Am Verhandlungstisch: Der Mann für schwierige Fälle
Für die Räumung von Lützerath setzte der Energiekonzern RWE in der Auseinandersetzung mit Aktivist:innen auf den Inhaber einer Zürcher Verhandlungsfirma. Jetzt wird der deutsche Exbundespolizist medial gefeiert.
Wer die Website des Schranner Negotiation Institute besucht, merkt schnell: Die meinen es ernst. Zum Empfang erscheint zunächst ein opulentes Wappen, das einer deutschen Adelsdynastie entstammen könnte. Dann kommt gleich schon Matthias Schranner zielstrebig ins Bild gelaufen, stützt sich mit beiden Händen auf einen Tisch und blickt entschlossen in die Kamera. Hinter ihm hängt ein Bild von einem Plenarsaal der Vereinten Nationen. Willkommen beim Schranner-Institut, der Adresse für schwierige Verhandlungen aller Art.
Die um Schranner aufgebaute Firma hat ihre Adresse an der Limmatstrasse in Zürich, in den vornehmen Neubauten auf dem ehemaligen Löwenbräu-Areal. Schranner selbst ist ein ehemaliger deutscher Bundespolizist und wurde vom FBI ausgebildet. Früher verhandelte er mit Geiselnehmer:innen oder bei Banküberfällen. Heute begleiten er und seine Firma «Unternehmen, Politiker und Organisationen bei schwierigen Verhandlungen» – von der Uno bis zum Energiekonzern RWE.
In den letzten Tagen durfte Schranner in zahlreichen Medien über seine Verdienste bei der Räumung von Lützerath berichten: Seine Taktik habe die Aktivist:innen Pinky und Brain zum Aufgeben bewegt. Zuvor hatten sich die beiden anarchistischen Klimabewegten über mehrere Tage in einem Tunnel verschanzt und so die Räumung und die Zerstörung des Weilers durch RWE verzögert. Am Vormittag des 16. Januar verliessen sie den Tunnel von sich aus.
Allergisch auf Schwäche
In der deutschen Tageszeitung «Die Welt» beschreibt Schranner unter dem Titel «So bewegte ich die Aktivisten im Tunnel zum Aufgeben» seinen Einsatz. Dabei lobt er nicht nur die Polizei und seinen Auftraggeber RWE, sondern lässt auch Bewunderung für die beiden Aktivist:innen durchblicken. In verschiedenen Interviews betont er zudem, wie speziell der Einsatz gewesen sei, weil sich Pinky und Brain ganz bewusst in diese Situation begeben hätten. «Die Aktivisten waren sachlich und hatten einen Plan», lässt sich Matthias Schranner in den Tamedia-Zeitungen zitieren.
Selbstbewusste, mutige Entscheide: Das gefällt dem Verhandlungsprofi, der auch einen Lehrauftrag an der Universität in St. Gallen hat, auf Konferenzen spricht und in diversen Medien regelmässig Auskunft zu Themen aus dem Universum der Verhandlungen gibt. Wer seine zahlreichen Interviews liest, wird den Verdacht nicht los: Schranner verachtet Schwäche. Seine Idealperson stellt man sich als eine geballte Ladung aus polizeilicher Härte und neoliberaler Persönlichkeit vor: rational, emotionslos und getrimmt auf Leistung und Resultate.
Schranner ist aber auch Berater – und hat scheinbar zu allem etwas zu sagen. So etwa gab er in der «annabelle» Interviews zu Lohnverhandlungen – und liess dabei jegliches Gefühl für Machtasymmetrien vermissen: «Was nicht geht, ist bleiben und jammern», urteilt er über Angestellte, die nach gescheiterten Lohnverhandlungen nicht sofort die Konsequenzen ziehen. In jüngster Zeit fiel er auch mit Ferndiagnosen über mächtige Männer auf. Er riet dem Bundesrat öffentlich, wie man mit Donald Trump verhandeln müsse – und analysierte aus der Ferne Wladimir Putin und sein kriegerisches Wirken.
Doch während er bei Putin klare Worte zu dessen Kriegsverbrechen findet, hat er andernorts keine Berührungsängste. 2017 lud er David Petraeus nach Zürich an eine von ihm organisierte Konferenz zum Thema Verhandlungen ein. Der ehemalige CIA-Chef war als Oberbefehlshaber an den US-Kriegen gegen den Irak und Afghanistan beteiligt. Unter seinem Kommando wurden zahlreiche Kriegsverbrechen verübt. Für Schranner kein Problem: Petraeus wird auf der Firmenwebsite als Experte aufgeführt. Auf Nachfragen zur Geschäftsbeziehung mit dem Exmilitär antwortet das Unternehmen nicht. Und auf eine Gesprächsanfrage lässt das Büro ausrichten, der Chef habe keine Zeit und schon mit vielen Medien in der Angelegenheit gesprochen.
Früher Geiseln, dann Lohnverhandlungen und Unternehmensberatungen. Und nun also Lützerath. Doch Schranners selbstbewusste Erfolgserzählung über seinen Beitrag zur gewaltsamen Räumung von Lützerath ist zumindest fragwürdig. Aus dem Umfeld von Pinky und Brain ist zu vernehmen, dass gar keine erkennbare Interaktion mit Schranner stattgefunden habe. Es sei schlicht falsch, wie die Geschichte derzeit erzählt werde. Mehr war dazu nicht in Erfahrung zu bringen, weder von den Aktivist:innen noch von Schranner.
Die entscheidende Frage
In der aktuell verbreiteten Erzählung gehen derweil zwei wesentliche Aspekte unter: einerseits die Mittel, mit denen RWE seine Interessen durchsetzen wollte. Der Konzern plante, einen sogenannten Nottunnel zu graben, um Pinky und Brain gewaltsam aus dem Untergrund zu holen – trotz der Warnungen, dass dadurch das Leben der beiden Aktivist:innen ernsthaft gefährdet würde.
Andererseits geht vergessen, worum es bei der ganzen Aktion ging: weder um den Tunnel noch um damit verbundene Verhandlungen. Dies schrieben Pinky und Brain bereits in ihrer Stellungnahme: «Der Tunnel an sich hat keine Bedeutung, die entscheidendere Frage ist, warum er gebaut und besetzt wurde.»