile die Jahreszeiten infrage stellt, stört dieses Denken naturgemäss nicht.
Wenn die Gegenseite dann Perspektiven statt Wunschdenken fordert, ist das bloss Projektion, denn Wunschdenken ist es ja seinerseits, dass das Wohlergehen der Wirtschaft das Wohlergehen aller bedeute, und dass «mehr Wirtschaft wagen» (die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, der deutsche Arbeitgeberverband Gesamtmetall u. v. a.) tatsächlich eine Perspektive sei, glaubt man oder glaubt man nicht. Ich glaube es nicht. Traditionelle Landwirtschaft ist vielleicht kein Auslaufmodell, aber je traditioneller sie ist, desto verkehrter ist sie auch. Das hat sie mit dem Kapitalismus gemein, und wenn Landwirtschaftslobby und Wirtschaftsverbände zusammen in die Schlacht ziehen, dann darum, weil es ja ihr Krieg ist. Gottlob ist es nicht mehr der von Altfreund M. Der hat seine Felder nämlich längst schon verpachtet.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.