Klimakonferenz: Das Modellprojekt: Von der Gerechtigkeit blieb wenig

Nr. 43 –

Endlich sollten die Milliarden fliessen: Selbst kritische Südafrikaner:innen reagierten hoffnungsvoll, als ihrem Land bei der COP26 vor einem Jahr Unterstützungsgelder versprochen wurden. Ein Jahr später ist Ernüchterung eingekehrt.

«Just Transition» ist ein Schlagwort, das aus der Gewerkschaftsbewegung stammt: Jeder Umbau einer Industrie, so die Forderung, sollte die betroffenen Arbeiter:innen einbeziehen und ihnen neue Perspektiven bieten. Aber in den USA, wo der Begriff entstand, wagt heute kaum noch eine Gewerkschaft, ihn zu benutzen, so negativ ist er mittlerweile besetzt. Denn die Deindustrialisierung, die ab den 1980er Jahren die Gesellschaft der USA in weiten Teilen umwälzte und Arbeitslosigkeit, Niedergang und Zerfall mit sich brachte, verlief alles andere als gerecht.

Dafür hat der Begriff jüngst in der Klimapolitik Karriere gemacht. Er bezeichnet den sozial gerechten Übergang zu einer nachhaltigeren Form des Wirtschaftens. Politikerinnen, Planer, Gewerkschaften – sie alle wurden in den vergangenen Jahren nicht müde zu betonen, dass die Betroffenen in diesen Übergang miteinbezogen werden müssten, man niemanden zurücklassen dürfe. Seit der Begriff «Just Transition» 2015 ins Pariser Abkommen aufgenommen wurde, darf er in kaum einem internationalen Klimadokument mehr fehlen.

Der versprochene Ausgleich

Das «Just Energy Transition Partnership Program» (Programm für einen gerechten Übergang im Energiebereich), das eine Gruppe von Staatsoberhäuptern am Klimagipfel in Glasgow (COP26) 2021 verkündete, war dennoch etwas Neues. 8,5 Milliarden Euro, erklärten die Vertreter:innen der USA, Grossbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und der EU zusammen mit Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, sollten über drei bis fünf Jahre hinweg nach Südafrika fliessen, um dort die Energiewende anzustossen. Eine gerechte Energiewende, wohlverstanden, «die gefährdete Arbeiter:innen und Gemeinschaften schützt, insbesondere Kohlearbeiter:innen, Frauen und junge Menschen, die von der Abkehr von der Kohle betroffen sind».

Es steht mehr auf dem Spiel als Arbeitsplätze. Es geht um den Zukunftsentwurf des Landes.

Das Programm steht für einen Paradigmenwechsel in der internationalen Klimapolitik. Als 1992 die Klimarahmenkonvention der Uno verabschiedet wurde, waren die USA noch der mit Abstand grösste Verursacher von Treibhausgasen. Und das Kyoto-Protokoll fünf Jahre darauf sah Emissionsminderungen nur für die Industrieländer vor. Dreissig Jahre später ist das anders. Zwar haben die USA insgesamt noch immer am meisten zur globalen Erwärmung beigetragen – inzwischen verursacht China aber mehr Emissionen. In vielen weiteren Ländern mit einer wachsenden Wirtschaft nehmen die Treibhausgasemissionen ebenfalls stark zu. Auch vor diesem Hintergrund wurde im Pariser Abkommen gegenüber dem Kyoto-Protokoll ein neuer Ansatz gewählt: Alle Unterzeichnerstaaten sind seither verpflichtet, ihre Emissionen langfristig zu verringern und regelmässig über ihre Fortschritte zu berichten.

Zuletzt hat der Druck auf die Industrieländer zugenommen, den Globalen Süden bei der Klimapolitik zu unterstützen. Viele Länder, insbesondere Indien, haben deutlich gemacht, dass sie vom Globalen Norden erwarten, die versprochene Finanzierung endlich zu liefern. Etwa die jährlichen Investitionen von 100 Milliarden US-Dollar, zu denen sich die Industrienationen 2009 am Klimagipfel in Kopenhagen verpflichtet haben.

Eine klimapolitische Blaupause?

In ihrem Klimaplan hat Südafrikas Regierung 2021 festgelegt, den Abbau seiner Kohlevorkommen nur zu unterbinden, wenn im Gegenzug finanzielle Unterstützung ins Land fliesst. Südafrika ist das fünftgrösste Kohleexportland der Welt. Als entsprechend wichtigen Meilenstein feierten Medien und Beobachter:innen letztes Jahr die Verkündung der «Just Energy Transition»-Partnerschaft: Zum ersten Mal stellten Länder des Globalen Nordens eine grössere Summe bereit, um ein Land des Globalen Südens beim Umbau seiner Wirtschaft zu unterstützen. Von einem «Schritt in die richtige Richtung» spricht auch der langjährige südafrikanische Menschenrechts- und Klimaaktivist Kumi Naidoo: «Mit diesen Ressourcen hat die südafrikanische Regierung keine Ausrede mehr: Sie muss sicherstellen, dass es für die Arbeiter:innen in den verschiedenen Kohleindustrien einen gerechten Übergang gibt.»

Verglichen mit vielen anderen Entwicklungsprojekten im Klimabereich, weist das Programm einige fortschrittliche Elemente auf: Es betrifft nicht bloss ein einzelnes Projekt oder einen Sektor, sondern das Energiesystem des ganzen Landes. Es ist langfristig angelegt und wurde nicht einseitig, sondern gemeinsam mit Südafrika ausgearbeitet, dessen spezifische Bedürfnisse es entsprechend berücksichtigt. Ein «Modellprojekt», freuten sich politische Analyst:innen: Falls es sich als erfolgreich erweise, könne es als Blaupause für weitere Länder mit ähnlichen wirtschaftlichen Bedingungen dienen. Als sich die G7-Staaten im Juni im bayerischen Schloss Elmau trafen, kündigten sie an, mit Indien, dem Senegal und Indonesien ebenfalls entsprechende Partnerschaften aushandeln zu wollen.

 

 

In Südafrika selbst hat das Programm eine breite Debatte ausgelöst, nicht nur über die Zukunft des Energiesektors, sondern auch über den politischen Kurs des Landes überhaupt. Eine Debatte, die durchaus von Hoffnung geprägt ist – teils selbst in Kreisen, die Entwicklungsprojekten aus dem Globalen Norden sonst skeptisch gegenüberstehen.

Dass sich im Energiesektor etwas ändern muss, steht für die Südafrikaner:innen ausser Frage. Die Klimaerhitzung wurde in den vergangenen Jahren immer spürbarer. Das Land kämpfte dieses Jahr mit schweren Dürren an der Westküste und verheerenden Regenfällen und Überschwemmungen in der Hafenstadt Durban. Hinzu kommt eine unzuverlässige Elektrizitätsversorgung: Der mächtige staatliche Energiekonzern Eskom ist pleite und musste zuletzt wiederholt vor dem Bankrott bewahrt werden. Das Stromnetz ist durch Misswirtschaft und fehlende Investitionen marode und kann die steigende Nachfrage nicht stemmen. Um den kompletten Zusammenbruch zu vermeiden, wird nach dem Rotationsprinzip in wechselnden Teilen des Landes der Strom abgeschaltet, inzwischen für jeweils bis zu sechs Stunden am Tag.

Das Kohlestrom-Monopol

Die Stromausfälle sind nicht nur ein permanentes Ärgernis für die Menschen, sondern auch ein Problem für die Wirtschaft, die sich gerade von zwei Coronajahren mit harten Lockdowns zu erholen versucht. Die Wut über die Unfähigkeit der Regierung, die Probleme bei der Stromversorgung zu beheben, veranlasste Präsident Ramaphosa dazu, in einer Rede an die Nation Ende Juli einen Energieaktionsplan vorzustellen. Unterstützt durch die «Just Energy Transition»-Partnerschaft, soll dieser das Land aus der Energiekrise führen.

Das Projekt ist Ramaphosa wichtig. Er wurde 2018 Präsident, nachdem sein Vorgänger Jacob Zuma wegen schwerer Korruptionsvorwürfe zurückgetreten war; Ramaphosa erklärte damals, im Amt aufräumen zu wollen und Südafrika wieder zu einem zuverlässigen Partner auf internationaler Ebene zu machen. Er setzte eine Kommission zur Bekämpfung der Korruption ein. Und er aktualisierte den Klimaplan des Landes. Den Abschluss der «Just Energy Transition»-Partnerschaft feierte er als grossen Erfolg; die von ihm initiierte Präsidiale Klimakommission ist federführend bei dessen Umsetzung.

Im Zentrum der Transformation steht die Eskom. Sie hält bislang das Monopol auf die Stromerzeugung und das Elektrizitätsnetz. Der Strom stammt in Südafrika zu über achtzig Prozent aus Kohle, die in den Minen des Landes gefördert wird. Das macht das Land mit seinen sechzig Millionen Einwohner:innen zum Land mit den meisten CO₂-Emissionen des Kontinents. Weltweit steht es, je nach Quelle, auf Platz zwölf oder dreizehn der grössten Treibhausgasproduzenten. Die Erzählung, wonach man vor allem Opfer des Klimawandels sei, selbst aber wenig dazu beigetragen habe, stimme zwar für viele afrikanische Länder, sagt Awande Buthelezi von der sozialpolitischen Graswurzelorganisation Copac in Johannesburg, «aber für Südafrika gilt das nicht». Schon vor Jahren hat Patrick Bond, Soziologieprofessor an der Johannesburger Witwatersrand-Universität, angesichts von Sturmkatastrophen in den sehr viel ärmeren Nachbarländern Simbabwe und Moçambique argumentiert, dass Südafrika wegen seiner hohen Emissionen auch diesen gegenüber eine Verantwortung trage.

Südafrika ist selbst ein Land mit immenser Ungleichheit – der grössten der Welt, sagen viele. Und es ist ein Land mit enorm hoher Arbeitslosigkeit. Die offizielle Rate liegt bei 37 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei über 60 Prozent. Über 90 000 Arbeiter:innen sind direkt in der Kohleindustrie beschäftigt. Hinzu kommen mehrere Zehntausend in den Kraftwerken und anderen Teilen des Energiesektors. Es verwundert deshalb nicht, dass das «Just Energy Transition»-Projekt Ängste auslöst – selbst bei jenen, die es eigentlich unterstützen.

Eine neue Form des Kolonialimus?

Kern des Projekts ist die Abschaltung alter Kohlekraftwerke. Als erstes soll Komati vom Netz gehen, ein Kraftwerk aus den 1960er Jahren in Mpumalanga, einer Bergbau- und Industrieregion im Nordosten des Landes. Doch als seine Abschaltung bereits gefeiert wurde, beschwerten sich die dortigen Arbeiter:innen darüber, dass niemand ihnen mitgeteilt habe, was nach der Abschaltung mit ihnen geschehen solle.

Erst Ende September besuchte Mandy Rambharos, Managerin des «Just Energy Transition»-Programms von Eskom, das Kraftwerk: «Ich bin sicher, viele Leute fragen sich, warum wir hier sind, warum wir über die Abschaltung eines Kraftwerks sprechen, wenn wir immer wieder stundenweise den Strom abschalten müssen», sagte sie. «Aber es ist wichtig zu wissen: Wir haben einen Plan.» Das Kraftwerk soll demnach künftig zur Ausbildungsstätte für erneuerbare Energien umgebaut werden, später sollen dort zudem Solarmodule zusammengesetzt werden. Für die Arbeiter:innen sind also neue Arbeitsplätze vorgesehen. Aber ein nahtloser Übergang scheint schwierig – denn Südafrika verfügt zwar über zahlreiche Standorte, die hervorragend für Wind- und Sonnenenergie geeignet sind, aber diese liegen häufig an der Küste, weit entfernt von den Bergbau- und Kohleregionen im Landesinnern.

Präsident Ramaphosa weiss, dass die Transformation auch aus diesem Grund nur gemeinsam mit den Gewerkschaften gelingen kann. Diese sind mächtige Akteure in Südafrikas Politik; die beiden grossen Gewerkschaftsbünde Saftu und Cosatu haben ihre Basis in den Minen und Bergwerken. Einst waren sie wichtige Säulen im Kampf gegen die Apartheid, und bis heute stammen viele Politiker:innen aus ihren Reihen – auch Ramaphosa selbst. Schon lange vor dem aktuellen Programm haben sich in vielen Gewerkschaften progressive Gruppen für eine Just Transition eingesetzt. Jetzt soll es plötzlich schneller gehen als gedacht.

Dabei steht beim Übergang viel mehr auf dem Spiel als Arbeitsplätze: Es geht auch um die Identität eines ganzen Landes und um dessen Zukunftsentwurf. Gold, Erze, Kohle: Südafrika sei immer schon ein Land gewesen, dessen Wirtschaft und dessen Selbstbild auf Rohstoffausbeutung beruht hätten, sagt der Aktivist Awande Buthelezi. So sei es in der Kolonialzeit gewesen, und so sei es heute noch.

Entsprechend gibt es auch Widerstand gegen die Transformationspläne. Als neue Form von Kolonialismus und Apartheid hat sie beispielsweise der Energie- und Bergbauminister Gwede Mantashe bezeichnet. Es sei heuchlerisch, Afrika die Nutzung seiner Kohlereserven verbieten zu wollen, während die Industrienationen selbst mit fossilen Brennstoffen reich geworden seien und diese auch weiterhin nutzten. Mantashe ist bekannt als Verfechter von Grossprojekten wie der umstrittenen Öl- und Gasförderung vor der südafrikanischen Küste, die von Anwohnerinnen und Umweltschützern seit Jahren massiv bekämpft wird.

Ob der Rückhalt für das Übergangsprogramm in der Bevölkerung gross genug bleibt oder ob der Widerstand dagegen wächst, dürfte von dessen weiterer Ausgestaltung abhängen. Und der Zwischenbericht, der im Juni veröffentlicht wurde, verheisst diesbezüglich nichts Gutes.

Blutgas aus Moçambique

Südafrikas Klimabewegung, eine der aktivsten des Kontinents, hat die Idee einer Just Transition anfangs begeistert aufgenommen – in der Hoffnung, den bevorstehenden Wandel mitgestalten zu können. Doch auch wenn die Regierung im Frühjahr Konsultationen mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft abhielt, sind viele bereits enttäuscht. Denn je mehr Details darüber bekannt werden, desto deutlicher wird, dass eine echte Transformation hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Teilhabe im Top-down-Projekt des Präsidenten nicht vorkommt.

Stattdessen entpuppt es sich zunehmend als eines jener neoliberalen Entwicklungsprojekte, die in den letzten Jahrzehnten zu viel Reichtum bei den einen und noch mehr Armut bei den anderen geführt haben. So soll Südafrika bloss einen Bruchteil der angekündigten 8,5 Milliarden Euro als Zuschuss erhalten; beim Rest handelt es sich um Kredite, die die Staatsverschuldung weiter erhöhen – und schliesslich mit Zinsen wieder an die Geberländer zurückfliessen werden.

Das Climate Justice Charter Movement, eine breite südafrikanische Bewegung, die nach mehrjährigem Erarbeitungsprozess einen eigenen Plan für eine Just Transition vorgelegt hat, fordert sogar, die Zahlungen an Südafrika zu stoppen. Denn es sei nicht klar, wie ernst es der Regierung mit dem gerechten Übergang überhaupt sei. Und die Bewegung verweist darauf, dass nach neusten Angaben 44 Prozent der Gelder für Gaskraftwerke vorgesehen sind – voraussichtlich betrieben mit «blutigem» Gas aus Moçambique, wo bei Konflikten um Afrikas grösste Flüssiggasterminals letztes Jahr Tausende Menschen getötet und Hunderttausende vertrieben wurden.

Gewerkschaften laufen überdies Sturm gegen die jüngsten Änderungen der Energiegesetze, die es auch kleineren Produzenten erlauben sollen, Strom ins südafrikanische Netz einzuspeisen. Sie fürchten, dass dies der erste Schritt in Richtung Privatisierung des Energiekonzerns Eskom sein könnte. Und während die Pläne für den technischen Übergang immer konkreter werden, bleibt weiterhin unklar, wie genau sichergestellt wird, dass dieser auch sozial gerecht vonstattengeht.

Kurz nach der Ankündigung der «Just Energy Transition»-Partnerschaft im letzten Jahr haben Aktivist:innen ein Video publiziert. Darin kommt Lebogang Mulaisi vom Cosatu zu Wort, dem grössten Gewerkschaftsdachverband Südafrikas: «Wir haben als Land hier eine riesige Chance», sagte Mulaisi. «Wir dürfen nicht scheitern. Wenn wir diesen Übergang jetzt nicht einleiten und dabei Fragen der Gerechtigkeit berücksichtigen, dann werden die Folgen verheerend sein.»

Mittlerweile sieht es ganz so aus, als sei dieses Scheitern eine reale Gefahr – und der Rückschlag tatsächlich verheerend. Und zwar nicht nur für die Arbeiter:innen in Südafrika, sondern auch für alle anderen Länder des Globalen Südens, die den Prozess derzeit beobachten, um zu beurteilen, ob ein gerechter Übergang überhaupt machbar ist.