Demo zur Wohnungsnot: Zürcher Dachschaden

Nr. 8 –

Eine kleine Ortsstudie anlässlich einer aus dem Ruder gelaufenen Kundgebung.

Selbstbewusst wie immer steht der Zürcher Hauptbahnhof, diese Escher-Kathedrale von Fortschritt und Bewegung, an diesem Samstagabend in der Stadt. Aber was ist das nur für ein fürchterlicher Lärm? Schlagermusik ist zu hören, die aus einer Berghütte in der Empfangshalle erschallt. Ein sogenannter Schlemmerwald lädt hier mit Streetfoodständen zum Verweilen, wie die Werbung verkündet. Bloss sind wie so oft an solchen Grossinszenierungen auch heute nur wenige Gäste auszumachen.

Begleitet vom Schlagersound, wird plötzlich der ganze Bahnhof abgeriegelt. Aus dem Boden schiessen automatische Metallzäune in die Höhe, Polizist:innen riegeln die Eingänge ab. Der Bahnhof sieht jetzt nicht mehr wie ein Treffpunkt aus, sondern wie eine Grenzbefestigung. Bloss: Was wird hier beschützt? Darf man nicht rein, darf man nicht raus? Gibt ein Bahnhof, der sich selbst abschirmt, nicht seine Bestimmung preis: die Herstellung von Verbindungen, geografischen wie sozialen?

Glitzernde Spiegelfaust

Anlass zur Abriegelung ist eine Demonstration, die sich nebenan beim Nationalmuseum formiert hat. Wasserwerfer und Kastenwagen der Polizei sind auch schon da. «Reisst ihr unsere Häuser nieder, sehen wir uns in euren wieder!», steht auf einem Transparent. Anlass zur Kundgebung ist die Räumung des Kochareals, der letzten grossen Besetzung der Stadt (siehe WOZ Nr. 6/23). Die Forderung, die aus dem Lautsprecher tönt: selbstbestimmte Freiräume für Wohnen und Kultur. Kurz nachdem die Demo losmarschiert ist, stösst ein Traktor mit einer glitzernden Spiegelfaust auf einem Anhänger dazu. Vom Dach des Zollhauses, der neuen genossenschaftlichen Trutzburg, werden zur Begrüssung Leuchtpetarden abgefeuert.

Kurz verschwindet die Kundgebung in der Langstrassenunterführung, um an der Europaallee wieder aufzutauchen. Wie ein Mahnmal steht hier das geschlossene Kulturlokal Kosmos, dunkel die Fenster seit dem Konkurs. Es gab viele Gründe für das Scheitern – die teure Miete der SBB als Grundbesitzerin gehört auch dazu.

Im Umzug wird die Stimmung zunehmend aggressiv, bei neuen Luxusbauten werden die Scheiben eingeschlagen und der Mietzins an die Wand gesprüht: 5000 Franken kostet eine Wohnung neben dem Volkshaus, dem historischen Zentrum der Arbeiter:innenbewegung. Bald entlädt sich die Wut überall: Auch bei Gewerbetreibenden oder dem Architekturforum werden Schaufenster beschädigt. Gedankenlos werden Hammer und Sichel gesprayt, als würde eine linke Haltung von der Beschäftigung mit der Geschichte dispensieren.

Kein Rezept gegen die Aufwertung

Damit sind auch die Schlagzeilen zur Zerstörung gesetzt. Doch darüber hinaus stellen sich grundsätzliche Fragen. Auf Zürich lastet ein immer stärkerer Immobiliendruck, der sich insbesondere in den Kreisen 4 und 5 entlädt. Häuser werden abgerissen, Neubauten wie folgt angepriesen: «Deine Loftwohnung mitten im Trendquartier. Der Kreis 4 gilt als Inbegriff der Zürcher Downtown. Ob Studi, Künstlerin, Akademikerin, Büezer oder Beizer – hier fühlen sich alle zuhause.» Angesichts der ausgeschriebenen Nettomieten – in diesem Fall ab 3500 Franken – dürfte es für die meisten mit der Gemütlichkeit schnell vorbei sein.

Das rot-grün regierte Zürich schafft es derzeit kaum, etwas gegen diese Aufwertung zu unternehmen; sie verstärkt sie durch eine neue, rigide Haltung gegen Besetzungen sogar noch. Die Bürgerlichen, originell wie immer, rufen nach mehr Polizeikontrollen. Und was macht die SBB, die als Service public doch eigentlich allen gehört, aber auch einer der grössten Immobilienspekulanten des Landes ist? Letzte Woche machte der «K-Tipp» publik, dass die Bahn neuerdings die Bewegungen der Passagiere in den Bahnhöfen vermessen will, zur weiteren Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes.

Wer sich über den Sachschaden als Folge der Demonstration empört, darf zum Dachschaden der Zürcher Stadtentwicklung nicht schweigen.