Auf allen Kanälen: Ab in die Nische

Nr. 45 –

Der dezentrale Kurznachrichtendienst Mastodon wächst immer weiter – und ist bereits jetzt eine vielversprechende Alternative zu Twitter.

Das Mastodon-Maskottchen
Das Mastodon-Logo

Knapp zwei Wochen ist es her, dass Elon Musk Twitter gekauft hat. Seither macht der Mikrobloggingdienst permanent Schlagzeilen – zuletzt feuerte der egomane Milliardär die Hälfte der Belegschaft und drohte sich abwendenden Werbekunden. Inzwischen klingt die Vorstellung gar nicht mehr so abwegig, Musk könnte Twitter, das bislang ohnehin nie stabil profitabel war, tatsächlich an die Wand fahren.

Eine bessere Alternative wäre bereits da. Infolge der Turbulenzen bei Twitter verzeichnet der Kurznachrichtendienst Mastodon viel Zuwachs. Das war auch schon so gewesen, als die Übernahmepläne Musks im Frühjahr publik wurden, ehe dann der Hype um Mastodon wieder abklang. Seit Ende Oktober haben sich nun fast 500 000 neue Nutzer:innen angemeldet, täglich werden es mehr. Der Zustrom weckte selbst das Interesse des «Time»-Magazins, das vor ein paar Tagen Mastodon-Gründer Eugen Rochko porträtierte, einen deutschen Programmierer aus Jena.

Endlich lebendig

Dessen dezentrales und spendenfinanziertes Netzwerk ist zwar im Vergleich zu den über 200 Millionen Twitter-Nutzer:innen sehr klein. Trotzdem wirkt Mastodon deutlich lebendiger als noch vor ein paar Monaten. Man begegnet dort zahlreichen von Twitter bekannten Accounts: der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl, dem deutschen Satiriker Jan Böhmermann oder Gruppen wie Fridays for Future.

Taucht man ein wenig ein, lassen sich schnell Differenzen in der Nutzung feststellen. So ist es hier etwa nicht möglich, Reposts mit einem eigenen Kommentar zu versehen. Rochko zufolge sollen so toxische Kommunikationsweisen eingeschränkt (man soll auf Mastodon primär mit anderen und nicht über andere reden) sowie die Zirkulation problematischer Inhalte verhindert werden (selbst wer kritisch «drüber» kommentiert, teilt).

Auch die Timeline funktioniert bei Mastodon anders, sie bildet standardmässig chronologisch ab, was die Accounts, denen man folgt, (re)posten. Bei Twitter dagegen stupst der Algorithmus Nutzer:innen dazu an, Beiträge, die bereits viele Interaktionen haben, ebenfalls zu lesen. Das mag nebensächlich erscheinen, hat aber in der Praxis den Effekt, dass man nicht endlos auf Mastodon festhängen bleibt, weil man seine Timeline immer wieder aktualisiert.

Keine Kicks

Indirekt macht das erst bewusst, welche Effekte bestimmte Designentscheidungen bei den grossen Plattformen auf das Nutzungsverhalten haben. Dort will man die Leute möglichst lange festhalten, um Werbung zu verkaufen. Twitter implementierte schon vor Jahren die «Pull to refresh»-Mechanik in seiner App: Man zieht die Timeline mit dem Daumen nach unten, um zu aktualisieren. Dabei handelt es sich um eine Form von Gamification: Ähnlich wie man beim Spielautomaten am Hebel zieht, um die Glücksrädchen drehen zu lassen, schiebt man beim «Pull to refresh» die Timeline nach unten und starrt dann einige Augenblicke auf einen Ladekreisel – in Erwartung neuer Reize in Form empörender oder witziger Beiträge.

Mastodon dagegen ist nicht einfach eine weitere digitale Werkstätte «zur suchterzeugenden Fabrikation, Vervielfältigung und Weiterverarbeitung finster-klebriger Erregungsschmiere» (Dietmar Dath). Das heisst aber auch, dass sich der Dienst im Vergleich zur berauschenden Variante ein bisschen anfühlt wie alkoholfreies Bier: Jahrzehnte der kommerziellen Gestaltung der digitalen Infrastruktur haben darauf konditioniert, bei der Nutzung von Apps mit Endorphinschübchen belohnt zu werden. Solche Kicks gibts bei Mastodon nicht, dafür aber die Möglichkeit, soziale Medien auf eine Weise zu nutzen, die nicht die Interessen der Werbewirtschaft in den Vordergrund stellt.

Noch mag es sich um eine Nische handeln. Allerdings fanden sich auch schon auf Twitter seit jeher die wirklich interessanten Dinge meist in den Nischen. Der Techpublizist Frank Rieger wies eben erst darauf hin, dass der Glaube, möglichst weltumspannende Plattformen müssten her, die Interessen der Nutzer:innen mit denen von «Werbeagenturen, Marketingtypen, Propagandisten, Scammern und Spammern» verwechselt. Stattdessen gelte es «mehr kleinere, gemütliche, überschaubare digitale Räume» aufzubauen. Wie eben Mastodon.

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