Klimakonferenz COP27: Sind jetzt die Schwellenländer schuld?
Schon wieder ging es an der Weltklimakonferenz nur einen Minischritt vorwärts. Die COP27 hat gezeigt: Alleine werden es die Politiker:innen nicht hinkriegen.
António Guterres ist in Sachen Weltklima längst zum moralischen Kompass geworden. Auch zum Abschluss der Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich (COP27) findet der Uno-Generalsekretär klare Worte: Die Konferenz habe zwar einen «wichtigen Schritt» Richtung Gerechtigkeit getan, sei aber in Bezug auf die Reduktion der Treibhausgasemissionen völlig ungenügend.
Blockaden von allen Seiten
Positiv beurteilt Guterres, dass neu ein Fonds für Verluste und Schäden eingerichtet werden soll. Einzahlen sollen Industriestaaten. Doch Guterres sagt auch, dass dieser Fonds längst nicht genüge. Die reichen Staaten müssen den Ländern des Südens auch mehr Geld geben, damit sie auf erneuerbare Energie umstellen und sich an die Erderhitzung anpassen können (siehe WOZ Nr. 45/22).
Und dann eben: die Emissionen. Sie steigen weiter. So bewegt sich die Welt unweigerlich auf eine «Krise biblischen Ausmasses» zu, so Guterres. «Ein Fonds für Verluste und Schäden hilft einem kleinen Inselstaat nicht, wenn er von der Landkarte gefegt wird, und auch nicht einem afrikanischen Land, das in eine Wüste verwandelt wird.»
Es brauche viel mehr Druck der Zivilgesellschaft, findet Uno-Generalsekretär António Guterres.
Franz Perrez, Chef der Abteilung Internationales beim Bundesamt für Umwelt, hat die Schweiz als Delegationsleiter an der Klimakonferenz vertreten. Er zeigt sich im Gespräch mit der WOZ «enttäuscht» über ihren Ausgang: «So bleibt es beim hilflosen Versuch, das Problem in den Griff zu kriegen.» Die Schweiz hatte sich lange gegen den Fonds für Verluste und Schäden gesträubt. Nun moniert Perrez, dass die Schwellenländer nicht einzahlen müssen. Was auffällt: Er macht auch sonst ausschliesslich Schwellenländer für das enttäuschende Ergebnis der COP27 verantwortlich.
Ägypten als Gastgeberland habe das Ergebnis stark geprägt, Länder wie China wollten nicht in den neuen Geldtopf einzahlen oder lehnten wie Indien und Brasilien Gespräche über griffigere Umsetzungspläne beim Ausstieg aus der Kohle und dem Abbau von Subventionen für Erdöl und Erdgas ab. Staaten wie Saudi-Arabien und Südafrika hätten Gespräche blockiert, wie alle Finanzflüsse «klimakompatibel» ausgestaltet und damit die Finanzierungen neuer fossiler Projekte gebremst werden könnten. Südkorea schliesslich habe den nun viel kritisierten Passus in der Abschlusserklärung vorgeschlagen, in dem es heisst, die «sofortige, tiefe, schnelle und nachhaltige Reduktion der Treibhausgasemissionen» sei neben der Erhöhung von erneuerbarer auch mit «wenig emissionsreicher Energie» zu bewerkstelligen. Dieses «wenig emissionsreich» lässt viel Spielraum für Interpretationen offen. Doch zweifelt kaum jemand daran, dass damit auch der beschleunigte Abbau von Gasvorkommen und der Ausbau von Gasinfrastruktur gemeint ist.
Alle setzen auf Gas
Die Mitschuld der Schwellenländer am miserablen Ausgang der Konferenz ist offensichtlich. Doch verschleiert das Fokussieren darauf die Schuld der Industriestaaten, auch der Schweiz. Die meisten Industriestaaten, die aufgrund ihrer historischen Schuld, ihrer finanziellen Mittel und ihres Know-hows vorangehen müssten, machen viel zu wenig. Es gibt in der Abschlusserklärung der COP27 einen Passus, der anerkennt, dass die Staatengemeinschaft ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 43 Prozent gegenüber 2019 reduzieren muss, damit die Erderwärmung 1,5 Grad nicht überschreitet. «Die Schweiz wird das ignorieren», prophezeit Patrick Hofstetter, Fachgruppenleiter Klima und Energie beim WWF und Mitglied der offiziellen Schweizer Verhandlungsdelegation in Scharm el-Scheich. «Sie hat aktuell noch keinen vom Volk abgesegneten Plan, wie sie die bereits eingereichten Ziele erreichen kann.»
Franz Perrez sagt: «Alle Industriestaaten wollten diesmal griffigere Massnahmen beschliessen. Ebenso die progressiven lateinamerikanischen Staaten, die kleinen Inselstaaten und die Gruppe der ärmsten Länder. Es waren tatsächlich die Schwellenländer, die eins ums andere blockierten.» Staaten wie Saudi-Arabien argumentieren: Wer Öl und Gas fördert, ist nicht schuld an den hohen Treibhausgasemissionen. Schuld sei, wer die fossilen Energieträger verbrenne. Natürlich ist das verkürzt. Denn würde Saudi-Arabien kein oder nur wenig Öl fördern, würde der Druck auf alle Staaten massiv steigen, von Benzin und Diesel wegzukommen. Dennoch: Die Argumentation hat einen richtigen Kern. Denn ganz offensichtlich sind die meisten Staaten nicht willens, rasch und schnell aus der fossilen Wirtschaft auszusteigen. Im Gegenteil: Besonders die Gasförderung wird seit dem Krieg gegen die Ukraine rund um den Globus noch zusätzlich angetrieben. So ist etwa Ägypten zu einem grossen Gasexporteur in die EU geworden. Der heimische Verbrauch wurde dabei reduziert, indem nun statt Erdgas viel mehr dreckiges Rohöl in den thermischen Kraftwerken verbrannt wird.
Die EU argumentierte bereits vor dem Krieg, Erdgas sei eine «Brückentechnologie», und stufte sie als «nachhaltig» ein, weil bei seiner Verbrennung weniger Treibhausgase entstehen als bei der von Kohle. Auch der Bundesrat will neue Gaskraftwerke für die «Energiesicherheit» bauen. Franz Perrez sagt, das sei alles «vorübergehend». Doch was für Signale werden damit in die Welt gesendet? Jährlich werden für 630 Milliarden US-Dollar neue Gasinfrastrukturprojekte hochgezogen. Förderanlagen, Pipelines, Verflüssigungsanlagen und Terminals werden, wenn sie einmal gebaut sind, nicht so schnell wieder stillgelegt. Die Erderwärmung um 1,5 Grad, die «rote Linie», wie Guterres sagt, wird so wohl schon um 2030 überschritten. Die Folgen wären unabsehbar, da mit dem Erreichen von Klimakipppunkten eine nicht mehr aufhaltbare Eskalation in Gang gesetzt werden könnte.
Auch die Weltbank ist gefordert
An der COP27 waren laut der NGO Global Witness 636 Lobbyist:innen der fossilen Industrie anwesend – darunter die CEOs von BP, Total und Shell. Ägypten und andere gasexportierende Länder haben die Konferenz für den Abschluss neuer Gasverträge genutzt. Allerdings wurden auch andere Verträge unterzeichnet: Patrick Hofstetter vom WWF spricht von «unzähligen und teilweise grossen Deals» für nachhaltige Energie. «Es gibt einen Wahnsinnsboom, vor allem im Bereich Solarenergie», sagt er. Wichtig wäre dabei allerdings, dass die Weltbank endlich eine führende Rolle übernähme: «Investitionen in Entwicklungsländern haben immer ein erhöhtes Ausfallrisiko. Dafür braucht es eine Grundabsicherung.»
Doch so wichtig die Investitionen in nachhaltige Energien auch sind: Solange die Emissionen nicht schnell und nachhaltig sinken, wird unter dem Strich einfach mehr Energie verbraucht. «Es braucht ein Ende der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern», sagt Guterres. Um das zu erreichen, da sei er sich sicher, genügten die Klimakonferenzen nicht. Die wichtigste Energiequelle sei die Macht der Menschen – «people power». Man dürfe nicht auf ein Wunder warten: «Jeder Einzelne von uns muss jeden Tag in den Schützengräben kämpfen.»
Leitartikel zum Thema: «Klimagipfel: Es geht um jedes Hundertstelgrad»