Biotechnologie: Das Skalpell im Erbgut

Nr. 8 –

Neue Zuchtverfahren sollen Nutzpflanzen widerständiger machen und so angeblich auch die Welternährung sichern. Doch was ist wirklich dran an den grossen Versprechen rund um die «Genschere»?

Ein Hype geht um die Welt: «Genome Editing» soll die Pflanzenzucht revolutionieren und so Kulturpflanzen an den Klimawandel anpassen, Umwelt und Biodiversität schützen und die Welternährung sichern. Viel Verantwortung für die winzige «Genschere» CRISPR/Cas, wie die neue Technik oft genannt wird.

In der Schweiz will der Ständerat nun Züchtungsverfahren, bei denen keine artfremde DNA in die Pflanzen eingebracht wird, vom Gentechmoratorium ausnehmen. Gemäss der abgeschwächten Version, die nächste Woche in den Nationalrat kommt, soll der Bundesrat bis 2024 «eine risikobasierte Zulassungsregelung für die neuen Züchtungstechnologien» ausarbeiten, sofern sie gegenüber herkömmlichen Methoden «einen nachgewiesenen Mehrwert für Landwirtschaft, die Umwelt oder die Konsumentinnen und Konsumenten haben». Der Bauernverband und sogar Migros und Coop, die bislang immer die Wahlfreiheit der Konsument:innen gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel ins Feld führten, unterstützen dies. Was aber ist tatsächlich dran am Hype?

Beim Verfahren des «Genome Editing» (Genomeditierung) wird die Genschere wie ein molekulares Skalpell an eine präzis avisierte Stelle im Erbgut dirigiert, um dort den DNA-Doppelhelix-Strang zu durchtrennen. Je nach anschliessender Reparatur kann so ein Gen ausgeschaltet oder können einzelne DNA-Bausteine oder ganze Gensequenzen eingefügt werden. In einer Studie über Chancen und Risiken der Genomeditierung hat die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss 2019 eine Reihe von Empfehlungen formuliert. Dazu gehört die Entwicklung von Methoden, die nachweisen können, dass die Genschere zum Einsatz kam – denn das mutierte Erbgut einer genomeditierten Pflanze unterscheidet sich kaum von natürlich oder in der klassischen Züchtung vorkommenden Mutationen.

Die Konzerne mauern

Daniel Croll, Biologe an der Uni Neuenburg, forscht mittels Big Data an solchen Nachweisen. Aktuell entwickelt er eine Software, die mit einem Abgleich der genetischen Vielfalt aller bekannten Weizensorten ungewöhnliche Veränderungen aufspüren soll. «Das Resultat wird aber lediglich die Wahrscheinlichkeit dafür ausdrücken, dass Genomeditierung zum Einsatz gekommen sein könnte», sagt er. «Ich bin nicht optimistisch, dass sich alle Formen von Genomeditierung in naher Zukunft werden nachweisen lassen, wenn sie nicht deklariert wird.»

Umso wichtiger zu wissen ist, was für Produkte aus genomeditierter Züchtung bereits auf dem Markt sind. Die Agrarwissenschaftlerin Eva Gelinsky erstellt dazu im Auftrag des Bundesamts für Umwelt seit 2016 jährlich einen Bericht. Die Datenlage für ein Monitoring sei schwierig, sagt sie, weil die grossen Agrokonzerne mit Berufung auf das Entwicklungsgeheimnis keine Informationen preisgäben. Dabei kontrollieren allein die vier grössten über die Hälfte des kommerziell vertriebenen Saatguts. Im jüngsten Bericht von Ende 2020 listet Gelinsky über sechzig Produkte auf, die vor einer Vermarktung stehen sollen. Sie zielen auf eine weitere Optimierung der industriellen Landwirtschaft – herbizid- und insektenresistente Grundnahrungsmittel etwa – oder auf Lifestyleprodukte wie das aktuell wohl einzige CRISPR/Cas-Produkt auf dem Markt: eine Tomate aus Japan, die angeblich den Blutdruck senken soll. «Die Liste gibt einen Eindruck davon, was mit Genomeditierung auf absehbare Zeit hin möglich ist», so Gelinsky: «Derzeit überwiegen Eingriffe in den Stoffwechsel von Pflanzen.»

Das bestätigt auch Monika Messmer, die am Forschungsinstitut für biologischen Landbau zur Pflanzenzüchtung forscht. Bislang sei es vor allem gelungen, mittels CRISPR/Cas einzelne Gene auszuschalten. Zum Beispiel beim Weizen, bei dem ein einzelnes Gen dafür verantwortlich ist, dass Mehltau an der Pflanze andocken kann – ein Pilz, der bis zu einem Drittel der Ernte vernichtet, wenn er ein Feld befällt. Dass sich eine Kulturpflanze dann in der Praxis auf dem Feld bewährt, ist aber längst nicht gegeben. Oft fällt die Ernte geringer aus, wie beim genomeditierten Soja der US-Firma Calyxt, das deshalb bereits wieder vom Markt verschwunden ist. Für Schlagzeilen sorgte jüngst eine mittels CRISPR/Cas gezüchtete mehltauresistente Weizensorte aus China, bei der sich im Gewächshaus und bei einzelnen Freilandpflanzen keine Ernteeinbusse zeigte. Die Bewährungsprobe im Feld steht allerdings noch aus.

Schnell, einfach und billig

Einzelne Gene sind aber nur selten für die Ausprägung eines Merkmals verantwortlich, wie Messmer betont. Gerade Trockenheits- und Hitzetoleranz und andere Eigenschaften, die mit Blick auf den Klimawandel und zunehmende Wetterextreme auch in Europa wichtig wären, sind das Resultat eines komplexen Zusammenspiels vieler Gene und der Interaktion von Pflanze und Umwelt. Über solche Prozesse weiss man erst wenig: «Von rund achtzig Prozent der Gensequenzen in Pflanzen ist ihre Rolle und Funktion nicht bekannt», sagt Messmer. «Die Genomeditierung hat deshalb vor allem für die Grundlagenforschung enorme Bedeutung. Die Methode ist schnell, einfach und billig und ermöglicht so, rasch zu neuen Erkenntnissen über Genfunktionen zu gelangen, während wir über das komplexe Wechselspiel der Genregulierung noch wenig wissen.»

Bis in die praktische Züchtung ist der Weg noch weit. Gelinsky ist überzeugt: «Auch mit Genomeditierung wird es innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre nicht möglich sein, hitzebeständigere und trockenheitstolerantere Pflanzen zu entwickeln.» Wichtig sei vor allem, unbeabsichtigte Effekte der Genschere zu erforschen. Mitunter schneidet sie nämlich auch an Stellen im Erbgut, die der avisierten nur ähnlich sehen. Dabei dringt sie in Bereiche des Genoms vor, die normalerweise vor Mutationen geschützt sind.

Wie wichtig deshalb eine Unterstützung von Risikoforschung wäre, zeigt ein Projekt zu Maniok unter Federführung der ETH Zürich. Darin liessen die Forscher:innen die Genschere nicht auf das Erbgut der Pflanze los, sondern auf ein Virus, das Maniok häufig befällt. Das Laborexperiment lief völlig aus dem Ruder: Der Einsatz der Genschere löste eine Mutation im Virus aus, die sich rasend schnell verbreitete und gegen die Genschere resistent war.* In ihrer Publikation forderten die Forscher:innen 2019 explizit, Behörden müssten die Reglemente für die Biosicherheitsforschung anpassen.

Patente am Laufmeter

Doch angesichts der internationalen Entwicklung wird es zunehmend schwieriger, die Genomeditierung zu regulieren. Immer mehr Staaten, die Gentechnik bislang streng reglementierten – darunter China und Grossbritannien –, wollen die neue Züchtungsmethode zulassen. Auch auf die EU wächst der Druck der Agrokonzerne, die ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sehen, weil genomeditierte Pflanzen und Produkte in den USA und in Kanada nicht deklariert werden müssen. Dabei wäre eine Deklarationspflicht zwingend, will man den Konsument:innen wie den Züchter:innen die Wahlfreiheit lassen. Zum Beispiel, so Monika Messmer, indem ein:e Züchter:in bei der nationalen oder der EU-Zulassungsstelle beim Anmelden einer neuen Sorte angeben muss, auf welcher Züchtungsmethode sie basiert.

Mit Blick auf die Deregulierungsabsichten in der Schweiz muss also gewarnt werden: Der Hype rund um genomeditierte Pflanzenzüchtung ist nicht nur übertrieben – oder wie Eva Gelinsky bilanziert: «Ich sehe nichts, was für die Schweizer Landwirtschaft von Interesse wäre» –, er ist vor allem gefährlich.

Die Agrokonzerne lassen jede noch so kleine neue Eigenschaft patentieren, die sie mittels Genomeditierung in ihre Pflanzensorten einbringen konnten. Ein ehemaliger Patentanwalt von Syngenta spricht auf «Swissinfo» von einer «exponentiellen Vermehrung» von Patenten auf Pflanzensorten, von denen jedes zweite auf die neue Technik zurückzuführen sei.

«Diese Patentierung ist ein riesiges Problem», sagt Gelinsky, die auch auf Patent- und Saatgutrecht spezialisiert ist: «Sie würgt den Zugang zur Technik für andere ab, blockiert den Zugang zu genetischen Ressourcen und verstärkt die Abhängigkeit von grossen Agrarkonzernen.» So werde die Biodiversität weiter reduziert, moniert auch Messmer: Weltweite Monokulturen derselben Sorte würden gefördert, die grundsätzlich anfälliger sind. Und das ist so ziemlich das Gegenteil vom grossen Versprechen, das den Hype um die Genomeditierung in der Pflanzenzüchtung aktuell beflügelt.

* Ergänzung vom 17. März 2022: Wilhelm Gruissem, Mitautor der Studie, legt Wert darauf, dass die Formulierung, ihr Laborexperiment sei «völlig aus dem Ruder gelaufen», irreführend ist, weil sich das durch die Genschere entstandene mutierte Virus nicht mehr effizient hat vermehren können.