Ein Traum der Welt: Jollibee und Ehrenlegion
Annette Hug bewundert die Tatkraft einer Chevalière

Verschiedener hätten die zwei Orte nicht sein können: am Samstag die Filiale der philippinischen Fastfoodkette Jollibee in Mailand und zwei Tage zuvor die Salle Labrouste in der alten französischen Nationalbibliothek in Paris. Nach Mailand führte ein Ausflug des Vereins Studiyo Filipino, in Paris wurde die Kunsthistorikerin und Schriftstellerin Zahia Rahmani mit dem Orden Chevalier de la légion d’honneur ausgezeichnet. Der Laudator verwendete auch die weibliche Form: «Ritterin der Ehrenlegion».
Im Jollibee Milano kann man für 6,50 Euro essen, ein Menü mit Brathähnchen und Spaghetti «Filipino Style», das heisst mit süsser Sauce. Während der Anfahrt im Zug aus Zürich drehte sich das Gespräch um die Dekolonisierung von Wissen, die auch an ganz praktischen Problemen scheitert, zum Beispiel am Export von Büchern. Es klemmt überall: von den Produzenten über den Ämterparcours und die Post, die pennt, bis zu den Preisen privater Transportdienste. Während das Internet alles und jeden zu verbinden scheint, lagern in ärmeren Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gedruckte Bücher, die niemand vertreibt. Um sie lesen zu können, muss man hinreisen. Im Zug nach Mailand fragten wir uns, wie ein einfacher Verkaufskanal entstehen könnte und wie wir dahin kämen, dass zumindest eine Schweizer Universitätsbibliothek regelmässig philippinische Bücher sucht und einkauft.
In der Erinnerung an den Ritterschlag von Zahia Rahmani erhielt die Diskussion ein besonderes Flair. Als finde sie im sanften Licht jener Deckenlampen statt, die im hohen Bibliothekssaal den Eindruck erweckt hatten, als würde auch abends Sonnenlicht auf die Wandmalereien fallen und auf die Bücherregale in mehreren Galerien. Zahia Rahmani wurde unter anderem für ihre Pionierarbeit zu Kunst und Globalisierung im Nationalen Institut für Kunstgeschichte (INHA) ausgezeichnet.
In einem Monsterprojekt hat sie Spezialist:innen aus allen Weltgegenden versammelt, die künstlerische und intellektuelle Zeitschriften aus zwei Jahrhunderten zu einer Ausstellung und einer Datenbank zusammentrugen. In einer Schau, die in Dakar, Marseille, New York, Cali, Anvers und Paris zu sehen war, machten Hunderte von Titelbildern deutlich, dass die Moderne sehr früh viele Epizentren hatte. Oft waren das kleine, fragile Kollektive, deren Ringen um befreiende Ausdrucks- und Produktionsformen aus ihren Zeitschriften spricht.
Die Arbeit von Zahia Rahmani hat dazu geführt, dass die INHA nicht mehr genau gleich einkauft wie zuvor. In ihrer Dankesrede erinnerte sie an ihren Stellenantritt und an die Bemerkung eines Kollegen, der seine Vorstellung von aussereuropäischer Kunst in einer Warnung offenbarte: «Sie müssen aber wissen, wir studieren hier kein Makramee!» Dass Rahmani dieses Müsterchen aus dem rassistischen Alltag in der Salle Labrousse vortragen konnte, mit einem Orden der Ehrenlegion dekoriert, stimmte hoffnungsvoll. Während wir im Jollibee Milano fast eine Stunde lang aufs Essen warteten, unter dicht gedrängten Gästen und bei Saunatemperatur, trug mich noch immer die märchenhafte, aber realistische Vorstellung, dass die «Ritterin» Rahmani an zentraler Stelle eine Verknotung von Problemen erkennt, das Schwert hebt und den Knoten kunstvoll zerschlägt.
Annette Hug ist Autorin. Sie findet Mail Art aus Uruguay und fantastische chinesische Druckgrafik aus dem Schanghai der 1920er Jahre auf sismo.inha.fr, der Datenbank des Projekts «Sismographie des luttes» von Zahia Rahmani, die als Gastdozentin auch am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich anzutreffen ist.