Wirtschaftspolitik: Und eine Wildsau an der Wand

Nr. 2 –

In einem Fonduechalet hat die neue Allianz von Bauernverband und Wirtschaftsverbänden das Wahljahr eingeläutet. Eine Zumutung.

Bauernverbandspräsident Markus Ritter an der «Perspektive Schweiz»-Medienkonferenz am Dreikönigstag
Verkündung im Käsedunst: Bauernverbandspräsident Markus Ritter an der «Perspektive Schweiz»-Medienkonferenz am Dreikönigstag. Foto: Dominic Brügge, SGV

Man tritt ein und wird vom Käsegeruch fast erschlagen. Und das ist gewollt. Nichts ist zufällig an dieser Pressekonferenz am Dreikönigstag im Fonduechalet neben der Eisbahn auf dem Bundesplatz. Stickige Wärme, Tierfelle, Holzski und ein Wildsaukopf an der Wand.

Zur Pressekonferenz eingeladen hat «Perspektive Schweiz», die im Herbst 2022 offiziell ausgerufene Allianz von zwei Lobbys, die sich lange eher misstrauisch gegenüberstanden: dem Bauernverband (SBV) auf der einen, Economiesuisse, Gewerbeverband und Arbeitgeberverband auf der anderen Seite. Den Lead der Kampagne hat der Bauernverband, und auch das ist gewollt. Auch optisch kommt die Schweizer Wirtschaft nun bodenständig, zuverlässig, irgendwie bäuerlich daher.

Neben den Journalist:innen sind auch die Leute geladen, die auf den Werbeplakaten der Kampagne abgelichtet sind. Sie dürfen schon vor dem Zmittag Weisswein trinken und klatschen bei jedem Votum. Einige Medienleute allerdings auch.

Es geht an diesem Anlass um simple Botschaften, um Image und Atmosphäre. Intellektuell ist er eine Zumutung. «Leonie, sag uns doch ganz kurz, was man so lernt als Metallbaukonstrukteurin», sagt Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler (früher FDP, jetzt SVP), als er eine Lernende auf die Bühne bittet. Als spräche er mit einem kleinen Kind. Leonies Chefin, die Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr, steht lächelnd daneben. «Die Schweizer Wirtschaft ist grün!», ruft Bigler aus, bevor er sich verhaspelt. «Kann ich es noch sagen, ich bin so begeistert», versucht er sich zu retten und klingt dabei so enthusiastisch wie ein alter Kühlschrank.

Neoliberalen ein Gräuel

Es geht betont harmonisch weiter, Monika Rühl von Economiesuisse sagt ein paar Sätze auf Französisch, bevor Saskia Schenker vom Arbeitgeberverband Region Basel beklagt, die «böse Wirtschaft» werde gegen die «guten Arbeitnehmer» ausgespielt. «Dabei gibt es nur ein Miteinander.»

Explizit über Politik wird nicht gesprochen. Implizit aber dauernd. Wenn Rühl die Unternehmen lobt, die sich zu freiwilligen Klimazielen verpflichten, ist die Botschaft klar: Klimapolitik soll freiwillig sein, nicht auf Verbote und Vorschriften setzen. Diana Gutjahrs Votum, alle könnten alle Berufe lernen, «alles ist möglich, wenn man nur will», richtet sich gegen Quoten und Gleichstellungspolitik. Und dass der Werbeplakatsatz «Weil es bei der Energieversorgung alle Technologien braucht» ein Pro-Atomkraft-Statement ist, wissen wir spätestens seit Albert Rösti.

Die neue Allianz verbreitet zum Wahljahr eine wirkmächtige Erzählung: Die Schweiz ist eine Insel der Stabilität in einer Welt voller Kriege und Krisen, und damit das so bleibt, müsst ihr wirtschaftsfreundlich wählen. Dabei ist es gerade die Wirtschaft, wie sie insbesondere Economiesuisse vertritt, die die Ressourcen der Welt plündert, das Klima anheizt, kurz: im planetaren Massstab Instabilität verursacht.

Das Geld, das der Staat ausgebe, müsse zuerst verdient werden, sagt SBV-Präsident Markus Ritter – genau mit diesem Argument schossen die Wirtschaftsliberalen bis vor kurzem noch gegen die Bäuer:innen. Die Streitschrift «Der befreite Bauer» der «Denkfabrik» Avenir Suisse, die mit Economiesuisse eng verbunden ist, war eine einzige Attacke gegen die Landwirtschaft. Nach reiner Lehre kann die staatliche Agrarpolitik Neoliberalen nur ein Gräuel sein.

Vor zehn Jahren unterstützte Economiesuisse die Umweltverbände, um die Abschaffung der vom Bauernverband heftig verteidigten Tierbeiträge durchzubringen. Doch seit die FDP 2021 dem SBV half, die neuste Reformetappe der Agrarpolitik zu versenken, kamen sich die beiden Lager immer näher. Der SBV unterstützte im Gegenzug das Nein zur Konzernverantwortungsinitiative und das Ja zur letzten AHV-Reform.

Was sagen Linke zur neuen Allianz? Die Politik des Bauernverbands sei unsäglich, sagt der ehemalige Unia-Kopräsident Andreas Rieger, der im Auftrag der Gewerkschaft eine Studie über die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände verfasst hat. «Das Gegenteil wäre im Interesse der Bauern und Bäuerinnen gelegen, besonders eine Ablehnung des höheren Rentenalters. Denn für Bäuerinnen ist die AHV wichtiger als die zweite Säule.»

«Diese Geld-und-Gülle-Allianz ist ein kompletter Witz!», sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Der Deal sei einfach zu durchschauen: «Der Bauernverband hilft bei den Steuersenkungen für die Kapitaleigentümer, die Economiesuisse vorantreibt. Umgekehrt werden die Agrarsubventionen nicht angetastet.» Ziel von Economiesuisse sei es, vom Image wegzukommen, man vertrete nur die Elite. «Bei den Steuervorlagen stimmt die SVP-Basis konsequent mit der SP. Diese Basis will man mit der Kampagne wieder für sich gewinnen.»

Die Bauindustrie dankt

Die grüne Zürcher Nationalrätin Meret Schneider gehört zu den wenigen Linken mit Schwerpunkt Agrarpolitik. Sie erinnert sich, wie sie 2018, noch vor ihrer Wahl ins Parlament, für die Fairfood-Initiative mit dem SBV zusammenarbeitete. «Heute wäre das undenkbar.» In der jetzigen Legislatur hätten sich die SBV-nahen Parlamentarier:innen durchs Band wirtschaftsfreundlich verhalten – auch bei Themen, die der Schweizer Landwirtschaft direkt schadeten. «2021 stimmten sie fast alle der Abschaffung der Industriezölle zu, obwohl klar war, dass damit als Nächstes die Agrarzölle unter Druck kommen. Ritter enthielt sich.»

Nicht einmal ihren Vorstoss für eine Kennzeichnung von Magret, importierter Enten- und Gänsebrust, die aus ebenso tierquälerischer Haltung stammt wie die berüchtigte Stopfleber, hätten die SBV-nahen Ratsmitglieder unterzeichnet, sagt Schneider. «Jetzt gibt der Bauernverband den Wirtschaftsverbänden Rückendeckung. Aber was springt für die Landwirt:innen dabei raus? Die FDP wird nie bauernfreundlich sein.»

Politisch viel konkreter wurde der SBV an seiner Neujahrspressekonferenz am 3. Januar. Sie zielte direkt auf ein parlamentarisches Geschäft: den Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative, die das Bauen ausserhalb der Bauzonen eindämmen will und dieses Jahr in den Nationalrat kommt. Auch manche Landwirt:innen unterstützen das Anliegen – auf verbauten Flächen wächst schliesslich kein Essen mehr. Doch die Initiative gefährde die Innovation der Landwirtschaft, sagte SBV-Vertreter Beat Röösli. Der Bauernverband fordert, dass Wohnbauten, Ställe, Lagerräume und Biogasanlagen in der Landwirtschaftszone einfacher gebaut werden können. Und natürlich ist eine Aufweichung der Raumplanung auch im Interesse der Wirtschaftsverbände. Die Bauindustrie dankt.

Auf die Frage, ob der Bauernverband und die drei Wirtschaftsverbände konkrete Absprachen getroffen hätten, antworten sie in einer gemeinsamen Antwort ausweichend: «Die Verbände sind bestrebt, sich in wichtigen Dossiers gegenseitig zu unterstützen.»