McKenzie Wark: «Ein Kurzschluss zwischen Theorie und Pornografie»

Nr. 40 –

McKenzie Wark ist Professorin für Medien- und Kulturwissenschaft in New York und hat Bücher über Videogames, die Fortsetzung des Kapitalismus, das Raven und ihr spätes Outing als trans geschrieben. Ein Gespräch übers Schreiben, Tanzen und Ficken.

Portraitfoto von McKenzie Wark
«Mit ein bisschen Humor kann man sagen: Wir Ra­ver:in­nen arbeiten sehr hart»: McKenzie Wark. Foto: Clémence Polès

WOZ: McKenzie Wark, vor einigen Jahren haben Sie mit Mitte fünfzig nach zwanzig Jahren Pause wieder angefangen, regelmässig auf Raves zu gehen. Wie kam das?

McKenzie Wark: Nachdem ich meine Geschlechtsangleichung begonnen hatte, sprach ich mit der Person, die mich in dem Prozess begleitete, meiner «trans Mutter». Ich erzählte ihr, dass gegen einen Teil meines Unwohlseins mit meinem Körper nichts hilft – ausser Tanzen. Worauf sie vorschlug: «Du kommst heute Abend mit zum Rave!» Als ich da war, dachte ich: Oh, das ist besser, als ich es in Erinnerung hatte, endlich verstehe ich das! So habe ich die Verbindung zum «Ravekontinuum» wieder aufgenommen, wie ich das nenne – es war immer da, ich habe nur eine ewig lange Auszeit genommen.

Was haben Sie verstanden?

Wie ich Techno geniessen kann. Ich liebe an dieser Musik, dass sie so fremdartig ist. Wir haben uns vielleicht etwas zu stark daran gewöhnt, aber guter Techno spürt das ausserirdische Wesen in deinem Körper auf und bringt es zum Tanzen. Wenn alle rundherum diese Entfremdung spüren und damit umzugehen haben, fühle ich mich auch weniger entfremdet von meiner eigenen Körperlichkeit.

McKenzie Wark

Die queere Theoretikerin McKenzie Wark wurde 1961 im australischen Newcastle geboren. Pfeiler ihrer Arbeit sind der Marxismus, der Situationismus, die Kritische Theorie, die Cultural Studies und die Medientheorie. Eines ihrer zentralen Themen ist die Informationstechnologie. In «A Hacker Manifesto» (2004) beschrieb sie zwei neue Klassen: Hacker:innen, die neue Information produzieren, und «Vektoralist:innen», die deren Verwertung kontrollieren. In «Das Kapital ist tot» (auf Deutsch 2021 bei Merve) beschrieb sie auf der Basis dieser Begriffe neue Produktionsverhältnisse, die den Kapitalismus abgelöst hätten.

In einer Reihe von autofiktionalen und autotheoretischen Büchern beschrieb Wark ihre Liebesbeziehung mit der Autorin Kathy Acker und deren Denken («Philosophy for Spiders», 2021), die queere Raveszene in New York («Raving», 2023) oder das Ringen mit ihrem Geschlecht in diversen sexuellen Begegnungen («Reverse Cowgirl», auf Deutsch 2023 bei Matthes & Seitz). 2017 begann McKenzie Wark ihre Geschlechtsangleichung; heute lebt sie als trans Frau und ist Professorin für Medien- und Kulturwissenschaft an der New School in New York. huz

Sie schreiben, Techno sei prinzipiell für jeden Körper gemacht.

Techno bedeutet heute zwanzig verschiedene Dinge. Was ich damit meine: Reduktion in Bezug auf Rhythmus und klangliche Texturen. Eine gute DJ schichtet und setzt die Elemente so zusammen, dass sich die Musik anfühlt, als würde sie sich seitwärts ausspulen. Das verändert die zeitliche Wahrnehmung, hat aber auch eine bestimmte Wirkung auf den Körper.

Sie sehen auch einen Zusammenhang zwischen der Geschichte von Techno als Schwarzer Musik und der heutigen Erfahrung der queeren Raveszene in Brooklyn.

Ich wollte klarmachen: Techno wurde von Schwarzen in Detroit erfunden, und jemand wie ich ist hier erst mal ein ungeladener Gast. Also verhält man sich respektvoll. Aber historisch haben sich auch immer viele Queers und trans Menschen im Techno bewegt. Vielleicht gilt das spezifisch für New York: House war schwule Musik, also wurde Techno zu queerer Musik und einem etwas anderen sozialen Raum.

Sie zitieren eine:n Raver:in: «Das Beste an illegalen Raves ist, dass sie illegal sind.» Die Raves, die Sie beschreiben, sind meistens nicht kommerziell und von Kollektiven organisiert. Was sind das für Orte?

In New York müssen die meisten Clubs um vier Uhr nachts schliessen. Die Raves, die noch den ganzen Morgen über dauern, sind also meistens illegal. Das sind oft umfunktionierte Räume, ehemalige Lagerhallen oder auch ein Skatepark. Die meisten Raves finden in einem bestimmten Teil von Brooklyn statt, mit dünn angesiedelter Industrie und wenigen Anwohner:innen. Das ist eine der Freuden daran, die Stadt auf diese Weise umzunutzen. Es ist auch eine Fähigkeit, wie das Einladen der richtigen Leute. Mein Buch ist ein Liebesbrief an diese Community.

Wie fanden es die Raver:innen, dass Sie über sie geschrieben haben?

Ich habe versucht, sehr diskret mit den Identitäten der Personen umzugehen, um sie nicht preiszugeben. Manche von ihnen ändern selber ihre Namen oder ihr Geschlecht, wenn sie nachts unterwegs sind. Es ging mir nicht um individuelle Charaktere, sondern um die sozialen Muster, in denen sie sich bewegen. Ich verrate auch nicht, wo die Orte sind, um die Kultur vor Tourist:innen und Profitinteressen zu schützen. Es ist lustig, Leute kommen auf der Tanzfläche zu mir und wollen über das Buch reden. Viele scheinen es sehr zu schätzen, eine Sprache für ihre Praxis zu haben und auch, dass ich in einer Momentaufnahme etwas dokumentiert habe, was so flüchtig ist. Einige der Orte, die ich beschreibe, existieren bereits nicht mehr, weil sie inzwischen «aufgewertet» wurden.

Hat es Ihre Beziehung zum Raven verändert, dass Sie darüber geschrieben haben?

Mein ganzes Leben lang war ich eine professionelle Autorin, und es ist nicht immer einfach, alles aus dieser Perspektive betrachten zu müssen. Aber das will ich wirklich nicht. Wissen Sie, dieses Buch habe ich für und über diejenigen geschrieben, die das Raven wirklich brauchen, die schnelle, heisse Musik brauchen, um über die Runden zu kommen. Für mich gilt das genauso, ich gehe immer noch tanzen.

Sie beschreiben, wie die Anfrage für das Buch Sie 2021 nach einer mehrjährigen Schreibblockade erreichte und wie Sie tatsächlich durch das Raven wieder zum Schreiben kamen.

Die Frist war kurz, aber ich habe da eine manische Tendenz: Natürlich schreibe ich euch ein Buch in drei Monaten! Es war befreiend, fühlte sich an wie ein Dammbruch. Bevor ich etwas schreibe, denke ich vorher lange über die Form nach, und wenn ich mir darüber im Klaren bin, fällt mir das Schreiben leicht.

Wie hängen das Raven und die Form, die Sie gewählt haben, zusammen?

Mir fiel auf, dass die ästhetische Erfahrung des Raves in gewisser Weise sehr zeitgenössisch ist. Sie eröffnet einen Zugang zu einer Zeit, die seitwärts verläuft. Es gibt angesichts des politischen und ökologischen Zustands der Welt nicht viele Zukunftsszenarien für uns; darum ergeben auch literarische und musikalische Formen, die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, weniger Sinn, als sie es einst taten. Die ästhetische Erfahrung, dass man sich auch seitwärts durch die Zeit bewegen kann, hat mich zum Schreiben angestachelt. Tatsächlich war Musik für mich immer wichtig, um herauszufinden, wie ich schreiben will. Ich habe einst viel vom Jazz gelernt; mein Schreiben hatte viel mit Improvisation zu tun. Darum war es speziell für mich, diesen Zugang über die Erfahrung des Technos und des Tanzens zu hinterfragen und mit einer anderen Ästhetik zu experimentieren.

Sie erfinden verschiedene Begriffe, etwa «xeno-euphoria» – Glückseligkeit in der Selbstentfremdung – oder «ketamine femmunism»: eine Gemeinschaft, die sich in jener seitwärts verlaufenden Zeit zusammenfindet und in dissoziativen Zuständen verbunden ist, die auch die Droge Ketamin auslösen kann. Denken Sie das alles, während Sie tanzen?

Ich habe der Versuchung widerstanden, ein Notizbuch mitzunehmen, und es gilt auf vielen Raves als unanständig, sein Handy hervorzuholen. Also habe ich mich dem Denken einfach hingegeben und manchmal in meinem Kopf ganze Kapitel geschrieben. Bei mir läuft sowieso ständig ein obsessiver innerer Monolog, und wenn ich tanze, ist es, als wäre ich nicht mehr Teil davon. Das geniesse ich.

Und Sie erinnern sich an Gedanken, die Sie in diesen Zuständen haben?

Vielleicht ist das der Grund, dass vieles, was über Drogen geschrieben wird, nicht besonders gut ist. Ich habe diesen Aspekt nicht so stark hervorgehoben, auch um es zu normalisieren: Leute nehmen Substanzen, wenn sie tanzen, so what! Aber die Drogen sind nur eines der Elemente, die diese spezifischen Situationen ausmachen. An Ketamin hat mich interessiert, wie es eine spezifische Empfindsamkeit ermöglicht, die in eine andere Richtung geht als etwa Ecstasy.

Ihr Projekt klingt erst mal paradox: eine Autofiktion aus der Perspektive eines Ichs, das zum Rave geht, um sich selbst zu verlieren.

Für mich hat Autofiktion die gegenteilige Anlage von Memoiren oder einer Autobiografie, weil das Selbst darin gerade nicht die Autorität ist. Die Frage ist vielmehr, wie ein Selbst als Nebenprodukt durch die Umstände hervorgebracht wird. Ich schreibe über kollektive Erfahrungen aus einer Perspektive, die zufällig die meinige ist, aber immer in Beziehung zu den 26 anderen Charakteren, die sich durch bestimmte Räume und Situationen bewegen. Die Frage ist: Wer ist das Ich im Satz? Man kann sich davon abgrenzen und es zum Objekt der Beobachtung machen. Mich interessiert die französische Tradition der Autofiktion, etwa die späte Marguerite Duras; es gibt auch eine grossartige schwule Autofiktion in Frankreich, Hervé Guibert oder Guillaume Dustan, das waren meine Vorbilder. Wenn man denkt, man spreche von der Wahrheit des Selbst, wenn man «Ich» schreibt, hat man wirklich nicht lange darüber nachgedacht.

Es hat Sie also keinen Mut gekostet, über die teilweise intimen Erfahrungen in der Ich-Form zu schreiben?

Nein, nicht wirklich. Ich meine, meine Schreibpraxis hat sich verändert. Als ich die Geschlechtsangleichung gemacht habe, wurde ich gekennzeichnet: Ich war nicht mehr einfach ein weisser Typ, sondern diese schräge trans Person. Also wollte ich ausprobieren, wie es ist, mit einer anderen Stimme zu schreiben. Theorie war in diesem Zusammenhang interessant, weil sie den Fokus weitet. Das bürgerliche Schreiben hat eine bestimmte Komfortzone, Theorie ist abstrakter. Ich versuche, mich ausserhalb dieser Zone zu bewegen und viel intimer zu werden. So habe ich drei Bücher über drei Aktivitäten einer trans Person aus Brooklyn geschrieben: «Raving» geht ums Tanzen, «Love and Money, Sex and Death», das gerade erschienen ist, geht vor allem ums Weinen und «Reverse Cowgirl» offensichtlich ums Ficken.

Zwischen zwei der Bücher gibt es aber auch eine Lücke: eine mehrjährige Schreibblockade.

Ich schrieb «Reverse Cowgirl», bevor ich anfing, Hormone zu nehmen. Ich hatte die Vermutung, dass es mich fertigmachen würde. Was es irgendwie auch tat; es hat meine Schreibpraxis völlig destabilisiert. Ich begann, meinen Körper mit Östrogen zu versorgen, und merkte: Oh, das ist viel besser, das hätte ich schon vor Jahren tun sollen. Schreiben ist eine fein abgestimmte Praxis – es war, als hätte ich mein Leben lang Klarinette gespielt und müsste plötzlich Saxofon spielen: Irgendwie verstehe ich es, bringe aber keinen guten Ton heraus. Drei Jahre dauerte das. Klar, ein paar Auftragsartikel schrieb ich in dieser Zeit, aber nichts Richtiges, nichts, was ich liebe.

Hatten Sie Angst, Sie könnten das Schreiben verlieren?

Ja, das hat mich sehr besorgt und frustriert. Ich brauche das Tanzen, aber ich brauche wirklich auch das Schreiben. Ich bin keine suizidale Person, aber ich dachte schon, jetzt ist es vorbei, was soll ich denn sonst tun?

Ist in «Reverse Cowgirl» auch eine Person konserviert, die nicht mehr existiert?

Das habe ich ganz bewusst so gemacht. Ich wollte alles aufschreiben, was ich zu diesem Zeitpunkt vor dem Übergang wissen und fühlen konnte. In letzter Zeit hat mich die Erkenntnis beschäftigt: Shit, ich habe Hormone genommen, und plötzlich sieht meine ganze Vergangenheit anders aus. Mein neues Buch beginnt mit einem Brief an meine Mutter, die starb, als ich sechs war. Ich dachte, mit diesem Trauma hätte ich mich eingehend beschäftigt, aber jetzt, fünfzig Jahre später, kam das wieder hoch, und ich musste mich noch einmal durcharbeiten.

Auch «Reverse Cowgirl» ist in der Du-Form geschrieben. Was interessiert Sie daran?

Abgesehen von Songlyrics ist diese Form in der Literatur nicht sehr verbreitet. Indem ich mich bereits im Text an eine Person richte, kann ich auch die Distanz zu den Leser:innen und deren Reaktionen formen. Mir fällt auf, dass die Briefform speziell in der trans Literatur beliebt ist; vielleicht, weil die Reaktion der Lesenden eine andere Bedeutung hat. Wir machen gerade mal ein halbes Prozent der Bevölkerung aus, und wer über uns liest, ist neugierig; wir sind interessante Sonderlinge. Im schlechtesten Fall werden wir das exotisierte Andere. Also schreiben wir für einander, für die, die uns wirklich lieben.

In «Reverse Cowgirl» schrieben Sie, dass Sie von Ihrem Leben erzählen wollen, ohne dieses im Nachhinein als notwendige Entwicklung hin zur Geschlechtsangleichung zurechtzulegen.

Ich habe ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Geschichtenerzählen, es ist für mich notwendig fiktiv, weil es einer zuvor festgelegten Linie folgt. Ich wollte darüber schreiben, wie ich zufällig mit einer Reihe von Leuten Sex hatte, die mich aber alle auf eine ganz bestimmte Weise erschüttert und geformt haben. Es sollte kein Bildungsroman mit den klassischen Elementen wie Hindernissen, die überwunden werden müssen, sein. Ich folge eher dem Empirismus von David Hume: eine zufällige Serie von Eindrücken.

Was in Ihrer Beschreibung des Ravens wichtig ist und hier auch wieder: dass es eine lernbare Fähigkeit ist, sich ficken zu lassen. Einmal ganz wörtlich, von einer anderen Person, einmal im übertragenen Sinn, indem man sich einem Beat hingibt und den Maschinen, die ihn erzeugen. Ist das nur ein analoger Gedanke, oder verbindet die beiden gar eine Art Philosophie des Geficktwerdens?

Ja, so könnte man das sagen. Es geht darum, bestimmte traditionelle Verbindungen zwischen Gender und Handlungsmacht aufzubrechen, im Sinne von: Wer fickt hier eigentlich wen? Ich bin offensichtlich eine «power bottom»; der Begriff kommt aus der Schwulenszene und meint eine Person, die sich in der mächtigeren Position fühlt, während sie penetriert wird. Wie sieht die Welt eigentlich aus dieser Perspektive aus? Über diese Frage wurde schon viel geschrieben, aber vor allem aus einer schwulen und weniger aus einer trans Perspektive. Auf Englisch gibt es nicht sehr viel Literatur von trans Personen, die so stark auf Sexualität fokussiert.

Wieso das?

Trans Personen mussten Distanz zu ihrer Sexualität einnehmen, bestimmte Dinge aus ihrem Leben verschweigen, um medizinisch ernst genommen und behandelt zu werden. Also wollte ich diesen Teil sichtbar machen und zeigen, dass man durch viele sexuelle Erfahrungen zu einer Geschlechtsangleichung gelangen und gleichzeitig ein wunderbar funktionierender Mensch sein kann.

Sie haben sich also fürs andere Extrem entschieden?

Theorie ist abstrakter und geht näher ran, als es die Konventionen der bürgerlichen Literatur zulassen wollen. Ich versuche, dem Körper und wie schmutzig er ist, viel näher zu kommen. Eine Art Kurzschluss zwischen Theorie und Pornografie: Ich bin nicht die Erste, die das tut, aber es hat mich erstaunt, wie wenige es probieren.

Sie beschreiben sehr witzig, wie viele cis Männer Mühe haben mit dem Raven, weil sie die Kontrolle über ihren Körper und die Musik nicht abgeben können.

Da schwingt auch ein bisschen Comedy mit. Und ich sage nicht, dass das überall so ist, aber auf den angelsächsischen Tanzflächen, wo ich mich bewegt habe, fühlen sich heterosexuelle weisse cis Männer oft nicht besonders wohl, und ich beobachte verschiedene Formen von verunsichertem Verhalten, speziell in der Gegenwart von Queers und Frauen, die es lieben, sich den Arsch abzutanzen. Meine Freund:innen und ich lachen darüber, aber es kann auch sehr mühsam sein. Sich gegenüber der Musik zu öffnen, kann eine Herausforderung für die Männlichkeit sein, die viel zu tun hat mit einer harten Schale, die nicht durchdrungen werden soll. Diesen Männern möchte ich sagen: Honey, lass dich einfach ficken von der Musik! In gewisser Weise muss man auf der Tanzfläche ein bisschen queer sein.

Hat es damit zu tun, dass viele heterosexuelle Männer Angst vor passivem Analsex haben?

Genau, nichts kommt hier rein! (Lacht.) Tatsächlich lieben es doch viele straighte Typen oder haben zumindest Fantasien davon. Fragen Sie trans Frauen! Als trans Person erlebt man es immer wieder, dass Leute all diese Dinge mit einem teilen, verdrängte Gefühle über die Instabilität des eigenen Geschlechts. Aber wenn straighte Männer Fantasien über ihre Fickbarkeit haben, heisst das noch gar nichts. Ausser dass Körper formbar und durchlässig sind, was vielen Angst macht.

Sie unterscheiden im Buch nicht zwischen Geschlechtsidentität und sexuellem Begehren, versuchen, über sexuelle Erfahrungen zu verstehen, was Sie sind und was nicht.

Lange Zeit wusste ich nicht, dass man überhaupt trans sein kann. Ich versuchte, mein Geschlecht und meine Sexualität übers Schwulsein zu verstehen, aber das passte nicht wirklich. Die Trennung von Geschlecht und Sexualität ist alt; schon in den zwanziger Jahren stellte das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin fest, dass eine Person homo-, hetero- oder asexuell und gleichzeitig trans sein kann. Aber für viele gibt es eine enge Verbindung zwischen den beiden. Gleichzeitig gibt es eine Tendenz im queeren Diskurs, tausend verschiedene Kategorien und Grenzen zwischen ihnen einzuführen, und das ist nicht immer hilfreich.

War es für Sie auch ein Segen, gewisse Begriffe nicht schon früher gekannt zu haben?

Es hätte mir sehr geholfen, über Begriffe wie «trans» oder «queer» zu verfügen, als ich jünger war. Im Alter von achtzehn bis zwanzig hatte ich eine gewisse Intuition bezüglich meines Geschlechts, aber es machte mir Angst. Trans zu sein, bedeutete in dieser Zeit, ausgestossen zu werden. Die materiellen Umstände, um ein Leben als trans Person zu führen, waren nicht günstig. Hätte ich mich mit achtzehn geoutet, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben. Viele junge geoutete trans Frauen aus meiner Generation sind nicht mehr hier, das ist die Realität. Auch in meiner Community gibt es Menschen, die nicht damit rechnen, sehr lange zu leben.

Das klingt pessimistisch.

Ich glaube nicht, dass «pessimistisch» und «optimistisch» hilfreiche Kategorien sind. Ich habe viel über das Utopische geschrieben, aber die Tradition, die für mich wichtig ist, sucht nach den praktischen Wegen, wie ein erträgliches Leben für möglichst viele möglich ist. Beim Utopischen denken viele an einen idealen Zustand. Nein, in diesem Sinn ist ein Rave nicht utopisch. Alle sozialen Widersprüche und Spannungen sind dort präsent; die Leute bringen ihre Aggressionen an den Rave, und man muss damit umgehen. Aber es ist eine Praxis, und man kann sie gut oder schlecht betreiben, reflektiert oder nicht.

Ihre politische Haltung ist eng mit dem Begriff der Praxis verbunden?

Ja, Theorie und Praxis passen nie fein säuberlich zusammen. Aber mich interessiert, wie Theorien aus einer Praxis hervorgehen, davon geformt werden und manchmal ein wenig blind dafür sind. Ich komme aus einer marxistischen Tradition, aber diese wurde irgendwann sehr akademisch, und viele realisieren nicht, dass ihr Marxismus mittlerweile hauptsächlich von ihrer eigenen akademischen Praxis handelt. Die akademische Sprache ist eine wertvolle Ressource, ich zitiere auch viele Bücher, aber ich will mich nicht limitieren. Die Gretchenfrage im Marxismus ist: Geht es um den Kampf der arbeitenden und ausgebeuteten Klasse oder um die abstrakte, universelle Qualität des Kapitals? Für mich ist es immer das Erste.

Die arbeitende Klasse auf dem Rave?

Nun, mit ein bisschen Humor kann man sagen: Wir Raver:innen arbeiten sehr hart. Wir tanzen stundenlang und produzieren dabei absolut nichts als Hitze. Du kommst in deinem Wintermantel an, hängst deine Titten raus, der Raum wird zu einer Sauna. Viele von uns fragen sich, ob ihre Brotjobs die Welt zu einem schlechteren Ort machen, also versammeln wir uns zu dieser Arbeit, aus der gar nichts entsteht. Nein, der Rave ist nicht die verdammte Revolution. Wir nehmen uns einen kleinen Teil der urbanen Maschine, einen Raum, ein paar Techniken, von Mitternacht bis zehn Uhr morgens. Und dann die Afterhours.