Brisante Studie: Die erfundene Vergangenheit

Nr. 13 –

Forschung kann hitzigen Debatten eine kühle neue Wendung geben. Das zeigt eine am Dienstag vorgestellte, vom Präsidialdepartement in Auftrag gegebene Studie zu zwei Häuserinschriften in der Zürcher Altstadt: «Zum Mohrentanz» an der Niederdorfstrasse und «Zum Mohrenkopf» am Neumarkt. Das wegweisende Ergebnis der Studienautor:innen Ashkira Darman und Bernhard C. Schär: Die umkämpften Inschriften sind viel weniger alt, als stets angenommen und suggeriert wird. Tatsächlich wurden sie erst im 20. Jahrhundert angebracht, im Zuge einer «Erfindung der Altstadt». Man wollte damals die unpopuläre Altstadt in eine Art Freilichtmuseum verwandeln: in einen «Sehnsuchts- und Kontrastort» zur beschleunigten Gegenwart, wie Darman und Schär schreiben. Dabei bezog man sich auf Überlieferungen, die Inschriften waren zuvor aber längst entfernt oder durch andere ersetzt worden.

In den politischen Debatten der letzten Monate wurde stets angemahnt, man könne nicht einfach Zeitzeugen entfernen und in eine ungebrochene historische Tradition eingreifen. Nun machen die neuen Recherchen klar: Ja, die Fassadeninschriften sind Zeitzeugen. Nur zeugen sie von einer ganz anderen Zeit und von einem anderen Kontext, als ihre Verteidiger:innen das gerne hätten. Sie erinnern offenbar weniger ans Spätmittelalter oder ans 17. Jahrhundert, sondern an eine Phase im 20. Jahrhundert, als man sich die Vergangenheit neu erfunden und zurechtgelegt hat.

Ebenfalls wichtig: Die Studie zeigt, dass das M-Wort immer schon abwertend war. Es ist nicht so, wie heute oft behauptet wird, dass der Begriff nur von einer als allzu sensibel gerügten Gegenwart problematisiert wird. Die Quellenforschung ergibt nun, «dass der ‹M*****›-Begriff sowie die dazugehörige Ikonographie nahezu immer hierarchisierend und abwertend waren».

Nach den Black-Lives-Matter-Protesten und einer Intervention des antirassistischen Kollektivs «Vo da» beschloss der Zürcher Stadtrat 2021, die Inschriften abdecken zu lassen. Dagegen legte der Heimatschutz Rekurs ein – mit dem Argument, die Inschriften seien «denkmalpflegerisch wertvoll» – und bekam in erster Instanz kürzlich recht. Die Stadt will das Urteil weiterziehen. Mit den neuen Studienergebnissen wird es sehr viel schwieriger sein, für eine Bewahrung der Inschriften zu plädieren.  

Der ganze Bericht findet sich hier: www.stadt-zuerich.ch (PDF-Datei)