Denkmalsturz: Nieder mit Waldmann!
Es gibt gute Gründe, manchen Denkmälern eine weitere Daseinsberechtigung im öffentlichen Raum abzusprechen. Zum Beispiel jenem für Hans Waldmann in Zürich.
Versuchen wir, uns den Sturz eines Denkmals vorzustellen, so kommen uns unweigerlich Bilder einer zornigen Menge in den Sinn, die bei revolutionären Umbrüchen als gleichsam «symbolische Hinrichtung» eine Statue malträtiert: ein Stalin-Denkmal in Budapest 1956 während des Ungarnaufstands etwa oder ein Lenin-Denkmal auf dem Maidan in Kiew 2013. Doch solch eruptive Handlungen sind höchst selten. So leicht kann man einem Monument nicht beikommen, Planung und geeignete Werkzeuge sind angebracht.
Wann ist ein Sturz legitim?
Viel häufiger werden Denkmalstürze in bürokratischen Bahnen organisiert – ein «Vandalismus von oben», der einhergeht mit Dekreten und Vorschriften. Angefangen bei der Französischen Revolution, die zur Demontage aller königlichen Denkmäler führte, wurde der Sturm auf die Monumente im 20. Jahrhundert zu einem charakteristischen Bestandteil des politischen Macht- oder Systemwechsels. Als öffentlich gesetzte Zeichen, die von den gerade überwundenen Machtverhältnissen zeugen, empfand man die Monumente als unerträglich: Für sie sollte kein Platz mehr sein im neu besetzten öffentlichen Raum.
So wurde 1918 in der sozialistischen Republik Russland ein Dekret über die «Demontage von Denkmälern zu Ehren der Zaren und ihrer Diener» veröffentlicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg erliess der Kontrollrat der Besatzungsmächte 1946 die «Anweisung Nr. 30» zur «Liquidierung deutscher militärischer und Nazi-Denkmäler und Museen». 1992, nach der Wende, sprach eine Kommission, die sich mit dem Verbleib der Denkmäler der ehemaligen DDR beschäftigte, diesen die Existenzberechtigung ab.
In Zeiten historischer Umbrüche, wenn Geschichte neu oder umgeschrieben wird, stösst der Sturz von Denkmälern auf Akzeptanz. Komplizierter ist es, sollen sie in Friedenszeiten die städtische Bühne verlassen. Im englischen Bristol diskutierte man kürzlich über die Umbenennung von Strassen, Schulen und einer Konzerthalle, und auch über die Abschaffung eines Denkmals zu Ehren von Edward Colston (1636–1721). Bristol war zu jener Zeit neben Liverpool und London ein Zentrum des Sklavenhandels – und Colston war massgeblich daran beteiligt. Das Geld, mit dem er Schulen, Armenhäuser, Spitäler und Kirchen wohltätig unterstützte, stammte zu grossen Teilen aus dem Sklavenhandel.
In den LeserInnenbriefen, die das Vorhaben der Namenstilgung und des Denkmalsturzes begleiteten, wird deutlich: Zwar sind sich alle einig, dass der Sklavenhandel eine schlimme Sache gewesen ist. Zugleich, so wird argumentiert, seien nun aber viele Jahre vorbei, man könne daran nichts mehr ändern. Colston habe auch viel Gutes getan, er habe Bristol zum heutigen Ansehen verholfen. Wer ihn ausradieren wolle, der würde damit Geschichte zum Schweigen bringen.
Aber wird Geschichte nur über Namen und Denkmäler im öffentlichen Raum vermittelt? Das würde bedeuten, dass wir alles vergessen, was dort nicht vorkommt. Denkmäler sind ja nicht nur historische Zeugen, sondern ebenso für die Ewigkeit gedachte öffentliche Würdigungen: Soll Colston also weiterhin und für alle Zeiten als Held auf dem Sockel stehen? Oder sollte man ihn nicht wenigstens in Schräglage versetzen, wie dies von KünstlerInnenseite für das Karl-Lueger-Denkmal in Wien vorgeschlagen wurde, das um 1900 zu Ehren eines antisemitischen Bürgermeisters errichtet worden war? Und warum nicht ein einzelnes, auffällig fragwürdiges Monument aus einer ansonsten erhalten bleibenden Denkmallandschaft entfernen, zum Beispiel das bronzene Reiterstandbild des umstrittenen Kriegshelden und Bürgermeisters Hans Waldmann in Zürich, das bereits bei seiner Errichtung 1937 ästhetisch veraltet war?
Frauen nur namenlose Nacktheiten
Ein Denkmal ist nicht nur Geschichte. Es ist auch Gegenwart, es teilt jetzt den Raum der Stadt mit mir und erhebt seine Stimme. Muss ich den Respekt aufbringen, diese für immer mit anzuhören, oder ist es rechtens, ein einzelnes Votum – auch ohne Krieg oder Revolution – zum Schweigen zu bringen?
Dazu kommt: Die Monumente aus dem 19. Jahrhundert wurden von Männern in Auftrag gegeben, von Männern entworfen und gestaltet, von Männern im öffentlichen Raum platziert – die männlichen Helden ebenso wie auch die vielen nackten allegorischen Frauengestalten. Die Kunsthistorikerin Silke Wenk ist überzeugt, dass ihre Existenz im Stadtraum «zur Erhaltung der herrschenden Ordnung» beiträgt, «die Frauen und Männern immer noch fixierte Positionen zuweist, die als ‹natürlich› gelten». Denkmäler sind ja nicht nur passive Dinge, die in einen vorhandenen öffentlichen Raum eingefügt werden, sondern sie sind selbst daran beteiligt, diesen öffentlichen Raum herzustellen. Was wir in unserer Stadt antreffen – Strassenzüge, Gebäude, Denkmäler –, trägt alles dazu bei, uns bewusst und unbewusst zu formen und zu beeinflussen.
Das bedeutet nicht, dass sämtliche Allegorien und männlichen Denkmalhelden zu entfernen wären, sie haben ihre Berechtigung als historische Zeugnisse. In Zürich steht Alfred Escher prominent vor dem Hauptbahnhof, Huldrych Zwingli vor der Wasserkirche, Johann Heinrich Pestalozzi auf einer Wiese neben der Bahnhofstrasse. Alle diese Denkmäler wurden noch im 19. Jahrhundert aufgestellt, ihre Präsenz ist in einen historischen Kontext eingebettet. Nicht so Hans Waldmann vor der Fraumünsterkirche. Seine Aufsockelung wurde erst nachträglich forciert, nachdem man diese Ehrung lange verhindert hatte.
Der zwielichtige Waldmann
Als Held gilt Hans Waldmann (1435–1489) vor allem als Heerführer in der Schlacht bei Murten. Danach nahm er Einsitz in der adligen Zürcher Gesellschaft der Constaffel, als Zunftmeister der Zunft zum Kämbel gehörte er dem Stadtrat an. Schliesslich wurde der Emporkömmling aus dem niederen Stand der Handwerkerschaft sogar Bürgermeister der Stadt Zürich. Sein Machtwille und seine Bereicherungen stiessen jedoch zunehmend auf Widerstand. Als er die Freiheit der Landbevölkerung immer rigoroser einschränkte, führte das zu offener Empörung, zu Waldmanns Verhaftung und schliesslich zu seiner Hinrichtung am 6. April 1489.
Trotz dieses unrühmlichen Endes entschloss sich die Zunft zum Kämbel 400 Jahre später aus Anlass einer patriotischen Jubiläumsfeier, ihrem einstigen Zunftmeister – und damit sich selbst – ein Denkmal zu setzen. Die breite Unterstützung blieb allerdings aus. Und als der Zürcher Historiker Ernst Gagliardi in einer Studie zeigte, dass Waldmann zwar Grosses geleistet, aber vor Bestechung und Korruption nicht haltgemacht habe und keine staatsmännisch überragende Figur gewesen sei, schien das Anliegen endgültig vom Tisch zu sein. Gagliardi hatte das von Heroisierung und patriotischer Überhöhung geprägte Waldmann-Bild des 19. Jahrhunderts gründlich demontiert. Das Denkmalkomitee löste sich Ende 1911 auf.
Die Zunft zum Kämbel aber mochte sich damit nicht abfinden. Mithilfe des damaligen Zürcher Stadtpräsidenten Emil Klöti und angesichts der Bedrohung durch Nazideutschland stilisierte man Waldmann zum Verteidiger eidgenössischer Interessen hoch. Am 6. April 1937 wurde das Denkmal eingeweiht. Klöti sprach vom «bedrohten Vaterland» und hoffte, die Rückbesinnung auf Waldmann könne helfen, die Schweizer Einheit gegenüber faschistischen ausländischen Kräften zu festigen. Die sozialistische «Freie Jugend Zürich» konterte, Waldmann sei selber ein «Peiniger und Henker des Volkes» gewesen, ein Faschist, der in der «Ära Hitlers, Görings und Mussolinis» leider wieder zum Vorbild werde.
Auch der Historiker Georg Kreis kam 2008 zum Schluss, in ihrem Willen zur Selbstbehauptung habe sich die Schweiz angesichts totalitärer Systeme zum Teil ähnlicher Mittel bedient wie ebendiese. Mit Waldmann, so könnte man behaupten, stellte die Schweiz den umgebenden Despoten einen ebensolchen entgegen – in Denkmalform.
Gestaltet hat das Denkmal Hermann Haller (1880–1950), der damals bekannteste Bildhauer der Schweiz, der sich ansonsten vor allem nackten Frauenfiguren in Grünanlagen verschrieb. Gegenüber GegnerInnen des Denkmals wurde gern argumentiert, die Stadt Zürich werde damit um ein bedeutendes Kunstwerk reicher. Wenn das Monument inhaltlich nicht gefalle, sollte es wenigstens als Kunstwerk akzeptiert werden – so hoffte man. Just als solches aber wurde es schnell zum Objekt von Witzen, Karikaturen und Glossen. Ganz abgesehen von spezifischen ästhetischen Fragen: Seit dem Ersten Weltkrieg war die Zeit für Personendenkmäler eigentlich vorbei. Diese Art der verherrlichenden Huldigung galt als den politischen Realitäten nicht mehr angemessen. Doch im Zuge der geistigen Landesverteidigung besann man sich wieder vermehrt auf konservative Werte und ordnete die Kultur der Staatsräson unter.
Alternativen gibt es genug
Nicht wenige Denkmalshelden haben Dreck am Stecken. Sie deswegen alle stürzen zu wollen, wäre vermessen. Beim Waldmann-Denkmal kommen aber viele Gründe zusammen, die einen Abbau nahelegen. Nicht nur war er keine überragende politische Persönlichkeit, sein Denkmal entstand zudem aus einer Krisensituation heraus – nicht aus Überzeugung, sondern als Mittel zum Zweck. Auf dem Sockel wird Waldmann nur als «Feldherr und Staatsmann» bezeichnet, die unrühmliche Zürcher Zeit wird verschwiegen.
Was hindert uns daran, diesen fragwürdigen Helden aus Zürichs Mitte wieder verschwinden zu lassen? Und gleichzeitig über andere Gestaltungsmöglichkeiten dieses zentralen Ortes nachzudenken? Ideen gäbe es genug. Man könnte die laut Wikipedia von einem verschrotteten italienischen Unterseeboot stammende Bronze wieder einschmelzen und – wie in der Geschichte häufig geschehen – das Denkmal zu Münzen oder Medaillen für Liebhaber umformen. Als Erinnerungstaler könnten sie mit Bild und Inschrift an Waldmann erinnern und verkauft werden – zugunsten der Finanzierung eines neuen Denkmals oder auch wechselnder Kunstwerke auf Waldmanns Sockel.
Brita Polzer, geboren 1954, arbeitet als Redaktorin beim Schweizer Magazin «Kunstbulletin» und als Dozentin an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich.