Rap: Mit fröhlichem Zorn

Nr. 14 –

Die Rapperin Nathalie Froehlich stürmt die Schweizer Bühnen zwischen besetzten Häusern und grossen Festivals. Begonnen hat alles an autonomen Raves in Lausanne.

Portraitfoto von Nathalie Froehlich
«Auf einem Podest stehen und mit Leuten aller möglichen Parteien sprechen, das wäre nichts für mich»: Nathalie Froehlich. Foto: Marius Mattioni

«Nathalie! Nathalie!» Als die Rapperin kurz nach halb drei Uhr nachts auf die Bühne der Zürcher Zentralwäscherei tritt, skandiert ein Teil des Publikums ihren Namen, während der Rest begeistert jubelt. Mit Sturmhaube und grüner Jogginghose sieht Nathalie Froehlich ein bisschen gefährlich aus. Dass man überhaupt Farben sieht, ist erstaunlich, der Lichteinsatz ist minimal, die Rapperin durch den Nebel meist nur schemenhaft zu erkennen, wie sie auf der Bühne herumspringt, ihren Oberkörper im Takt des Beats bewegt und zwischendurch einen Baseballschläger schwingt. «Are you ready to burn this fucking town down?», schreit sie ins Mikrofon.

«Feministisch organisieren, revolutionär kämpfen», steht auf einem Banner hinter der Bühne. Der Auftritt von Nathalie Froehlich ist der Höhepunkt einer Soliparty gegen polizeiliche Repression vor einigen Wochen, es wird Geld gesammelt für Bussen und Verfahrenskosten einer 8.-März-Demo. Die Rapperin passt gleich in mehrerlei Hinsicht hierher: Feminismus und Polizeigewalt sind Themen, die ihr wichtig sind, zudem ist Zürich für die welsche Künstlerin eine Art Heimspiel, hat der derzeitige Hype um sie doch zu einem grossen Teil hier begonnen.

Rappen zu DJ-Sets

Es war 2022, als Froehlich zuerst in der Roten Fabrik und kurz darauf am 1.-Mai-Fest auf dem Kasernenareal auftrat. «Das Konzert war eines der grossartigsten, die ich je gespielt habe», erinnert sie sich. «Die Leute sind durchgedreht.» Spätestens nach diesem Auftritt vor ungefähr tausend Personen war der Damm gebrochen: Froehlich erhielt Anfragen von Clubs und Festivals aus der ganzen Schweiz und spielte im vergangenen Jahr über fünfzig Konzerte. Ihr Terminkalender bleibt voll: Von März bis August sind bereits mehr als 25 weitere Gigs geplant, darunter auch grosse an kommerziellen Festivals wie dem Open Air St. Gallen. Begonnen hat die Geschichte in der autonomen Musikszene von Lausanne.

«Als Kind und Jugendliche war ich nicht so glücklich mit der Welt», sagt sie über ihren ersten Lebensabschnitt, den sie in einem Lausanner Vorort verbrachte. Ein paar Tage vor dem Auftritt in der Zentralwäscherei sitzt sie auf einem abgewetzten Sofa im Atelier des Kulturkollektivs Sacrée Déter im Zentrum von Lausanne und raucht eine erste Selbstgedrehte, während sie erzählt. Ihr Gesicht wirkt trotz der tiefen Augenringe freundlich, denn sie lacht oft. «Dann entdeckte ich die Raveszene», fügt sie der lakonischen Zusammenfassung ihres Lebens hinzu.

Nathalie Froehlich ist um die zwanzig, als sie die Aufnahmeprüfung für die Jazzschule nicht besteht und mässig begeistert ein BWL-Studium aufnimmt. «Ich dachte damals, vielleicht hilft mir das zu verstehen, wie unser System funktioniert.» In dieser Zeit beginnt die heute 26-Jährige, an Raves zu gehen, wo sie Freund:innen, unterschiedliche Genres elektronischer Musik und DJs kennenlernt. Einen grossen Teil des Reizes solcher Partys macht aus, dass sie unbewilligt sind, aber auch ihr nichtkommerzieller, völlig selbstorganisierter Charakter. In dieser Szene macht sie erste Gehversuche als Künstlerin. «Zuerst habe ich über Housebeats gesungen, irgendwann fing ich an, während der DJ-Sets zu rappen.» Ihre Freund:innen sind begeistert. Ab diesem Zeitpunkt vor etwa fünf Jahren rappt Froehlich regelmässig an Raves, die nicht nur im Wald, sondern oft auch in besetzten Häusern und autonomen Zentren stattfinden. Dort kommt sie mit antikapitalistischen Ideen in Kontakt, die sie bis heute prägen: «Das ist der politische Kontext, aus dem ich komme.»

Die Zeremonienmeisterin

Auch das Kollektiv, dem sie heute angehört, entstand aus dieser Szene heraus. Sacrée Déter hat mit kleinen Partys im Wald angefangen, ist dann stetig gewachsen und organisiert heute unter anderem Festivals und Clubnächte in etablierten Lokalen. «Ab und zu machen wir noch einen Rave, wenn wir Spass haben wollen», sagt Froehlich und lacht laut und strahlt übers ganze Gesicht. Im Kollektiv sind etwa zwölf Personen aktiv, darunter auch ihr Freund, der sie im vergangenen Jahr als DJ begleitete. «Er war damals gerade arbeitslos, und ich brauchte jemanden, der während der Konzerte für mich auflegt.» Gemeinsam wählten sie ein paar Techno- und Baile-Funk-Beats aus, über die sie rappte. Es funktionierte.

So läuft auch der Auftritt in der Zentralwäscherei. DJ Souplesse, der sie derzeit begleitet, spielt zu Beginn des Sets eher langsamen Reggaeton und Moombahton, eine Mischung aus House und Reggaeton, und arbeitet sich innerhalb von dreissig Minuten zu schnellem Techno und Hardcore hoch. Was alle Tracks verbindet: fette, sehr tanzbare Bässe. Nathalie Froehlich rappt dazu mit ihrer eher tiefen Stimme, die meistens wütend klingt. «Angry-happy» nennt sie das.

Die Texte sind mehrheitlich Freestyle, ab und zu wiederholt Froehlich ein paar Zeilen aus den Songs, die sie im vergangenen Jahr veröffentlichte. Dass das Publikum die schnell gerappten französischen Reime versteht, ist nicht so wichtig, denn Froehlich ist im ursprünglichen Sinn des Begriffs MC: Die Zeremonienmeisterin schafft eine Energie, die alle erfasst.

Während des Songs «Tout le monde», den sie selbst produziert hat, schreit gefühlt der ganze Saal den Refrain mit, den man nicht zu übersetzen braucht: «Tout le monde déteste la police, tout le monde veut changer le système». Wie ernst gemeint sind solche Zeilen? Sie habe schon sehr schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, sagt Froehlich und zuckt mit den Schultern. «Und ich bin weiss, stell dir mal vor, wie das sonst wäre!»

Erholung von der Realität

Dass die feministischen und sozialkritischen Zeilen in ihren Songs, vielleicht anders als die drastische Symbolik bei ihren Auftritten, mehr als nur Pose sind, wird im Gespräch in Lausanne klar. So weiss sie etwa, was es bedeutet, in der zwischengenutzten Zentralwäscherei oder auf dem besetzten Koch-Areal zu spielen, und ist sich der Widersprüche bewusst, in denen sie sich als der autonomen Szene nahestehende Künstlerin bewegt.

So fordert Froehlich trotz ihres Hintergrunds Subventionen für die alternative Kulturszene. «Ich will von der Musik leben und die Leute, die mit mir arbeiten, richtig bezahlen können», sagt Froehlich, die dreissig Prozent bei Radio Télévision Suisse (RTS) arbeitet, um über die Runden zu kommen. Und sie stellt klar, was ihr Zugang zu Politik ist: «Auf einem Podest stehen und mit Leuten aller möglichen Parteien sprechen, das wäre nichts für mich.»

Stattdessen organisiert sie lieber Partys: «Es muss Orte geben, wo Leute für wenig Geld feiern können.» Ab und zu etwas Schönes zu schaffen und zu erleben, sei wichtig, um sich von der deprimierenden Realität zu erholen.

Trotz der aufgeheizten Stimmung in der Zentralwäscherei wird die Stadt an diesem Abend nicht brennen, noch nicht mal ein Auto. Doch die Energie, die von der Rapperin ausgeht, ist ansteckend.

Konzerte: 8. April 2023, SAS, Delémont; 2. Juni 2023, Bad Bonn Kilbi, Düdingen; 16. Juni 2023, Festi’neuch, Neuchâtel; 29. Juni 2023, Open Air St. Gallen; 21. Juli 2023, Paléo Festival, Nyon.