Ein Traum der Welt: Übermächtiges Monster

Nr. 12 –

Michelle Steinbeck sagt Danke

Sie hat es wieder getan! Bei der Pressekonferenz zum Untergang der Credit Suisse liess Finanzministerin Karin Keller-Sutter verlauten, sie sei nicht nur der UBS dankbar, die gerade für ein Drei-Milliarden-Butterbrot ihre Konkurrentin gefressen hat. Nach einer kurzen Denkpause sagte sie: «Wir sind auch der CS dankbar.»

Wer nicht? Zum ersten Mal seit dem Coronalockdown gibt es dank des Abkratzens der Bank ein aufregendes Sonntagabendprogramm mit hohen Einschaltquoten bei einer bundesrätlichen Pressekonferenz. Und wir wurden nicht enttäuscht: Wir erlebten die (leicht angepasste) Wiederkehr des vielleicht ehrlichsten und schönsten Bundesratsgags aller Zeiten: «Danke, Banke!» (Copyright: KKS-Vorgänger «Kei-Luscht-Ueli» Maurer)

Im Ernst, wir dürfen dankbar sein. Dem Bundesrat fürs klare Aufzeigen der Prioritäten, für die Erinnerung, in welchem Land wir leben: Die Schweiz ist zuallererst und überhaupt ein Finanzplatz. Und nicht zuletzt danken wir den Bankern für ihre schamlose Ehrlichkeit. Wie sagte der Noch-CS-Chef bei der Pressekonferenz? Mit dem zuversichtlichen Lächeln des Kapitäns auf dem sinkenden Schiff: «Diese Woche haben wir die fünfzig Milliarden [der Nationalbank] gezogen, und das hat, glaub ich, sehr, sehr gut geklappt.» Wenn er es sagt!

Ich persönlich bin auch immer dankbar, wenn an der Uni jemand aufstreckt und sinngemäss sagt: «Ich tscheggs nöd.» Meistens spricht diese mutige Person ja aus, was alle denken. Am Sonntag war das etwa SRF-Wirtschaftsredaktor Reto Lipp, der in der «Arena» nach der Pressekonferenz zugab, er habe nicht ganz verstanden, wieso «schlussendlich doch der Staat und der Steuerzahler in der Verantwortung stehen, wenn es schiefgeht».

Es scheint an der Materie zu liegen, dass offenbar niemand wirklich verstehen muss, was da passiert. Wenn bei dieser Presse­konferenz und den Debatten drumherum eines klar wird, dann das: Wir haben es mit einem übermächtigen Monster zu tun, dessen Wesen zu fassen die menschliche Erkenntnisfähigkeit übersteigt. Niemand hat es je mit eigenen Augen gesehen, aber Erzählungen lassen ein vielköpfiges, äusserst gefrässiges Gewürm erahnen, das wie ein Pilzgeflecht die ganze Welt überwuchert und kontrolliert. Dieser gigantische Organismus agiert nicht nach naturwissenschaftlichen oder logisch nachvollziehbaren Gesetzen, sein Verhalten scheint durch seinen gefährlich aufbrausenden Charakter ganz und gar unvorhersehbar – besonders wenn er so aufgebracht ist wie jetzt.

Es war dieses Monster, das die CS ausgesaugt hat, bis die in der Bankenambulanz herbeigeeilte Finanzministerin nur noch feststellen konnte: «Diese Bank ist nicht mehr lebensfähig.» Verständlich, dass gerade nach dieser Gräueltat das Monster nicht weiter gereizt werden soll. FDP-Präsident Thierry Burkart versucht es mit rhetorischer Diplomatie: «Mir münd eus ehner überlege: weniger reguliere, det defür vill schlagchräftiger.» Konkret gibt es aber nur eines, um das Monster für den Moment zu beruhigen: «150 Millione, äh Milliarde. Das sind Beträg, da wirds mir schlächt.» Damit hat SRF-Lipp natürlich recht, kein Mensch könnte je so eine Summe schlucken. Aber, wie Mattea Meyer von der SP moniert, hier geht es eben nicht um «Menschen». Es geht, wie die Finanzministerin sagt, «um viel mehr». Danke!

Michelle Steinbeck ist Autorin und Studentin der Soziologie.