Baschar al-Assad: Der Diktator ist wieder wer

Nr. 14 –

Der Westen schneidet den syrischen Machthaber immer noch. Doch die arabische Staatengemeinschaft bereitet Assads Rehabilitierung vor. Seine Verbrechen sind vergessen – es geht um Macht und Flüchtlinge.

Freundliche Worte, eine Einladung und viele versöhnliche Gesten: Mitte März forderte Scheich Mohammed bin Sajed al-Nahjan, der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Syrien wieder in die Gemeinschaft der arabischen Staaten aufzunehmen. Der Erklärung waren Treffen vorausgegangen, die bis zum Erdbeben vom 6. Februar tabu gewesen waren: So besuchte der syrische Präsident Baschar al-Assad zwei Wochen nach der Katastrophe den Oman, wo er seit Ausbruch des Syrienkriegs im Jahr 2011 nie mehr gewesen war. Ganz offiziell, an Bord eines Fliegers von Syrian Airlines. Syrische Staatsmedien zeigten daraufhin ein Foto, auf dem Omans Sultan Haitham bin Tarik seinem syrischen Amtskollegen in Maskat die Hand schüttelt. Im selben Monat war zu sehen, wie Assad lächelnd inmitten von mehreren Parlamentspräsidenten arabischer Länder in Damaskus über einen roten Teppich schritt. Anfang März reiste er dann gemeinsam mit seiner Ehefrau Asma al-Assad in die emiratische Hauptstadt Abu Dhabi. Es war der erste offizielle Staatsbesuch der First Lady im Golfstaat in den vergangenen zwölf Jahren und erst der zweite Besuch ihres Mannes nach einer Visite im März 2022.

Assad kommt zurück auf die internationale Bühne. Seit der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste von 2011 und dem daraus resultierenden Bürgerkrieg war der Machthaber weitgehend isoliert gewesen. Nicht nur der Westen, auch viele arabische Länder hatten damals die Beziehungen zu Syrien abgebrochen. Die Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga war 2011 ausgesetzt worden. Assad reiste lange kaum ins Ausland, lediglich in die verbündeten Länder Russland und Iran.

Doch nun wird er von mehreren arabischen Machthabern mit offenen Armen empfangen. Vom Westen weiterhin gemieden, erlebt der syrische Diktator seit dem Erdbeben eine Welle der Unterstützung aus den Nachbarstaaten.

Diese hatten in den vergangenen Jahren zwar schon teilweise eine Normalisierung ihrer Beziehungen zum syrischen Regime eingeleitet. Die Erdbebenkatastrophe hat Assad aber endgültig dazu verholfen, seine angelaufene Rehabilitierung zu beschleunigen. «Das Erdbeben bot den arabischen Staaten den Anlass für einen Austausch, ohne das Gesicht zu verlieren», sagt der Syrienexperte und Geograf Fabrice Balanche von der Université de Lyon 2, «das ist sehr wichtig im Nahen Osten.» Während die Emirate, Algerien, der Libanon, der Irak und der Oman schon länger eine Wiederannäherung an das Assad-Regime versuchen, gesellen sich nun auch Länder hinzu, die eigentlich die syrische Opposition unterstützen.

Rückkehr in die Arabische Liga?

Am Samstag besuchte der syrische Aussenminister Faisal Mekdad erstmals seit Ausbruch des Bürgerkriegs die ägyptische Hauptstadt Kairo. Die Reise war ein Schritt mehr hin zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Zuvor hatte der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi einen Tag nach dem Beben zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt 2014 mit Assad telefoniert. Kurz darauf reiste der jordanische Aussenminister nach Syrien, um seine Solidarität zu bekunden. Das Königreich hatte seine Unterstützung der syrischen Opposition in den vergangenen Jahren deutlich reduziert, weil es mittlerweile eine politische Lösung des Konflikts anstrebt.

Dabei sind die Gründe für eine Rehabilitierung Assads unterschiedlich: Der Libanon und Jordanien sind als unmittelbare Nachbarstaaten sehr stark vom Bürgerkrieg betroffen – beide Regierungen wollen vor allem, dass die in ihre Länder geflohenen Syrer:innen in ihre Heimat zurückkehren. Ägypten, Katar und die Emirate haben dagegen vor allem sicherheitspolitische Interessen und ringen schon seit langem um weiteren geopolitischen Einfluss in der Region um das östliche Mittelmeer. Je länger die Isolierung Assads andauert, desto grösser ist für sie das Risiko, den zähen Diktator endgültig an den Iran und Russland zu verlieren.

Ein besonderer Gewinn ist für Assad, dass selbst Saudi-Arabien und Katar nun die Annäherung suchen. Denn diese Länder hatten bisher eine Rückkehr von Syrien in die Arabische Liga blockiert. Die Stimmen der zwei mächtigen Golfstaaten gelten als entscheidend für Assads Position in der arabischen Welt. Mitte Mai findet der Gipfel der Arabischen Liga statt, Gastgeber ist diesmal Saudi-Arabien. Generalsekretär Ahmed Abul Gheit sagte kürzlich, die meisten Mitglieder der Liga hofften auf eine Rückkehr Syriens. Auch die Nachrichtenagentur Reuters vermeldete diese Woche, dass Saudi-Arabien plane, Assad zum Gipfel einzuladen.

«Zwölf Jahre nach Ausbruch des Konflikts wird Syrien wieder in das arabische Haus eingeladen. Damit ist der Arabische Frühling überall gescheitert», sagt der Wissenschaftler Balanche. Die Anschuldigungen gegen Assad – Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Einsatz von Chemiewaffen, Angriffe auf Schulen und Spitäler – seien quasi vergessen. «Assad kann nicht nach Europa oder in die USA reisen – aber er kann nach Dubai, Abu Dhabi, Moskau, Schanghai», sagt Balanche. In Staaten, die international an Einfluss gewinnen.

Erdoğans Kalkül

Während die USA und die Europäische Union weiterhin an ihren Sanktionen gegen Syrien festhalten, zeigt der Kurs der arabischen Staaten, dass diese sich in ihrer Aussen­politik nicht mehr von Washington oder Europa leiten lassen. «Der Westen verliert seinen Einfluss auf die arabischen Länder», sagt Balanche. «Die westlichen Sanktionen gegen Syrien sind ärgerlich, aber für die arabische Welt nicht mehr wichtig. Sie wollen eine regionale Ordnungsmacht sein und unabhängig vom Westen agieren.»

Dies gilt seit einiger Zeit auch für die Türkei. Zwar unterstützt die AKP-Regierung noch die syrischen Rebellengruppen, die die von Moskau und Teheran unterstützte syrische Regierung zu Fall bringen wollen. Auch hat Ankara seit 2016 mehrere Offensiven in Nordsyrien gegen kurdische Gruppen geführt. Doch seit einigen Monaten sucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen Schulterschluss mit Assad. Mit Widersprüchen in seiner Aussenpolitik hält sich Erdoğan schon lange nicht mehr auf, auch die Verärgerung von Nato-Bündnispartnern lässt ihn kalt. Priorität hat für ihn die Aussicht auf eine Rückkehr der mehr als drei Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben. Die schon zuvor feindliche Stimmung gegen diese wurde durch das Erdbeben weiter angeheizt.

«Erdoğan will einen Weg finden, die syrischen Flüchtlinge zurückzuschicken. Er will dem türkischen Volk zeigen, dass er diesbezüglich mit Assad eine Einigung erzielen und sogar eine neue Flüchtlingswelle verhindern kann», sagt Balanche. Schon mehrfach hat sich der türkische Präsident deswegen bereit erklärt, Assad zu treffen – doch dieser hat bisher abgelehnt. Der Diktator warte zweifellos den Ausgang der Wahlen in der Türkei ab, sagt der Wissenschaftler.

«Keine Möglichkeit zur Rückkehr»

Die Normalisierung des Assad-Regimes in der arabischen Welt hat auch weitreichende Folgen für die Geflohenen. Fabrice Balanche ist sich sicher: «Neunzig Prozent der syrischen Flüchtlinge werden niemals nach Syrien zurückkehren können. Selbst wenn sie es wollten, will das Regime das nicht, weil viele der Opposition angehören.»

Zudem hätten die Geflüchteten ohnehin schon alles in ihrer alten Heimat verloren. «Was sie in Syrien zurückgelassen haben, wurde von der Regierung oder einem Warlord übernommen», sagt Balanche. «Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen gibt es für diese Menschen keine Möglichkeit zur Rückkehr.»

Das Erdbeben sei ein Geschenk für Diktator Assad gewesen. Dramatisch sei die Zerstörung einzig für die Betroffenen, die weitgehend im Rebellengebiet lebten. Es ist ein Eindruck, der auch durch Assads Auftreten in den vergangenen Wochen gestärkt wird: Fotos zeigten ihn Anfang Februar beim Besuch im Katastrophengebiet – mit einem Lächeln auf den Lippen.