Referendum gegen die Solaroffensive: Grüter kämpft wieder

Nr. 42 –

Ein Lateinlehrer aus dem Baselbiet will die Solaroffensive stoppen, um Landschaft und Verfassung zu schützen. Es wäre nicht der erste politische Erfolg von Toni Grüter.

Toni Grüter mit seiner Frau Eve­line Marquis in Läufelfingen
«Ich verstehe einfach nicht, dass man unverbaute Landschaften zerstört, statt die Solarzellen in Siedlungsgebieten zu installieren»: Toni Grüter mit seiner Frau Eve­line Marquis in Läufelfingen.

Wer Toni Grüter antreffen will, kann es am Bahnhof von Läufelfingen versuchen. Grüter steht gerne am Perron und schaut den ankommenden Zügen zu. Er schaut, ob er die Gesichter in den Führerkabinen kennt. Dann grüsst er freudig, und oft kommt der Gruss zurück.

Denn die S9, die von Sissach über Läufelfingen durch den ersten Hauensteintunnel nach Olten führt, gäbe es ohne ihn möglicherweise nicht mehr. Der Kanton Baselland wollte die kleine Regionallinie mehrfach wegsparen. Ende der neunziger Jahre setzte sich Grüter an vorderster Front für den Erhalt der Bahnlinie ein, 2017 bestätigte dann ein Volksentscheid die Zukunft des ­«Läufelfingerli».

Nun nimmt Grüter den politischen Kampf erneut auf. Doch die Chancen stehen nicht gut. Denn Grüter ist allein. Keine Partei steht an seiner Seite, keine Organisation, noch nicht mal ein kleines Komitee. Sein Ziel: die eben vom nationalen Parlament beschlossene Solaroffensive mittels Referendum zu stoppen.

Aufgeben? Wenigstens versuchen!

Politisch vernetzt ist Grüter durchaus. Sein Sohn ist bei den Grünen, sein älterer Bruder ist der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter. Er selber fühlt sich keiner Partei besonders nahe, am ehesten noch den Grünen und der SP. Von beiden Parteien ist er enttäuscht, weil sie den Solarausbau in den Alpen unreflektiert unterstützten.

In der WOZ hatte er von der Schattenseite der Solaroffensive gelesen. Es hat ihn empört: Es könne nicht sein, dass der Natur- und Landschaftsschutz wegen luftiger Projekte geopfert werde, dass die Alpen verschandelt würden, nur damit ein paar wenige Geld verdienten – ohne dass der Nutzen überhaupt erwiesen sei. Also schrieb er einige E-Mails. An Maya Graf, grüne Ständerätin, die er gut kennt. Und an seinen Bruder, den SVP-Nationalrat. Eine Antwort kam keine. «Der schreibt doch nur zurück, wenn du ihm schmeichelst», sagt seine Frau, Eveline Marquis. Auch einige Naturschutzorganisationen schrieb er an. Feedback hat er kaum erhalten, Unterstützung schon gar nicht. Aufgeben? «Ich will es wenigstens versucht haben», sagt er.

Seine Chancen stehen nicht gut. Denn Toni Grüter ist allein.

50 000 Unterschriften braucht er dafür, Zeit hat er bis Mitte Januar. Kaum machbar, das weiss auch Toni Grüter, jedenfalls solange ihm niemand beisteht. Aber das Anliegen ist ihm zu wichtig, um es nicht zu versuchen. «Ich verstehe einfach nicht», sagt er, «dass man unverbaute Landschaften zerstört, statt die Solarzellen in Siedlungsgebieten zu installieren.»

Ändern, was stört. Jedenfalls dort, wo er Einfluss nehmen kann. In anderen Lebensbereichen ist das schwieriger. Toni Grüter ist 57 Jahre alt, er kommt aus dem luzernischen Ruswil, zog wegen seiner Frau vor gut dreissig Jahren nach Läufelfingen, in die äusserste Ecke des Baselbiets. Von Beruf ist er Theologe und Lateinlehrer, doch erhält er kaum noch Lektionen. Ein kleines Pensum hat er am Gymnasium Laufen, ein weiteres weit entfernt in Immensee am Zugersee. Doch die Klassen werden immer kleiner, Latein hat kaum noch Bedeutung. Seine berufliche Zukunft hängt auch von Schulleitungen ab. Grüters grosse Sorge: «Schaffe ich es noch bis in die Pension?»

Toni Grüter führt durch sein Haus am Sonnenhügel von Läufelfingen. «Hier entlang.» Er steigt in den Keller hinab, er zirkelt um Holzscheite auf dem Boden, die er zum Heizen braucht, und unter der Wäsche durch, die an der Leine trocknet. Er zeigt auf eine Zahl auf einem Messgerät: «Das produzieren wir mit unseren Solarzellen.» Dann weist er auf ein anderes Display, das den Stromverbrauch zeigt. Fazit: Grüter produziert mehr Strom, als er verbraucht.

Für ihn der erste Hinweis in einer langen Indizienkette, dass bei der Schweizer Energiewende etwas gehörig schiefläuft. Der zweite Hinweis steckt in den Abrechnungen seines Energieversorgers EBL, die er auf dem hölzernen Stubentisch ausbreitet. Obwohl er mehr Strom liefert als bezieht, muss er der EBL Geld überweisen. Grüter blickt von den Dokumenten hoch und reisst die Augen auf: «Wie sollen so die Leute dazu gebracht werden, in eine Solaranlage zu investieren?»

«Himmeltraurige» Antworten

Grüter hat ein Argumentarium zusammengestellt, mit dem er sich gegen den Ausbau in den Alpen wehrt – und er hat eine Art Gegenvorschlag formuliert. Er fordert, dass Elektrizitätswerke und Investoren gegen eine Entschädigung auf privaten Dächern Solaranlagen errichten dürfen. Dass intelligente Steuerungen dafür sorgen, dass sich etwa Boiler tagsüber erwärmen, wenn viel Sonnenstrom anfällt. Und vor allem will Grüter nicht mehr, dass «Dachziegel in einem geschützten Dorfkern mehr gelten als eine geschützte Landschaft».

Seine Tochter, erzählt er, sei ins Baselbieter Ziefen gezogen. Dort dürfe sie keine Solarpanels auf ihrem Dach installieren. Sie schrieb Briefe an den grünen kantonalen Baudirektor Isaac Reber und an Energieministerin Simonetta Sommaruga, um sich zu beschweren. Die Antworten seien «himmeltraurig» ausgefallen, sagt er.

Ändern, was stört. Aber was, wenn man aufläuft, wenn die Widerstände nicht überwindbar sind? Eveline Marquis erinnert an den gewonnenen Kampf um die S9, ums «Läufelfingerli». Das habe doch gezeigt, dass auch Einzelne etwas bewirken könnten. «Etwas, woran wir schon nicht mehr geglaubt hatten.»