Pop: Zwischen Dornen meditieren
Wer ist Arooj Aftab? Jedenfalls mehr als eine. Die Sängerin und erste pakistanische Grammy-Gewinnerin sprach nach ihrem Basler Konzert über Aneignung der eigenen Tradition, Unsicherheiten und Musikmachen als heilige Praxis.
Auch das Lied, das Arooj Aftab in Basel als ihr fröhlichstes ankündet, ist melancholisch. «Mohabbat» – Liebe und Zuneigung auf Urdu – heisst der Track, für den die in Brooklyn lebende pakistanische Sängerin ihren ersten Grammy gewann. Es war auch der Track von ihrem 2021 erschienenen Album «Vulture Prince», der eines Morgens ihren Instagram-Account zum Überlaufen brachte, weil Barack Obama es auf seiner «Summer Playlist» veröffentlicht hatte.
Die Schweiz und sie, das «vibe», meint die 37-jährige Aftab an diesem Novemberabend hier im «Gannet», dem Bauch eines zum Konzertlokal umfunktionierten, gestrandeten Schiffs. Erst vor einer Stunde wurde sie für einen dritten Grammy nominiert. Sie werde ab jetzt immer um diese Jahreszeit kommen, wenn ihr dieser Ort so viel Glück bringe, sagt sie. Sie habe auch ein gutes Sandwich gegessen, für etwa vierzig Franken.
Sexy und traurig
Irgendwie hat man mit Arooj Aftab drei verschiedene Personen vor sich: eine, die nervös an ihrem glitzernden Hemd und ihren Haaren zupft und eine Präsenz grimmiger Schüchternheit ausstrahlt, ohne Starallüren; eine, die zu singen beginnt, alles ruhig und warm werden lässt und das Tor einer Zeitmaschine und zu einem Raum öffnet, in dem Intensität in kompletter Entschleunigung herrscht.
Und ihre dritte Persona ist die Aftab, die mit sarkastischen Sprüchen das mehrheitlich weisse Publikum um den Finger wickelt und so die Zügel nie ganz aus der Hand gibt. Ist es eine Strategie, als erste pakistanische Grammy-Gewinnerin mit Vorurteilen und Exotismen umzugehen? Man müsse ihre Musik jedenfalls nicht so ernst nehmen und glauben, es sei alles heilig, gar islamisch «or whatever the fuck». Zuvor hatte sie während des Singens pathetisch eine Rose aus der Vase genommen und diese plötzlich der Autorin dieses Textes entgegengeworfen.
Nein, es gehe um profane Dinge, um das Scheitern in der Liebe, weltliche Enttäuschungen, um betrunkene Zustände, sagt sie auf der Bühne im «Gannet». Die Texte seien vor allem sexy und traurig. Sie entschuldigt sich für die peinliche Situation mit der Rose, aber sie habe es sich angewöhnt, das Publikum mit Rosen zu bewerfen, um die Ernsthaftigkeit zu brechen.
Ihr Gesang weckt jedenfalls die Ahnung, dass die Texte ernsthaft ins Mark gingen, verstünde man Urdu. Die arabisch-persischen Tonalitäten verwebt Aftab zu Pop im weitesten Sinne, mal sogar zu Dub. In den Kitsch kippen könnte dies durchaus, wäre da nicht die profunde Qualität ihres Gesangs, virtuos in den Melodien, aber im Klang selbst irgendwie bescheiden. Dass es manchmal an die bittersüsse Grenze geht, liegt auch an der Bandbesetzung, die nur mit Geige (Darian Donovon Thomas) und Gitarre (Gyan Riley) eine gewaltige Dichte an Texturen erzeugt. Den beiden Musikern lässt Aftab an diesem Abend viel Spielraum zum Abdriften und Sichreinsteigern. Und dies, obwohl sie im Gespräch ihre Liebe zu Minimalismus betont. Und siehe da, Gyan Riley entpuppt sich als Sohn der Minimalikone Terry Riley.
Aneignerin des Eigenen
Dass es doch um mehr als Profanes geht, hat sie einige Tage davor am Telefon von der Hotelsauna aus erzählt. Sie habe kein Verlangen mehr, das für ihr erstes Album von 2015 selbsterfundene Genre des Neosufismus weiter zu besetzen, ihre Musik sei mittlerweile ein derart verflochtenes Cross-over. Auch wenn bittere Gefühle verhandelt würden, die ganz im Hier und Jetzt situiert seien und darin immer auch Hoffnungsfunken für die Zukunft aufschimmerten, entlehne sie sicherlich etwas «von der Poesie und der Art und Weise der Artikulierung von Sprache, von der Weisheit unserer Vorfahren». Sie kombiniert diese mit ihren musikalischen Sensibilitäten, um etwas Überraschendes, sehr Trauriges und sehr Schönes zu kreieren – oder wie sie es am Konzert beschreibt, als ein «Bad für emotional Fortgeschrittene». Denn die Welt sei ein mieser Ort.
Hat man das Glück, mit Aftab ein Interview führen zu können, gibt es strenge Kriterien und einen Katalog an Fragen, die nicht gestellt werden dürfen. Warum, das erfährt man schnell auf ihrem Twitter-Account: Sie sei es so leid, wenn Journalist:innen nebenbei ihre kulturellen Imperialismen, Islamophobie, problematische weisse feministische Ansichten und offene Ignoranz auf sie abwälzten, nur weil sie eine Frau aus Pakistan sei. Und doch brennt die Frage auf der Zunge: Wie steht sie zu den feministischen Protesten im Iran, dem Nachbarland des ebenfalls islamisch regierten Pakistan?
Die Frage würde vielleicht nicht gut ankommen, das Gespräch dreht sich stattdessen um das Phänomen, wie man sich auch gegenüber der eigenen musikalischen Tradition als kulturelle Aneignerin fühlen kann. «Es gibt immer eine Suche nach Anmut und Respekt, wenn du eine Tradition fortführst, die aus deinem sogenannten Zuhause stammt», sagt sie. Es gebe alle diese Zwischenverbindungen innerhalb traditioneller Musik und wie man sie praktiziere: «Wie viel Zeit hast du dort verbracht? Wie gehst du mit puristischem Denken innerhalb der Tradition um? Wie hast du sie studiert? Wie reproduzierst du dieses Werk?» Es sei grossartiges, legendäres Material, und es handle sich bei sufistischer Musik aus ihrem Herkunftsland immer noch um eine spirituelle Praxis. «It’s not something to be taken lightly», man könne das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nur weil sie von dort sei, könne sie die Musik nicht einfach benutzen: «Ich mache Musik, die respektvoll daraus spriesst.»
«Ent-Arschlochen»
Dass sie sich die Dinge sehr genau anhört und anschaut, zeigt sich auch darin, wie viel Zeit sich Aftab bisher nahm: Zwischen ihrem ersten Album, «Bird under Water», und «Vulture Prince» lagen sechs Jahre, fünf davon habe sie über dem alten persischen Gedicht «Mohabbat» gesessen, bis sie gewusst habe, wie es klingen solle. Was passierte in der Zeit dazwischen? «Nur Chaos», sagt sie und erinnert daran, dass sie mit den gleichen Dingen wie die meisten zu kämpfen habe.
Dass sie doch bereits alles erreicht habe, was man als Musikerin erreichen könne, lässt sie nicht gelten. «I’m not cruising», sagt sie. Sie habe noch einen langen Weg zu gehen. «Ich muss mich noch mehr verfestigen, bis ich mich wichtig machen kann.» Wenn man Rihanna ist, könne man vielleicht sechs Jahre mit einem neuen Album warten; sie habe aber noch einiges zu beweisen.
Durch die verschiedenen Facetten dieser Person scheint hindurch, wie komplex es sein muss, in ihrer Position gelandet zu sein. Seit Anfang zwanzig lebt sie in New York, was ihre Identität geprägt haben muss. Sie kreiert beim Konzert einen Raum durch gemeinsames Gelächter mit einem Humor, der zuweilen US-amerikanisch wirkt. Man wird das Gefühl nicht ganz los, dass sie kulturelle Differenzen und den dazugehörigen Schmerz herunterspielt. Gleichzeitig zeigt sie keine Scheu, Position zu beziehen. Von ihrer Rosenaktion – die wegen Versicherungsproblemen zu Streit mit ihrem Management geführt habe, weshalb sie nun Rosen entdorne («de-prick») – schlägt sie den Bogen zum «de-pricking», dem Entarschlochen, das die mutigen iranischen Frauen gerade betrieben.
Im Gespräch kommt sie von ihrer Haltung gegenüber der Musikindustrie zur Bedeutung von Musik überhaupt. Ihr erstes Album stellte sie erst auf Spotify, als sie ihre Ausgaben gedeckt hatte: Die Streamingplattformen und grossen Player der Industrie hatte sie in vielen Interviews für ihre ausbeuterische Praxis gescholten. Heute sagt sie dazu: «Ich bin bei Universal unter Vertrag. Es ist ein Spiel, es heisst Kapitalismus. Ich bewahre mir meine Integrität, ich sage Dinge, wenn ich kann, aber ich werde mich nicht selbst sabotieren und meine Karriere schädigen.» Wenn Taylor Swift ihre Musik von Spotify nähme, gäbe es einen Aufschrei, bei ihr würde nichts passieren. «Es geht nicht nur darum, Musik zu machen, sondern eine spirituelle Praxis aufrechtzuerhalten und die Erde in ihrem uralten Dasein zu würdigen. Der Industrie geht es darum, Geld zu machen. Irgendwo in der Mitte muss man sich treffen.»