Verkehrspolitik: Planung aus dem letzten Jahrtausend
Mitten in der Klima- und der Biodiversitätskrise will der ansonsten so sparwütige Kanton Bern zwei teure Strassen quer über die grünen Wiesen und durch Grundwassergebiete bauen.
Die Schulwegsicherheit im ganzen Kanton verbessern, indem viele neue Tempo-30-Zonen geschaffen werden? Das sei zu teuer für «die ohnehin schon knappen Kantonsfinanzen», befand die Berner Kantonsregierung im Januar. Das hindert sie aber nicht, zwei ebenso teure wie umstrittene regionale Strassenprojekte voranzutreiben. Nachdem unter anderem Grüne, SP, GLP, Umweltverbände und der VCS erfolgreich ein Doppelreferendum gegen die beiden «Luxusstrassen» ergriffen hatten, wird am 12. März im Kanton darüber abgestimmt.
Für budgetierte 618 Millionen Franken – wovon der Kanton 430 Millionen tragen müsste – sollen die Dörfer Aarwangen und Oberburg vom Durchgangsverkehr in den Oberaargau respektive ins Emmental entlastet werden. Dass der motorisierte Verkehr in den beiden Dörfern eine grosse Zumutung ist, bestreitet niemand: In Aarwangen passieren im Schnitt täglich rund 17 000 Fahrzeuge das Dorf – in Oberburg gar noch etwas mehr. «Der Kanton hat die Dörfer in den letzten dreissig Jahren mit dem Verkehr alleingelassen», sagt Benjamin Zumbühl vom VCS Kanton Bern. «Es braucht dringend Massnahmen – die nun geplanten Umfahrungsstrassen sind aber die komplett falschen.»
Der Kanton Bern will zwei Umfahrungen bauen, die aus einer Zeit zu stammen scheinen, als der motorisierte Verkehr noch für Fortschritt stand. Der Schein trügt nur bedingt: Zumindest die Umfahrungsstrasse Aarwangen basiert auf einer Planung aus den neunziger Jahren. Vorgesehen ist, den Verkehr mittels einer markanten Brücke über die Aare und dann durch Landwirtschaftsland und ein Schutzgebiet von europäischer Bedeutung sowie einen Tunnel zu führen. Das Kernstück der Umfahrung in Oberburg ist derweil ein kilometerlanger Tunnel unter dem Dorf und mitten durch einen wichtigen Grundwasserstrom.
Probleme in die Zukunft verlegt
Anschliessend würde der Verkehr aber bei beiden Projekten weiterhin mitten durch die jeweils angrenzenden Ortschaften und die Städtchen Burgdorf und Langenthal führen, die bereits heute unter dem enormen Durchgangsverkehr leiden.
Für Zumbühl vom VCS sind solche Strassenausbauten in Zeiten des Klimawandels inakzeptabel. «Es ist eine Tatsache, dass Strassenausbau Mehrverkehr generiert.» Die Probleme würden damit nur geografisch verschoben und in die Zukunft verlegt. Auch von ungewohnter Seite formiert sich Widerstand: Der regionale Bauernverband fasste letzte Woche die Nein-Parole. Kritisiert werden «Kulturlandverlust, Zerschneidung der Landschaft» und fehlender Einbezug durch die Politik.
Eine taugliche Alternative gäbe es für beide Projekte. Von weit her reisen Verkehrsplaner:innen jeweils in den Berner Vorort Köniz. Auch dort zerschneiden täglich 18 000 Fahrzeuge das Gemeindezentrum – Staus, Konflikte und Lärm gibt es aber viel weniger als in Aarwangen oder Oberburg. Denn die Hauptstrasse durch Köniz wurde 2001 in eine Tempo-30-Zone umgewandelt. Die Massnahme gilt als Vorzeigeprojekt. Auch bei der Umfahrung Aarwangen kam ein vom Kanton in Auftrag gegebener Bericht zum Schluss, dass eine solche weitaus günstigere Variante gegenüber der Umfahrungsstrasse besser abschneide. Dennoch hat man sich beim Kanton anders entschieden.
Der zuständige Kreisoberingenieur Roger Schibler schreibt dazu, dass «die vorliegende Lösung als Bestvariante aus gesamtheitlichen Vergleichen» hervorgegangen sei. «Ein Ausbau der Ortsdurchfahrt Aarwangen hätte zwar weniger Auswirkungen auf die Umwelt. Bei der vorliegenden Lösung überwiegen dafür der volkswirtschaftliche Nutzen, die Entwicklungsfähigkeit der ganzen Region, die Entlastung der Anwohnenden und die Verkehrssicherheit.» Die ökologische Gesamtbilanz falle positiv aus. Man habe «die Bevölkerung und die Betroffenen» bei den Projekten zudem «intensiv in die Lösungsfindung einbezogen».
Anders sieht dies alles die Bäuerin Eva Fuhrimann, deren Hof wenige Hundert Meter von der geplanten Umfahrungsstrasse Aarwangen entfernt liegt. «Bau- und Verkehrsminister Christoph Neuhaus hat uns Kritiker:innen in einem Interview als ‹Begleitmusik› betitelt.» Das fachte den Protest erst recht an: Bei einer Protestaktion fuhren siebzig Traktoren auf. «Die gewählte Variante ist für Landwirtschaft und Landschaftsschutz die schlechteste», sagt Fuhrimann. Gerade auch als Mutter störe es sie, wenn Boden zubetoniert und bisher unberührte Naherholungsgebiete zerstört würden – «und das erst noch mit Geldern, die wir im Kanton Bern bestimmt besser einsetzen könnten».
Begeisterte Baumeister
Tatsächlich dürfte bei einem Ja zu den Umfahrungsstrassen im Kanton noch mehr gespart werden. Geld fehlte dann nicht nur für Tempo-30-Zonen auf Schulwegen, sondern wohl auch für Massnahmen in anderen verkehrsgeplagten Ortschaften. Auch Bildung, Gesundheitswesen und die soziale Sicherung leiden bereits unter den beschränkten Mitteln des Kantons und dem selektiven Spareifer der bürgerlichen Mehrheit, die eben erst Steuersenkungen angekündigt hat. Auf Wachstum setzt man derweil beim Berner Baumeisterverband: Dieser ruft seine Mitglieder dazu auf, für ein Ja zu den Strassenprojekten zu werben. Sonst flössen die vom Parlament bereits genehmigten «500 Millionen Franken nicht in die Bauwirtschaft».