Die Pandemie in Afrika: «Was in Europa passiert, spiegelt oft nicht unsere Situation wider»
Die Infektions- und Todeszahlen blieben niedriger als befürchtet, und dennoch hat Covid extreme Folgen: Die kongolesische Molekularbiologin Francine Ntoumi erklärt, was Covid für Afrika bedeutet, wie der verbreiteten Impfskepsis zu begegnen wäre, welche Rolle Naturheilmittel spielen – und warum sie der Pandemie auch Positives abgewinnen kann.
WOZ: Frau Ntoumi, in der Schweiz kämpften wir zuletzt mit einer rekordhohen Zahl an Omikroninfektionen. Wie sieht es in Kongo-Brazzaville aus?
Francine Ntoumi: Auch in Afrika macht Omikron zurzeit über neunzig Prozent der Covid-19-Fälle aus, aber die Covid-19-Inzidenz ist tiefer als jene in Europa. Unser Labor in Brazzaville steht seit langem in wöchentlichem Kontakt mit Forscher:innen aus Südafrika, deshalb gingen wir bereits im Dezember davon aus, dass Omikron zwar viele neue Mutationen aufweist und sehr ansteckend ist, aber verhältnismässig milde Verläufe auslöst.
Zu Beginn der Pandemie war die Angst gross, dass in Afrika sehr viele Menschen am Virus sterben könnten. Glücklicherweise hat sich dies nicht in vollem Ausmass bestätigt, der Kontinent hat im weltweiten Vergleich eine unterdurchschnittliche Zahl an Covid-Toten zu beklagen.
Ja, auch ich dachte vor zwei Jahren, dass eine Katastrophe bevorstehe. Dass wir viel zu wenige Beatmungsgeräte hätten und medizinisches Fachpersonal fehle, um grosse Ausbrüche bewältigen zu können. Wir hatten natürlich durchaus auch schwer kranke Leute. Aber obwohl wir zu wenig testen, wissen wir aufgrund von Zahlenerhebungen in Leichenhallen und auf Friedhöfen, dass sogar während der verschiedenen Coronainfektionswellen vielerorts keine Übersterblichkeit herrschte. Das ist interessant, denn neuste Serostudien – Tests auf Antikörper im Blut – zeigen, dass bereits über 75 Prozent der afrikanischen Bevölkerung mit dem Virus in Berührung gekommen sind. Nur sehr wenige Menschen haben eine Impfung erhalten, die vor einem schweren Verlauf schützen würde. Für mich ist deshalb klar, dass die afrikanische Bevölkerung anders auf Sars-CoV-2 reagiert als die europäische.
Was könnten die Gründe dafür sein?
Eine gängige Hypothese ist, dass wir weniger stark getroffen wurden, weil der Altersdurchschnitt der Bevölkerung auf dem Kontinent sehr tief ist. Das kann aber nicht die ganze Erklärung sein, denn wir hatten durchaus auch alte Erkrankte, die sich meist gut erholten und sich nicht als Hochrisikogruppe herauskristallisierten. Vielleicht, weil wir kaum Institutionen wie Altenheime haben, in denen sich das Virus so stark unter älteren Menschen ausbreiten könnte wie in Europa.
Anstatt aber irgendwelche Hypothesen für gesichert zu erklären, sollten wir wissenschaftlich untersuchen, warum die Immunantworten in verschiedenen Weltregionen unterschiedlich ausfallen. Ich glaube nämlich, dass wir die immunologische Situation generell unterschätzen: Wir haben in dieser Weltregion eine Vielfalt an Corona- und sonstigen Viren, die bei einer Vor- oder Koinfektion mit Sars-CoV-2 das Risiko eines schweren Verlaufs erhöhen, aber eben auch senken könnten. Darüber wissen wir noch fast nichts. Interessanterweise haben sich auch die verschiedenen Sars-CoV-2-Varianten sehr unterschiedlich verbreitet: Hier in der Republik Kongo beobachteten wir Infektionswellen aufgrund von Varianten, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO gar nie als «besorgniserregend» eingestuft wurden. Hingegen wirkten sich etwa die Alpha- und die Betaversion weniger drastisch aus. Was in Europa oder Nordamerika läuft, spiegelt also nicht automatisch die Situation in Afrika wider.
Und machen Sie sich Sorgen wegen der aktuellen Situation in Afrika?
Wegen Covid-19 als Krankheit mittlerweile weniger. Todesursache Nummer eins ist bei uns Malaria. Auch an Tuberkulose, HIV/Aids, Cholera oder Meningitis sterben hier viele Menschen. Aber indirekt trifft uns die Pandemie natürlich immens.
Neuste Studien gehen davon aus, dass Afrika mittel- und längerfristig weltweit am stärksten von den ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen sein könnte. Teilen Sie diese Einschätzung?
Gerade die wirtschaftlichen Folgen sind extrem: Da die Republik Kongo für fast alles auf Importe angewiesen ist, merken wir unmittelbar und sehr stark, wenn in Europa oder China eine Krise herrscht und Handelsketten unterbrochen sind. Aber auch im Gesundheitswesen hat Covid Spuren hinterlassen. Mein Team und ich betrieben früher Malaria-, HIV- und Tuberkuloseforschung und -diagnosen für das ganze Land. Am Anfang der Pandemie hatten wir in der Hauptstadt Brazzaville nur zwei Labore, die PCR-Tests für solche Diagnosen machen konnten. Als Covid-19 ausbrach, verwendeten wir all unsere Kraft darauf und vernachlässigten die anderen Projekte.
War es falsch, so viele Ressourcen für Covid-19 aufzuwenden?
Nein. Wir leben schliesslich in einer globalisierten Welt und tragen eine gemeinsame Verantwortung, um uns gegenseitig zu schützen und neue Ausbrüche gefährlicher Varianten zu verhindern. Aber meine Arbeit zu den anderen Infektionskrankheiten kam dabei klar zu kurz – auch heute noch.
Internationale Hilfsorganisationen und die WHO prognostizieren, dass die Covid-Pandemie die Fortschritte von rund zwanzig Jahren Malaria-, HIV/Aids- und Tuberkulosebekämpfung zunichtemachen könnte. Was sagen Sie zu dieser Befürchtung?
Derzeit sieht es danach aus, als würde das von Ihnen genannte schlimmste Szenario der WHO nicht ganz eintreffen. Aber den Trend beobachten wir alle, auch wenn es von Land zu Land etwas unterschiedlich ist. In den zwei grössten Städten der Republik Kongo, Brazzaville und Pointe-Noire, hatten wir 2020 bis zu zwanzig Mal weniger Malariadiagnosen als vor der Pandemie. Natürlich war die Krankheit nicht verschwunden, aber die Menschen konnten nicht mehr in die Spitäler und Gesundheitszentren, wo aufgrund von Covid Geld und Personal fehlten. Gerade Kinder mit einer Malariainfektion müssen früh genug diagnostiziert werden, um sie erfolgreich behandeln zu können, sonst endet dieser Infekt oft tödlich. Oder wir hatten Tuberkulosepatient:innen, die wegen Covid-19 nicht mehr an ihre Medikamente kamen, was lebensbedrohlich sein kann. Zudem kann unbehandelte Tuberkulose hoch ansteckend werden.
Nach jahrzehntelanger Entwicklung wurde im Herbst 2021 immerhin der weltweit erste Malariaimpfstoff zugelassen. Ändert das die Situation?
Mit dieser Impfung wurde tatsächlich ein Meilenstein im Kampf gegen eine parasitäre Infektionskrankheit erreicht. Die Impfung wird im Rahmen des erweiterten Immunisierungsprogramms der WHO Kleinkindern in Risikogebieten verabreicht. Aber ich sehe ein Problem bei der geringen Wirksamkeit, die bei dreissig Prozent liegt. Das bedeutet nämlich, dass die Menschen weiterhin Schutzvorkehrungen treffen müssen – etwa konsequent unter imprägnierten Mückennetzen schlafen oder mit fiebrigen Kindern sofort zum Arzt oder zur Ärztin gehen. Wenn Eltern sich durch die Impfung in einer vermeintlichen Sicherheit wähnen, könnte das verheerend sein. Wir brauchen da sehr gute Aufklärung und müssen klar und verständlich kommunizieren. Immerhin sehe ich da bessere Chancen als bei Covid-19.
Wie meinen Sie das?
Jede und jeder hat eine Meinung zu Covid-19, aber die wenigsten stammen von echten Expert:innen. Im Kongo konsumieren wir nach wie vor viel französisches Radio und Fernsehen, in denen ein grosses Wirrwarr an Meinungen herrscht. Zu Themen wie Malaria kommt in diesen Sendungen nichts vor. Da wollen nicht alle mitreden. Das gibt uns die Möglichkeit, wenige, gute Expert:innen ins Rampenlicht zu bringen, die die Bevölkerung zuverlässig über unsere dringlichsten Gesundheitsprobleme informieren. Das Vertrauen in die Medizin muss unbedingt gestärkt werden. Leider gibt es da eine grosse Skepsis, das sieht man ja insbesondere auch bei Corona.
Skepsis wogegen genau?
Vor allem gegenüber den Coronavakzinen. Die Impfskepsis ist hier sehr gross, entsprechend niedrig ist unsere Impfquote.
Ist das nicht viel mehr ein Resultat der unfairen globalen Impfstoffverteilung?
Nur gerade zwei Prozent der in Afrika verabreichten Covid-Medizin wird auf dem Kontinent selbst hergestellt. Das ist ein riesiges Problem, ja. Ich weigere mich aber, ein Opfer zu sein – und leider haben unsere Regierungen zu lange und immer wieder auf westliche Geberländer und Organisationen vertraut. Um unabhängig zu werden, müssen wir selber investieren, und es gibt durchaus Geld in Afrika. Nur: Wo fliesst es hin? Aktuell kommt die kongolesische Regierung immerhin an verschiedene Impfstoffe heran: aus China, Europa, den USA, Russland oder durch die Africa CDC, die Afrikanischen Zentren für Seuchenkontrolle, die eingekaufte Vakzine weiterverteilen. Aber die Leute wollen die Impfung gar nicht wirklich. Ich habe wiederholt gefordert, dass wir die Menschen darauf vorbereiten und erklären müssen, warum wir uns gegen eine Krankheit impfen lassen sollen, von der wir direkt gar nicht so stark betroffen zu sein scheinen. Unsere Kommunikation hat aber komplett versagt.
Haben Sie sich als Wissenschaftlerin denn kein Gehör verschaffen können in der Öffentlichkeit?
Doch. Aber wenn es spezifisch um Impfempfehlungen geht, nutze ich meine Stimme lieber, um für Wissenschaftler:innen Werbung zu machen, die eine solche Kommunikation auch beherrschen: afrikanische Soziolog:innen oder Anthropolog:innen. Sie wurden aber noch viel zu wenig in das Management dieser Krise miteinbezogen. Wir haben in der Republik Kongo verschiedenste ethnische Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel indigene Gruppen im Norden, die zu einem grossen Teil sehr traditionell leben und denen man nicht einfach irgendwelche WHO-Plakate vor die Nase stellen und einen Effekt davon erwarten kann. Aber nicht nur bei der ländlichen Bevölkerung, sondern auch in den Städten ist die Impfskepsis gross.
Sie selbst sitzen auch im Afrikanischen Beirat der WHO. Hört man dort nicht auf Ihre Bedenken?
Vonseiten der WHO hat sich die Kommunikation wirklich noch nicht gross verbessert. Dabei ist das Problem bekannt. Zum Beispiel aus Guinea: Dort wollten sich bei einem der ersten Ebolaausbrüche im Jahr 2014 die Angehörigen von ihren Verstorbenen verabschieden und sie begraben. Als WHO-Vertreter:innen eintrafen und dies verbieten wollten, um Ansteckungen mit dem hochgefährlichen Virus zu verhindern, geriet die Situation ausser Kontrolle. Die Trauernden gingen mit Gewalt auf die Behörden los. Man hätte deutlich erklären sollen, dass bei Bestattungen Schutzkleidung getragen werden muss und warum die Toten kremiert und nicht einfach in der Erde beigesetzt werden sollen. Aber eben: Ich bin keine Kommunikationswissenschaftlerin, sondern Molekularbiologin. Als solche sitze ich im Vorstand des Regionalen Sachverständigenausschusses der WHO für traditionelle Medizin gegen Covid-19.
Wozu dient diese Stelle?
Wir untersuchen Gesuche für die Anerkennung naturmedizinischer Produkte. Rein pflanzliche Extrakte also, die gegen Covid-19 wirksam sein sollen. Vielleicht haben Sie von «Covid-Organics» gehört, ein Mittel basierend auf der Pflanze Artemisia, welches angeblich Covid-19 heilen kann. Es war international und auch unter afrikanischen Wissenschaftler:innen hoch umstritten, und bis heute konnten keine Resultate aus klinischen Studien eine echte Wirksamkeit dieses Naturprodukts gegen Covid-19 nachweisen. Unsere WHO-Stelle bietet Unterstützung bei der korrekten, wissenschaftlichen Beurteilung solcher Naturheilmittel.
Aber bislang wurde noch kein wirksames Naturmittel gegen Covid gefunden.
Nein. Viele Leute hier glauben, dass traditionelle Medizin nicht ernst genommen wird, weil sie nicht von «Big Pharma» komme und der Globale Norden nicht davon profitiere. Umgekehrt setzen aber sechzig Prozent der afrikanischen Bevölkerung ausschliesslich auf Naturmedizin. Das bedeutet, dass dieser Bereich für unseren Kontinent sehr wichtig ist und dass wir die Gesuche von solch pflanzlichen Wirkstoffen ernsthaft prüfen müssen.
Sie sind auch Mitglied der Africa CDC. Inwiefern konnte sich diese Institution wirksam in die Bekämpfung der Pandemie einbringen?
Die Africa CDC gibt zwar überregionale Informationen und Richtlinien heraus, aber implementieren müssen die einzelnen Länder diese selber. Dazu gehören natürlich mittel- und langfristige Investitionen in ihre eigenen Gesundheitsstrukturen. In Ruanda beispielsweise hat die Führung entschieden, Wissenschaft und Bildung mit viel Geld zu fördern. Und bereits heute, nach wenigen Jahren, erkenne ich dort einen Unterschied im Bildungsgrad der Bevölkerung. Auch die südafrikanische Regierung hat investiert, und in der aktuellen Krise kann sie mit eigenen Expert:innen zusammenarbeiten und erfolgreich eigene Strategien entwerfen. Davon sind wir in Kongo leider noch weit entfernt. Das war für mich persönlich auch ein Grund, zurückzukommen und bei der Entwicklung meines Landes mitzuhelfen.
Mit Ihrem eigenen Forschungslabor?
Genau. Ich war damals noch in Deutschland in einer guten Forschungsposition und im Vorstand internationaler Gremien. Es ärgerte mich aber sehr, dass die Länder in Zentralafrika sozusagen als «leerer Korridor» wahrgenommen wurden, als Zone, in der im Gegensatz zu Ost-, West- oder Südafrika nichts an Forschung läuft. Das wollte ich selber sehen und verbessern, deshalb ging ich 2008 zurück nach Kongo-Brazzaville. In Brazzaville konnte ich das erste molekularbiologische Labor der einzigen öffentlichen Universität im Land eröffnen. Um unabhängig zu sein, gründete ich eine Stiftung, über die ich Forschungsgelder beziehen konnte. Diese fliessen somit ohne Umwege direkt in meine Projekte.
In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich seit Jahrzehnten mit Infektionskrankheiten, darüber hinaus koordinieren Sie länderübergreifende Netzwerke zu deren Eindämmung. Warum ist dieser Forschungsschwerpunkt gerade in Zentralafrika so wichtig?
Wir haben mit dem grossen Regenwald im Kongobecken ein unglaublich dichtes Ökosystem mit vielen verschiedenen Tierarten. Während der bewaldete, nördliche Teil unseres Landes früher überhaupt nicht zugänglich war, sind diese Gebiete heute durch Strassen erschlossen und besiedelt worden. So kommen die Menschen auch mit neuen Krankheitserregern in Kontakt. Täglich entdecken Virolog:innen hier neue Viren, deren Funktionsweise unbekannt ist und die überwacht werden müssen. Viele grosse Epidemien sind tatsächlich in Zentral- und Westafrika entstanden. Wie schnell sie sich entlang von Reise- und Handelsrouten verbreiten können, sehen wir auf globaler Ebene jetzt auch mit Sars-CoV-2.
Hat die Coronapandemie womöglich auch positive Aspekte mit sich gebracht?
Definitiv. Unter Wissenschaftler:innen, gerade auch innerhalb Afrikas, hatten wir einen sehr guten Austausch von neusten Daten, Protokollen und Reagenzien. Auch die schnelle Entwicklung der Impfstoffe ist natürlich ein Erfolg, der im Kampf gegen andere Krankheiten helfen wird. In kurzer Zeit wurde international sehr viel Geld für die Forschung auf den Tisch gelegt – was bei Krankheiten wie Malaria nie in diesem Ausmass der Fall gewesen war.
Davon versprechen Sie sich einen langfristigen Nutzen?
Sicher wird die finanzielle Unterstützung der Covid-19-Forschung auch dem Kampf gegen andere Infektionskrankheiten zugutekommen. Ich konnte beispielsweise eine ganze Sequenzierausrüstung kaufen, mit der sich die Covid-Varianten analysieren und verfolgen lassen, aber auch andere Erreger wie Malaria oder gefährliche Bakterien. Umgekehrt waren wir durch die zeitweilige Ressourcenknappheit auch gezwungen, kreativ zu werden: Mit einem 3-D-Drucker haben wir Reparaturteile für teure Maschinen oder spezielle Plastikbehälter, die nicht mehr erhältlich waren, hergestellt. Sogar Prototypen von Beatmungsgeräten haben wir gedruckt – und die haben auch tatsächlich funktioniert.
Die Molekularbiologin
Nach Forschungstätigkeiten in Europa und Afrika gründete die Molekularbiologin Francine Ntoumi (60) in Brazzaville, der Hauptstadt von Kongo-Brazzaville, 2008 ein molekularbiologisches Labor. Es ist das erste an der einzigen öffentlichen Universität des Landes. 2015 baute sie das dazugehörige Forschungszentrum für Infektionskrankheiten auf. Ihre Forschungsfelder betreffen vor allem die Infektionskrankheiten Malaria und Tuberkulose wie auch HIV/Aids. Im Zuge der Covid-Pandemie ist ihr Labor auch mit dem Nachweis von Sars-CoV-2 und dem Tracking neuer Virusvarianten beschäftigt.
Neben ihrer Forschungstätigkeit ist Ntoumi in mehreren Institutionen engagiert. Sie ist Mitglied des gesundheitswissenschaftlichen Beirats der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und im Ausschuss der Behörde für klinische Versuche mit Covid-19-Impfungen der Afrikanischen Zentren für Seuchenkontrolle (Africa CDC). Sie koordiniert das Zentralafrikanische Netzwerk für Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria und das panafrikanische Netzwerk für das Management von Infektionskrankheiten. Zudem unterrichtet Francine Ntoumi an Universitäten in Brazzaville und Tübingen.
Corona in Afrika: Die indirekten Folgen
Mitte März 2020 verkündete Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass sich Afrika «auf das Schlimmste vorbereiten» müsse. Und die Wirtschaftskommission der Uno befürchtete, dass Covid auf dem ganzen Kontinent über drei Millionen Menschenleben kosten könnte.
Bis heute verzeichnet Afrika – mit einer Gesamtbevölkerung von bald 1,3 Milliarden Menschen – rund zehn Millionen Covid-Infektionen und knapp 237 000 Todesfälle. Länder im Norden und Süden waren bislang am stärksten betroffen: Über zwei Drittel von Afrikas Covid-Toten wurden in Ägypten, Tunesien, Marokko und Südafrika registriert. Obwohl Fachleute davon ausgehen, dass die tatsächlichen Infektions- und Todeszahlen um ein Vielfaches höher sein könnten als offiziell erfasst und vermeldet, scheint Afrika insgesamt tatsächlich weniger stark getroffen worden zu sein, als anfangs befürchtet worden war.
Über die Gründe herrscht noch keine Klarheit. Einerseits soll die demografische und immunologische Situation vor dem Virus schützen. Das heisst zusammengefasst: Die durchschnittliche Bevölkerung Afrikas ist verhältnismässig jung, und sie kam bereits oft mit Krankheitserregern in Kontakt, die zu einem gewissen Immunschutz gegen Sars-CoV-2 führten. Andererseits dürfte im Kampf gegen Corona in vielen afrikanischen Ländern auch die jahrzehntelange Erfahrung mit Infektionskrankheiten geholfen haben.
Noch immer sind weniger als zehn Prozent der afrikanischen Bevölkerung durch eine Impfung vor dem Virus geschützt – so wenig wie in keinem anderen Erdteil. Und immer deutlicher zeigen sich auch die indirekten Folgen der Pandemie. So sind in den letzten zwei Jahren die Staatseinnahmen und ausländische Direktinvestitionen länderübergreifend eingebrochen. Mit verheerenden Folgen – das der Uno angeschlossene Afrikanische Büro für Entwicklung geht davon aus, dass die ökonomischen Einbussen auf dem Kontinent über mehrere Jahre hinweg eine «indirekte Mortalität» auslösen werden: grösstenteils aufgrund einer erhöhten Sterblichkeit bei Kindern unter fünf Jahren, die an vermeidbaren ansteckenden Krankheiten sterben werden, weil sauberes Trinkwasser, Nahrung, ein sicheres Einkommen sowie der Zugang zu medizinischer Versorgung fehlen werden.
Johanna Diener