Kunst: Gegen Gewissensbisse ein Biscuit
In Langenthal und Solothurn versprechen zwei Ausstellungen, abstrakte ökonomische und ökologische Prozesse greifbar zu machen, um so das politische Bewusstsein zu fördern. Wie subversiv ist das?
Mehl, Wasser und eine Prise Salz: Diese Zutaten reichen aus, um Biscuits zu backen. Ihr eingestanztes Gesicht lächelt einen förmlich an, während sie von einem Stand hängen, neben «gute Laune»-gelben Wänden und überdimensionierten Kartonversionen ihrer selbst. Die Installation befindet sich derzeit im Kunsthaus Langenthal, sie ist die neuste Arbeit von Disnovation. Bisher bekannt dafür, sich an der Schnittstelle von Hacking und Aktivismus zu bewegen, hat sich das Kunstkollektiv nun der Thematik des Postwachstums verschrieben.
Abgepackt und vakuumiert symbolisieren die Biscuits materialisierte Sonnenenergie, sogenannte Solar Shares: Einheiten, die aus der Menge an Weizen gebacken sind, die pro Jahr auf einem Quadratmeter wächst und die den durchschnittlichen täglichen Energiebedarf eines Menschen deckt. «Seien wir solare Materialist:innen in Solidarität mit dem Planetariat!», steht an der Wand. Die verpackten Biscuitrationen wecken allerdings eher Prepper-Vibes, anstatt zum Nachdenken über neue Wirtschaftsformen anzuregen. Davon vermag auch das aus ökologischen Materialien gestaltete heitere Display nicht abzulenken.
Dem Erfindergeist trotzend
Disnovation will vor allem schon bestehende gute Ideen weiterverbreiten. Nicht speziell innovativ sein zu wollen, ist Programm. Man mokiert sich über den Kreativitätsmythos des genialen Einzelkünstlers, dessen sich ein neoliberales Storytelling, laut dem alles in der Hand des Individuums liegt, stets gern bedient.
Doch laufen solche Gedankenexperimente deswegen schon in Richtung Postwachstum? Die Tatsache, dass Disnovation die Energie der Sonne in biscuitförmige Münzen übersetzt, um den wirtschaftlichen Wert von deren Strahlung greifbar zu machen, lässt Zweifel daran aufkommen. Gleiches gilt für die Veranschaulichung aller möglichen komplizierten Zusammenhänge in messbare Einheiten: Dem für eine Ladung Biscuitproduktion benötigten Weizen kann einige Stationen zuvor beim Wachsen zugeschaut werden. Er gedeiht in einem System, das die «Ökosystemdienstleistungen» von Sonne und Regen berechnet und künstlich erzeugt.
Unseren Planeten auf derlei Kalkulationen zu reduzieren, fördert letztlich jedoch die Einbildung, die Umwelt könne gemanagt werden. Das Paradigma der menschlichen Naturbeherrschung wird noch weiter ausgedehnt, das Blickfeld auf rein technische Lösungen eingeengt. Den Blick der Besucher:innen wollen Disnovation allerdings ganz bestimmt nicht einschränken. Didaktisch lehrt einen die Ausstellung ein Vokabular, um durch das Anthropozän, unser aktuelles Zeitalter, in dem der Mensch zentralen Einfluss auf die Erde und ihre Atmosphäre nimmt, zu navigieren. Doch auf dem Grat zwischen der Zugänglichkeit zu komplexen Konzepten und fatalen Vereinfachungen bewegt das Kollektiv sich hier vielerorts nicht gerade trittsicher.
Gamifizierung von Leid
Neue Perspektiven auf dringliche Themen will auch die aktuelle Ausstellung von Rimini Protokoll im Kunstmuseum Solothurn eröffnen. Die Schweizer Theatergruppe machte sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit diesem Anliegen international einen Namen. Im ersten Raum begibt man sich in die nachgebauten Kulissen eines Stücks über den globalen Kreislauf von Waffen: «Situation Rooms» blickt auf den sogenannten Alltag von Personen, deren Lebenswege sich auf verschiedenste Weise mit diesem Kreislauf kreuzen – der Arbeiter in der Waffenindustrie, der «Arzt ohne Grenzen», ein Hobbyschütze, von der Gewalt Bedrohte und rechtlich dagegen Kämpfende. Frühere Theaterbesucher:innen wurden dabei gefilmt, wie sie den «alltäglichen» Parcours dieser Menschen via persönliche Videoanleitung über ein Tablet im realen Raum nachspielen.
Dem nun wiederum im Museum über den Screen beizuwohnen, bildet einen gelungenen Auftakt zur Schau: Er reflektiert, was es heisst, eine global zerstückelte Realität dem Publikum gebündelt zugänglich zu machen. Die multiplizierte mediale Vermittlung macht sie nicht weniger beklemmend. Sie lässt sowohl ein Einfühlen als auch eine kühle, distanzierte Perspektive zu. Und natürlich irritiert die Gamifizierung einer beklemmend gewöhnlichen Täterschaft in diesem Komplex.
Das Gefühl des Unbehagens zieht sich fort, wenn uns Rimini Protokoll in weitere Wirklichkeiten eintauchen lässt, etwa mit Virtual-Reality-Brillen in verschiedene Stationen der Lebensmittelproduktion. Plötzlich sieht man aus unmittelbarer Nähe, wie Fleisch am Fliessband verarbeitet oder wie in der Küche einer Unternehmenskantine geschuftet wird. Wenn das filmische Auge dann hinaus zu den Kantinengästen fährt, ist deren glotzende Reaktion auf die rollende Kamera ziemlich köstlich; das bricht mit der Illusion vom allmächtigen, unsichtbaren Standpunkt.
In anderen Arbeiten ist das Publikum tatsächlich mittendrin im Geschehen. Etwa in Videoaufnahmen, in denen Laien eine Klimakonferenz nachspielen, oder wenn Rimini Protokoll Aktien kauft, um die Generalversammlung der Daimler AG mit Zuschauer:innen zu fluten, und den Anlass so zum Theaterstück erklärt. Andernorts in der Ausstellung wird man angewiesen, in einem Orchestersetting in die Tasten von Spielzeuginstrumenten zu greifen. Zugleich erfährt man über Kopfhörer, dass man gerade einen Geflüchteten verkörpert, der aufgrund von Reisebestimmungen nicht selber im Orchester mitspielen kann. Das betont dann vor allem die Diskrepanz zwischen dem Moment eines Museumsbesuchs und einer härteren Realität – die irgendwo ganz, ganz weit weg bleibt.
Wessen Bewusstsein?
Doch wie verhalten sich die beiden Ausstellungen insgesamt zu den Wirklichkeiten, für die sie sich starkmachen? Beide versprechen, abstrakte ökonomische und ökologische Prozesse zu veranschaulichen und die Kunstinstitutionen als Plattform zu nutzen, um das politische Bewusstsein zu schärfen. Letzteres kann zweierlei bedeuten: Ginge es einerseits darum, aktivistisch in politischen Prozessen zu intervenieren, stellt sich wiederum die Frage, wie das über die Mauern des Museums hinaus gelingen kann. Die zweite Variante würde es dabei belassen, die Dinge einfach aufs Tapet zu bringen und damit ins Bewusstsein. Doch fragt sich dann: Wessen Bewusstsein? Und: Inwieweit rütteln solche Ausstellungspraktiken tatsächlich an bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen?
Die Ausstellung von Disnovation beruhigt wohl vor allem das Gewissen einer weissen, bürgerlichen, kleinstädtischen Mittelschicht, die ohnehin schon längst weiss, dass sie nachhaltiger konsumieren müsste – und nach diesem Lehrgang ihren imperialen Lebensstil wie gehabt fortführen dürfte. Den Kunstinstitutionen, durch die diese Ausstellung tourt, verspricht sie, die eigene gesellschaftliche Legitimation unter Beweis zu stellen (dringliche Themen!) – praktischerweise ohne dabei Sponsoren und andere Stakeholder zu verunsichern.
Demgegenüber gelingt es Rimini Protokoll mit seinen Theaterprojekten, tatsächlich eingreifend zu wirken. Im Museum sieht man dieses Eingreifen allerdings nur dokumentiert. Das Ausstellungsformat überzeugt dort, wo Bruchstellen der Vermittlung erfahrbar werden: etwa wenn sich die Unangemessenheit des Spielerischen gegenüber Waffengewalt und Flucht aufdrängt oder wenn sich die Illusion eines körperlosen Blicks auf die Umgebung auflöst. Anders als schöne Verpackungen und Slogans halten solche Momente dazu an, zu hinterfragen, wie wir diesen Wirklichkeiten sonst begegnen – oder sie auch einfach verdrängen.
«Der lange Schatten des Aufwärtspfeils. Prototypen für das Postwachstum» von disnovation.org ist bis am 25. Juni 2023 im Kunsthaus Langenthal zu sehen. www.kunsthauslangenthal.ch
Die Ausstellung von Rimini Protokoll im Kunstmuseum Solothurn läuft noch bis am 30. April 2023. www.kunstmuseum-so.ch