Kost und Logis: Holz in der Hütte

Nr. 50 –

Karin Hoffsten weiss jetzt, dass auch die schwedische Unschuld Grenzen hat

Fast ist es ja schon eine lieb gewordene Tradition, in jedem Herbst die Ikea-Familie Kamprad in der Zeitschrift «Bilanz» unter den 300 Reichsten auf Platz eins anzutreffen. Dann werfen wir dem uralten Billy-Regal einen gerührten Blick zu und denken – natürlich neidlos ­­­­­­­­­–, wie sympathisch es doch ist, hauptsächlich mit dem Verkauf heller, hölzerner Möbelstücke in skandinavischem Design einen Mammonberg von 54 Milliarden Franken anzuhäufen. Jedenfalls sympathischer als das, womit man bei der Ems-Chemie sein Geld verdient respektive früher verdient hat.

Auf der Website von Ikea ist zu lesen, man liebe Holz, weil es «aus Design-, Qualitäts- und Umweltperspektive ein ausgezeichnetes Material ist – vorausgesetzt, es stammt aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Forsten». Und darauf verlassen sich seit Jahrzehnten alle, die sich in ihrem Heim gern mit Dingen namens Törnbär, Konstfull oder Hållbar umgeben und jetzt zur Weihnachtszeit fieberhaft nach kleinen Geschenken suchen, um sie in ihrer Säckkärra-Tasche nach Hause zu tragen.

Doch Nachhaltigkeit hin und verantwortliches Forsten her – kürzlich wurden wir leider alle eines Schlechteren belehrt. Mitte November berichtete nämlich neben anderen Medien die «taz»: «Viele der Verkaufsschlager des Möbelriesen Ikea haben eines gemeinsam: Bis zum Beginn des Krieges in der Ukraine wurden sie in einer der schlimmsten Diktaturen der Welt hergestellt, in Belarus. […] Das Unternehmen bezog Materialien, bei deren Herstellung Zwangsarbeit belarusischer Häftlinge zum Einsatz kam.»

Recherchiert wurde das von Journalist:innen der französischen Onlinezeitung «Disclose», und auch diese Erkenntnisse folgen einer traurigen Tradition: Schon vor zehn Jahren ergab eine Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, dass Ikea in den siebziger und den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts Zubehörteile, aber auch komplette Möbel durch politische Gefangene in DDR-Gefängnissen herstellen liess.

Laut einem Artikel der «Welt» von 2012 bedauerte man bei Ikea Deutschland «ausserordentlich, dass das geschehen konnte», und der damalige Geschäftsführer soll in diesem Zusammenhang gesagt haben: «Ikea hat nicht akzeptiert und wird nie akzeptieren, dass politische Gefangene in der Produktion eingesetzt werden.» Doch gemäss «Disclose»-Recherchen scheint sich die ethische Richtlinie nicht wirklich herumgesprochen zu haben.

Im Übrigen liessen damals auch die Unternehmen Neckermann und Quelle in DDR-Gefängnissen produzieren; und laut «Spiegel» vergeben andere deutsche Möbelhersteller ihre Holzverarbeitungsaufträge noch heute an belarusische Gefängnisse.

Man kann ja ohne schlechtes Gewissen fast gar nichts mehr kaufen, sagen Sie jetzt vielleicht, und Sie haben recht! Hätte die Schweiz – wie jetzt die EU – ein Konzernverantwortungsgesetz eingeführt, das seinen Namen auch verdient, sähe es schon besser aus.

Karin Hoffsten kauft natürlich auch hin und wieder Sachen, aber nie zu Weihnachten.