Literatur: Unter Halbtoten

Tief unten auf dem Meeresboden, umgeben von schwarzgrünem Licht, Algen und Fischschwärmen. An diesem aussergewöhnlichen Schauplatz spielt der neue Roman «Gespräche auf dem Meeresgrund» der deutschen Autorin Root Leeb. Die drei Protagonist:innen, im Buch meist nur benannt als «der Eine, der Andere und die Dritte», sind in unterschiedlichem Grad dem Vermodern anheimgefallen. Oder wie es der Eine ausdrückt, der als Erster ankam und sich bereits einen Reim machen konnte: «Wir sind Wesen, im Sinn von gewesen.»
Zwischen diesen Halbtoten entspinnen sich Dialoge um gesellschaftliche Fragen: Über die Stellung der Frau etwa, über die enormen Differenzen der Lebensstandards in unterschiedlichen Weltregionen und nicht zuletzt über die Opfer der europäischen Migrationspolitik. Daneben blitzen Erinnerungsbruchstücke der drei Figuren auf, die sie nicht geheim halten können, da auf dem Meeresgrund nicht nur Worte, sondern auch Gedanken zu hören sind. So zeigt sich, dass die drei im Leben verschiedene Plätze eingenommen haben: Der Eine ging mit einem seeuntüchtigen Schlauchboot unter, der Andere stürzte betrunken von einem Luxusschiff, die Dritte wurde mutmasslich ins Meer geworfen. Ungleichheiten, die sich fortschreiben: Nur die Überreste des Anderen werden schliesslich aus der Tiefe geborgen.
Im Wechsel mit den teils etwas langatmigen Gesprächen lässt Root Leeb atmosphärische Bilder der Unterwasserwelt entstehen. Immer wieder tauchen in ihrer geschickt arrangierten Erzählung Meeresbewohner:innen oder Eindringlinge auf: Kreuzfahrtschiffe, die mit ihrem mächtigen Dröhnen jede Unterhaltung verunmöglichen. Nymphen, die sich über die Menschen amüsieren. Und der Meeresgott Poseidon, der inmitten der Diskussionen um Würde und Menschlichkeit der drei Versunkenen urteilt: «Sollen die doch selbst schauen, wie sie das alles wieder in Ordnung bringen, ihre Zerstörungen und Kriege und ihre Seuchen. Womöglich schaffen sie es ganz alleine, sich auszurotten.»