Auf allen Kanälen: Bitte etwas sensibler

Nr. 27 –

Wenn Sachverständnis und Bewusstsein fehlen: Filipinas wehren sich gegen die Reproduktion kolonialer Stereotype in der NZZ.

Kanäle


Anfang Juni sorgte die NZZ für heftige Diskussionen innerhalb der philippinischen Community. Auslöser war ein Artikel zur Ausstellung der Fotokünstlerin Sina Niemeyer in Hamburg. In der gedruckten Ausgabe war ihr eine Doppelseite gewidmet, mit Bildern aus der Ausstellung und einem Begleittext des Bildredaktors Dario Veréb sowie Testimonials der Fotografin. Während die Bilder Filipinas und ihre (westlichen) Partner in scheinbar intimen Momenten zeigen, geht es im Text um philippinische Heiratsagenturen, deren Kunden und die Frauen, die sich dort anmelden.

Nach einer Einordnung sucht man allerdings vergeblich. Stattdessen erfährt man, wie die Künstlerin die Gefühlslage der Männer auslegt – «Am Ende der Reise war er aber mit den vielen Optionen überfordert» – oder wie sie das Ganze selber betrifft: «Es fühlte sich bedrückend an, zu hören, wie eine Mutter das Leben ihrer Tochter und deren Körper so bereitwillig für die Aussicht auf Geld weggeben würde.»

Aufklärung kostet

Das Unbehagen, das der Artikel in der philippinischen Community im deutschsprachigen Raum auslöste, entzündete sich einerseits an der anstössigen und voyeuristischen Darstellung. Zum anderen schockierten die Parallelen zu alten kolonialen Praktiken: Eine westliche Person reist in die grosse weite Welt, um zu Hause über die «exotischen Anderen» zu berichten. Manchen kamen unschöne Momente aus ihrer eigenen Biografie hoch, in denen sie aufgrund solcher sexistisch-rassistischer Stereotypisierungen selber schubladisiert worden waren.

Es folgte eine Debatte, ob man sich in einem Leser:innenbrief äussern sollte. Einige wünschten eine offene Konfrontation, andere waren zögerlich: Die Künstlerin meinte es doch sicher nur gut – wie wäre es, zunächst das Gespräch mit ihr zu suchen? Sie zu einem Kaffee einzuladen? (Besser noch: zu Reisküchlein?) Mit ihr eine Podcastfolge aufzunehmen? Doch solche Aufklärungsarbeit kostet nicht nur Zeit, sie kostet auch Nerven und ruft potenziell Traumata wach. Und wieso soll eine Künstlerin, die gefördert und gefeiert wird, nun auch noch umsonst eine Weiterbildung kriegen?

Der Verein Studiyo Filipino und ein breites Bündnis von Mitunterzeichnenden, darunter auch das Netzwerk Halo-Halo.de, wandten sich schliesslich in einem Brief an Sina Niemeyer, Dario Veréb und die NZZ und machten diesen als Leser:innenbrief publik (studiyo-filipino.ch/Leserbrief_NZZ). Darin wird auch die Exotisierung der philippinischen Frauen kritisiert sowie die rassistische, ahistorische und kontextlose Darstellung des Themas der Heiratsagenturen. Immerhin antwortete die Künstlerin, sie werde den Artikel mit der NZZ diskutieren und wolle sich mit Einzelnen aus der Community persönlich austauschen. Auch das 2019 in Wien gegründete Künstler:innenkollektiv Mai Ling kritisiert die Ausstellung aufs Schärfste, nicht zuletzt, weil sie Stereotype reproduziere, die Alltagsgewalt und Mikroaggressionen gegenüber philippinischen Frauen verstärken könnten.

Gerührt sein reicht nicht

In der Schweiz wehren sich philippinische Frauenvereine seit Jahrzehnten gegen eine solche Art der Berichterstattung und setzen sich dafür ein, die Assoziation von Filipinas mit dem Bild der sogenannten Cabarettänzerin zu dekonstruieren. All diese Arbeit unterläuft die NZZ mit ihrem Artikel. Es geht nicht allein um die Würde der Menschen, die durch den Text missachtet wurde, sondern auch um das Selbstverständnis und die fehlende Sensibilität der Schweizer Medien: Reichen Checklisten und Sensibilisierungsworkshops aus, um Redaktionen kultursensibler zu machen?

Für den Journalismus in einer postmigrantischen Schweiz genügt es nicht, gerührt zu sein, wenn Geflüchtete ertrinken oder Filipinas von Menschenhandel betroffen sind. Es gilt auch anzuerkennen, dass hier zahlreiche Schweizer:innen leben, die philippinischer Herkunft sind. Die sogenannten Anderen, die ständig als eine Minderheit dargestellt werden, sind schon lange Teil des Kernpublikums. Diese Diversität sollte auch bei den Schreibenden und in Redaktionen sichtbar werden. Es wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Die Linguistin Lenny Kaye Bugayong ist Vorstandsmitglied von Studiyo Filipino und unterstützt das Institut Neue Schweiz sowie die Aktion Vierviertel.