Frontex-Bericht: Vom Wissen und Gewissen

Nr. 42 –

Ob der Frontex-Untersuchungsbericht der EU-Antibetrugsbehörde Olaf je offiziell hätte veröffentlicht werden sollen, ist ungewiss. Seit letzter Woche ist er aber einfach da – online bereitgestellt vom «Spiegel», dem Investigativrecherchemagazin «Lighthouse Reports» sowie von «FragDenStaat», einer Plattform zur Förderung der Informationsfreiheit. Wer also wissen will, wie Europas Grenzschutzagentur in ihrem Innern funktioniert, findet den Bericht in voller vernichtender Länge.

Am Wissenwollen scheint es aber vielerorts zu mangeln: Seit Jahren dokumentieren Aktivist:innen und Medien die von Frontex mitverantworteten Zustände an den Aussengrenzen. In aufwendigen Recherchen bezeugen sie, wie schutzsuchende Menschen etwa mittels lebensbedrohlicher Pushbacks um ihr Recht auf ein Asylverfahren gebracht werden. Olaf schliesslich hat ein Jahr lang zu Frontex-Vergehen ermittelt, Büros durchsucht, Nachrichtenchats und E-Mails gesichtet. Der Abschlussbericht vom Februar ist offiziell zwar noch immer unter Verschluss, wurde aber bereits im Sommer an Medien geleakt, die schon damals ausführlich daraus zitierten.

Seither wissen wir, dass Frontex aktiv weggeschaut hat, wenn etwa die griechische Küstenwache Menschen nachts in Schlauchbooten aufs offene Meer verschleppte. Wir wissen auch, dass Pushbacks teils von Frontex mitfinanziert wurden. Und wir wissen, dass all das systematisch vertuscht und die Arbeit der internen Grundrechtsabteilung unterwandert wurde.

Weil die Schweiz über das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit im Frontex-Verwaltungsrat Einsitz hat, muss auch der Bundesrat bereits im Frühling um den Inhalt des Berichts gewusst haben. Im Abstimmungskampf rund ums Frontex-Referendum spielten dessen Mitglieder die Menschenrechtsverstösse aber als bedauerliche Ausnahmen herunter. «Wir können hinter dieser Agentur stehen», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter mit glaubhafter Überzeugung. Auf welcher Wissensgrundlage der Bundesrat zu dieser Einschätzung kam, lässt sich jetzt auf über hundert Seiten in aller Ruhe nachlesen.