Tipp der Woche: Wenn der Blitz in die Blutbahn einschlägt
Ähnlichkeiten können auf innere Zusammenhänge verweisen – sagt die Signaturenlehre, aus der sich alte medizinische Einsichten ableiten: Weil etwa die Knollen der Herbstzeitlose einer verknoteten Zehe gleichen, sollen sie gegen Gicht helfen. «Die Natur schafft Ähnlichkeiten», schreibt auch der Kulturphilosoph Walter Benjamin. Daran muss man unwillkürlich denken, wenn man die auf farbige Stoffe gedruckte Reihe der Genfer Künstlerin Marie Velardi anschaut: Sehen wir hier ein weitverzweigtes Äderchensystem im Blutkreislauf, zerzauste Blattgerippe, die fantastischen Verästelungen eines Blitzes am Nachthimmel oder doch die zarten Arme von Flussläufen, die sich ins Landesinnere graben? Dieser Moment der Unsicherheit, bevor man den Titel «Bassins Versants» (deutsch: Einzugsbecken) liest, ist bei Velardi sicher Programm, illustriert er doch perfekt das vielgestaltige Ineinandergreifen von Mikro- und Makrokosmen, von Naturzyklen und Mensch, das die Künstlerin umtreibt – und das im Zeichen der Klimakrise für uns alle zum Brennpunkt wird. Passend dazu gibt es in Velardis Solothurner Ausstellung auch eine Arbeit zu den sensiblen Biosphären zwischen Wasser und Erde in Küstenregionen – und eine 28-teilige Serie mit Aquarellen von Mondphasen.
Marie Velardi in: Solothurn Kunstmuseum, bis 6. Oktober 2024. www.kunstmuseum-so.ch.