Auf allen Kanälen: Gefangener des FSB

Nr. 14 –

Der in Jekaterinburg verhaftete US-Journalist Evan Gershkovich könnte dem russischen Regime als Pfand dienen, um Spione freizubekommen.

stilisiertes Logo mit den kyrilischen Buchstaben des russischen Geheimdienst  FSB

Spionagevorwürfe gegen ausländische Journalist:innen stellen in der neueren russischen Geschichte ein Novum dar. Sogar zu Sowjetzeiten waren sie eine absolute Ausnahme. Mit der Festnahme von Evan Gershkovich, einem Korrespondenten des US-amerikanischen «Wall Street Journal», am Mittwoch vergangener Woche in Jekaterinburg trägt Russland zu einer weiteren Eskalation in den ohnehin miserablen Beziehungen zu den USA bei.

Der Kremlsprecher Dmitri Peskow stellte klar, dass es sich in dem Fall nicht um einen Verdacht handle: Der US-Amerikaner sei «auf frischer Tat gefasst» worden. Der ermittelnde russische Inlandsgeheimdienst FSB sieht es als erwiesen an, dass Gershkovich «im Auftrag der amerikanischen Seite» dem Staatsgeheimnis unterliegende Daten über einen Rüstungsbetrieb gesammelt habe.

Von der Aussenwelt isoliert

Sollte es zu einem Prozess kommen, drohen dem Journalisten bis zu zwanzig Jahre Freiheitsentzug. Da die Strafsache der Geheimhaltung unterliegt, sind keine Details bekannt. Sogar der Haftprüfungstermin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Komplett von der Aussenwelt isoliert, befindet sich Gershkovich nun bis auf Weiteres im Moskauer Lefortowo-Gefängnis, in dem fast ausschliesslich Personen inhaftiert sind, gegen die der FSB ermittelt.

Der 1991 in New York geborene Sohn jüdischer Einwander:innen aus der Sowjetunion arbeitete seit 2017 mit Unterbrechungen in Moskau. Nach einer ersten kurzen Kar­riereetappe bei der «New York Times» beschloss Gershkovich, direkt aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu berichten. Zunächst schrieb er dort für die englischsprachige Zeitung «Moscow Times», später für die Nachrichtenagentur Agence France Press und seit Anfang 2022 schliesslich für das «Wall Street Journal» – sein «Traumjob», wie es Pjotr Sauer, Journalistenkollege und Freund, in einem Beitrag für den britischen «Guardian» ausdrückte.

Gershkovich gilt in seinem beruflichen Umfeld als passionierter Journalist mit fundierten Landeskenntnissen und einem feinen Gespür für die Untiefen des Lebens in Russland. Letztes Jahr versuchte er in seinen Artikeln zu beschreiben, wie sich das Land im Zuge des Krieges gegen die Ukraine verändert. Dieses Interesse hatte ihn in den Ural geführt – das Herz des russischen militärisch-industriellen Komplexes. In Jekaterinburg traf er auf Wjatscheslaw Wegner, einen Abgeordneten von Putins Partei Einiges Russland im lokalen Gebietsparlament.

Wegner berichtete der russischen Agentur Tass und im Staatsfernsehen von dem Treffen. Der Journalist habe ihm allgemeine Fragen zur Rüstungsindustrie gestellt und ganz konkrete zum für die Entwicklung von Raketensystemen zentralen Unternehmen Nowator. Zur Sprache kamen gemäss Wegner insbesondere Probleme bei der Produktionsumstellung auf Rüstungsgüter, bei der Schichtarbeit und mit einzelnen Kadern.

Auch nach seinem Verhältnis zur Wagner-Söldnertruppe unter Leitung von Jewgeni Prigoschin habe ihn Gershkovich gefragt. Da Wegner als Abgeordneter mit Personen zu tun hat, die sich freiwillig für einen Fronteinsatz melden wollen, erscheint dieses Gesprächsthema keineswegs ungewöhnlich. Aber wer in einem Staat im Kriegszustand dergleichen fragt, steht schnell unter Generalverdacht. Dem oppositionellen Nachrichtenportal «Agentstvo» teilte ein namentlich nicht genannter ausländischer Journalist mit, dass ihm Gershkovich vor seiner Festnahme berichtet habe, er werde von FSB-Angehörigen beschattet.

Das Aussenministerium dementiert

Expert:innen wie die Politologin Tatjana Stanowaja des Carnegie Russia Eurasia Center vermuten, Gershkovich könnte als Faustpfand für einen Gefangenenaustausch dienen. Das russische Aussenministerium dementierte derartige Absichten, dabei dürfte Russland grosses Interesse hegen, aufgeflogene Spion:innen zurückzuholen. Infrage käme dafür beispielsweise ein erst im Januar in Slowenien verhaftetes Paar oder aber Sergei Tscherkassow, gegen den die USA erst kürzlich Anklage wegen Spionage erhoben hatten. Der mutmassliche Auslandsagent war mit dem Versuch gescheitert, sich um eine Stelle beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bewerben, und befindet sich derzeit in Brasilien wegen Dokumentenfälschung in Haft.