Auf allen Kanälen: Alles nur geklaut

Nr. 13 –

Die linksautonome Plattform barrikade​.info publiziert derzeit in Tranchen eine vor Jahren begonnene, unfertige Recherche der «Republik» – ohne deren Einverständnis.

Montage: Die Logos des «Republik»-Magazin, «Barrikade»-Webseite und Unia-Gewerkschaft

Ein Autor:innenteam der «Republik» hatte vor fünf Jahren monatelang zur grössten Gewerkschaft der Schweiz recherchiert. In der Unia tobte seit Jahren ein Konflikt um die Ausrichtung der Gewerkschaft und ihr demokratisches Selbstverständnis nach innen. Verschiedene Medien berichteten häppchenweise darüber, auch die WOZ. Eine zusammenhängende Darstellung dieser Geschichte aber fehlte bislang. Daran arbeitete das Team der «Republik». Anfang 2018 lag ein Zwischenergebnis vor als bereits weitgehend ausformuliertes, vierzig Seiten umfassendes Manuskript, das die Sichtweise der Gegner:innen der nationalen Unia-Leitung abbildete. Die Recherche war gewissermassen halbfertig, also noch nicht publikationsreif.

Unklare Motive

Dann passierte, was die Recherche letztlich abstürzen liess. Ein Mitglied des Autor:innenteams, das nicht mehr bei der «Republik» arbeitet, liess diese Version den innergewerkschaftlichen Gegner:innen der Unia-Leitung zukommen. Fortan kursierte die Recherche unter Journalistinnen und Gewerkschaftern. Angesichts dessen, dass die Recherche noch nicht abgeschlossen gewesen sei, sei das Leak «kein kleiner Vertrauensbruch» gewesen, sagt «Republik»-Kogeschäftsführerin Katharina Hemmer. Die «Republik» machte sich trotz allem daran, die Recherchelücken zu schliessen und einen publikationsreifen Text zu verfertigen.

Als dann aber im Jahr 2019 die Zeitungen von CH Media auf Basis der geleakten halbfertigen Recherche eine Doppelseite publizierten, war die Geschichte für die «Republik» endgültig gestorben. Politische Rücksichtnahmen hätten dabei keine Rolle gespielt, sagt Hemmer. Vor einer Woche ploppte die Geschichte wieder auf, der Mediendienst «Klein Report» meldete: «Linkes Kollektiv zerrt Unia-kritische ‹Republik›-Storys an Öffentlichkeit.» Mittlerweile sind drei weitere Folgen erschienen. Über die Motive, weshalb die anonym agierende Plattform eine fünf Jahre alte, unvollständige Recherche ohne Einverständnis der Urheber:innen publiziert, schweigen die Betreiber:innen. Im vergangenen September erhielt die «Republik» übrigens ein erpresserisches Mail. Darin wurde sie aufgefordert, die Geschichte zu publizieren, ansonsten werde sie andernorts veröffentlicht. Das ist nun geschehen. Unvermittelt, ohne Einordnung, ohne Offenlegung der Motive. Sollte das als Kampagne gedacht gewesen sein, ist sie stümperhaft gescheitert.

Klar ist allerdings: Die Veröffentlichung des Textes verstösst gegen das Urheberrecht. Auf Antrag kann dies mit einer Busse oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden. Möglicherweise sind auch die Persönlichkeitsrechte der Mitglieder der angegriffenen Unia-Leitung verletzt, deren Sichtweise die «Republik» damals noch nicht eingeholt hatte. Die Chancen, die aus der Anonymität agierenden Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sind allerdings verschwindend gering.

Was funktionieren könnte: die Löschung der Texte zu verlangen. Genau das versucht die «Republik». Sie hat die linksautonome Plattform aufgefordert, die bislang publizierten Teile aus dem Netz zu nehmen. In die Verantwortung nehmen könnte das Onlinemagazin auch den Provider von barrikade.info. Der Schaden für die «Republik» ist jedenfalls erheblich. Die Unia-Geschichte sei mit Sicherheit der nervenaufreibendste und teuerste «Rechercheunfall der damals noch jungen ‹Republik›» gewesen, sagt Katharina Hemmer.

«Collage von Schauermärchen»

Und wie reagiert die Unia? Sie habe die Publikation auf barrikade.info zur Kenntnis genommen und behalte sich rechtliche Schritte vor, teilt die Gewerkschaft auf Anfrage mit. Offensichtlich wärme hier jemand Jahre zurückliegende Anschuldigungen auf, um der Unia zu schaden. Zu dieser «neuen Collage von Schauermärchen» sei die Unia nie befragt worden. Sie sehe auch keinen Anlass, das im Nachhinein zu kommentieren.

Interessant wäre, wie der Presserat den dreisten Klau und seine möglichen Folgen beurteilt. Er ist zuständig für Publikationen, die «Ergebnis journalistischer Tätigkeit» sind. Reine Propagandainhalte gehören nicht dazu. Ob sich der Presserat dieses Falls annimmt, hängt also davon ab, ob er barrikade​.info als Propagandaplattform einstuft. Womöglich ist dies allerdings ein Spezialfall, der eine medienethische Beurteilung verdient hätte.