«Das Wort ist die einzige Waffe, die du hast» 
Die Rapperin KT Gorique aus dem Unterwallis feierte Erfolge im Ausland, bevor sich die Deutschschweiz 
für sie interessierte. Doch mit Sprach- und Stilgrenzen zu spielen, ist sie gewohnt.

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«Die Mehrsprachigkeit in der Schweiz bringt Positives, aber ganz klar auch Negatives»: KT Gorique in Martigny.

Von fern ertönt ein Brummen, die synthetischen Orgeltöne scheinen direkt von Jamaika herübergeweht zu sein. Die karge Landschaft und das gelbliche Licht erinnern an Bilder vom Mars. Es folgen verzerrte Gitarrenriffs, schliesslich setzt der Beat ein. Eine am Boden liegende Gestalt kämpft sich rhythmisch aus einem Kokon frei. Die Gestalt ist die Rapperin KT Gorique, und auf die Reise in ihre Welt nimmt uns der Videoclip zum Song «Airforce» von ihrem aktuellen Album «Akwaba» mit. «Akwaba» heisst «willkommen» auf Baoulé, eine Sprache von Côte d’Ivoire.

«Bienvenue!» KT Gorique öffnet die Tür zu ihrer Wohnung und lächelt. Seit ein paar Monaten wohnt die Rapperin im Zentrum von Martigny. Die Kleinstadt liegt im Unterwallis, wo KT Gorique ihren Lebensmittelpunkt hat, seit sie im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie von Côte d’Ivoire in die Schweiz kam. Ihre grosse Wohnung ist spärlich möbliert. An der Wand hängt ein Plakat des Films «Brooklyn» von Pascal Tessaud, in dem KT Gorique 2014 als Schauspielerin vor der Kamera stand, ohne jemals Unterricht genommen zu haben. Im Film reist die junge Schweizerin Coralie in die Pariser Vorstadt, um dort als Rapperin Fuss zu fassen. In der Banlieue findet sie Anschluss und kämpft sich mit viel Talent und Willen nach oben.

Anders als die von ihr verkörperte Figur im Film hatte KT Gorique nie das Ziel, in Frankreich erfolgreich zu sein. Was auch ein schwieriges Unterfangen gewesen wäre, glaubt sie: «In Frankreich interessiert sich praktisch niemand dafür, was in der Rapszene der Romandie passiert.» Grund dafür sei nicht etwa die sprachliche Differenz des Schweizerfranzösischen, sondern vielmehr die Dominanz der französischen Rapindustrie. «Und die haben da sowieso selber genug Leute», sagt KT Gorique. Stattdessen startete sie ihre Karriere im Wallis – einer Region, die nicht unbedingt für ihre lebendige Hip-Hop-Szene bekannt ist.

Die Schweiz-Ivorerin beginnt bereits mit vier Jahren zu tanzen, mit acht reimt sie die ersten Verse. Kurz nach ihrer Ankunft in der Schweiz 2002 findet sie Anschluss im Kulturzentrum von Martigny und fängt an, Hip-Hop zu tanzen. Mit dreizehn rappt sie ihre Texte zum ersten Mal über Beats. Um die Musik zu ihrem Beruf zu machen, musste die heute 29-Jährige auch im deutschsprachigen Teil der Schweiz den Durchbruch schaffen, denn der Markt in der Romandie ist zu klein, zu wenig professionalisiert. Doch für den Sprung über den Röstigraben brauchte sie viel Anlauf: «Die Mehrsprachigkeit in der Schweiz bringt Positives, aber ganz klar auch Negatives.»

Kanäle und Brücken

Rap aus der Romandie: Sens Unik, Stress – und sonst? Selten wurde eine welsche Hip-Hop-Künstlerin einem breiten Publikum in der Deutschschweiz bekannt. Liegt es an der französischen Sprache? «Nein.» KT Gorique glaubt, dass das Publikum ihre Musik auch dann liebt, wenn es die Wörter nicht versteht. Es liege vielmehr an fehlenden Kanälen und Brücken, um die Sprachgrenze zu überwinden. Unzählige Male hatte die Walliserin auf Bühnen in Genf, Lausanne und Biel gestanden, hatte bereits in Belgien, Kanada und Frankreich gerappt, während sich in der Deutschschweiz noch niemand für sie interessierte. «Nicht einmal im Oberwallis kannte man mich», sagt sie, inzwischen auf dem Sessel in ihrem kleinen Homestudio, eine Tasse Kaffee in der Hand.

Das änderte sich erst mit den Auftritten am M4Music-Festival in Zürich und dem Rap-Cypher von SRF Virus. Das Deutschschweizer Publikum war begeistert: «Zu krasser Flow, schade, dass ich nicht aufgepasst habe im Französischunterricht», kommentierte ein Zuhörer auf Youtube. Von diesem Moment an geht es schnell: KT Gorique gewinnt 2017 zwei Swiss Live Talents Awards, 2019 den Swiss Music Award, ihre Musik wird auf Radio SRF gespielt, und sie avanciert zu einer der erfolgreichsten Rapperinnen der Schweiz.

«Ouvre ton eye»

«Als MC ist das Wort die einzige Waffe, die du hast.» Schnell, klar, bestimmt: KT Gorique spricht, wie sie rappt. Obwohl sie sagt, es gebe nicht nur Schwarz und Weiss, gibt es in ihren Aussagen wenig Platz für Grautöne. Sie, deren Name übersetzt «kategorisch» bedeutet, hasst nichts mehr, als kategorisiert zu werden. Und das kommt ab und zu vor: «Nur weil ich mal in einem Track von Politik rappe, bin ich gleich die politische Rapperin.» Noch viel mehr nervt sie, auf ihre Rolle als Frau im Rap-Business reduziert zu werden.

«J’suis plus qu’une femme», rappt sie auf dem neuen Album. Das Thema langweile sie so dermassen, es sei das Einzige, über das sie wirklich nicht mehr sprechen wolle. Während sie erzählt und ein paarmal «débil!» sagt, ist man froh, nicht danach gefragt zu haben. Anstatt über Geschlechter im Rap zu sprechen, unternimmt KT Gorique lieber etwas: Während der Pandemie hat sie etwa spontan den «Biggest Female Allstars Cypher» lanciert und in zwei Sessions insgesamt knapp vierzig Rapperinnen eingeladen, über Beats zu rappen und ihr die Videos zu schicken.

Aufgewachsen ist KT Gorique dreisprachig. Abgesehen von Französisch lernte sie von ihrer Mutter Baoulé, eine von über sechzig in Côte d’Ivoire verbreiteten Sprachen und Dialekte, sowie von ihrem Vater Italienisch. Dass sie auf Französisch rappen würde, war für KT Gorique aber immer klar: «Ich schreibe so, wie ich denke.» Der lockere Umgang mit verschiedenen Sprachen war für sie trotzdem schon immer etwas Alltägliches. Wenn ihr etwa ein Wort auf Baoulé einfällt, für das es keine direkte Übersetzung gibt. Oder wenn sie englische Wörter in ihre Texte einfliessen lässt. «Il faut que je trouve my way», heisst es bei ihr, oder «Ouvre ton troisième eye». Das sei nicht Berechnung, sondern geschehe ganz natürlich.

Gut überlegt ist hingegen das Konzept ihres Albums. «Akwaba» ist ein Wort, das man in Côte d’Ivoire ständig höre, erzählt KT Gorique und lächelt wieder. «Mir gefällt nur schon sein Klang, es ist sehr melodisch.» Das Wort sei für sie Symbol und Code für die ivorische Gastfreundschaft. Es sei aber auch eine an ihre ZuhörerInnen gerichtete Einladung, in ihren Kosmos einzutreten. Ihre Musik sei, genau wie sie, «eine Mischung». Nicht nur über Sprachgrenzen, auch über Genre- und Stilkonventionen setzt sich die Rapperin hinweg. «Future Roots» nennt sie ihren Stil, wobei sie mal mehr nach Ragga, mal mehr nach Rap klingt. Autotune und Scratching im selben Song? «Es ist nicht logisch, aber es funktioniert», sagt KT Gorique.

Im weissen Raumanzug

«Wenn du etwas erträumen kannst, dann kannst du es auch realisieren» – diesen etwas platt wirkenden Satz wiederholt KT Gorique wie ein Mantra in Interviews, er ist auch ein Leitmotiv in ihrer Musik. Er scheint für sie aber in Erfüllung zu gehen: Seit einigen Jahren kann sie von der Musik leben, und ihre Kunst wird sicht- und hörbar professioneller.

Beim neuen Album konnte sie erstmals eine eigene Idee auf allen Ebenen vollständig umsetzen. So kommen beim Videoclip zu «Airforce» keinerlei Requisiten zum Einsatz, die Kulisse mit den gelblichen Rauchschwaden bleibt stets dieselbe. Da ist bloss KT Gorique in einem weissen Raumanzug, die rappt und tanzt und dabei in die Kamera schaut. Langweilig wird einem beim Zuschauen nicht, denn KT Gorique ist «on fire».

«Can’t stop, won’t stop, y a pas d’bouton pour me mettre off» – «Ich kann nicht aufhören, ich werde nicht aufhören, es gibt keinen Knopf, um mich auszuschalten.»

KT Gorique tritt an den Literaturtagen am Samstag, 15. Mai 2021, um 22.15 Uhr auf.