Literatur: Ausbruch aus dem Alltagstrott
Es sind zufällige Bekanntschaften in der Lesegesellschaft in Basel. Bekanntschaften von Menschen, die gefangen sind in der Tristesse des eigenen Lebens, wie Mara, Charly, Zora und Nico, die vier Protagonist:innen im neuen Roman von Urs Zürcher. Deren Begegnungen in der Bibliothek verheissen einen Ausbruch aus dem Alltagstrott und Aussicht auf erotische Abenteuer.
Und dann taucht wie aus dem Nichts Grace auf. Sie vermag den Bibliotheksbesucher:innen einen Glanz in die Augen zu treiben, etwa als sie an einer Lesung teilnimmt: «Als hätte ein gigantischer Magnet sie gelenkt, bewegten sich die Köpfe im Saal der Lesegesellschaft synchron in Richtung Grace, die an den Stuhlreihen vorbeispazierte.» Die Lokaljournalistin Mara, die regelmässig von der Lesegesellschaft aus arbeitet, lässt sich darauf ein, Grace zu ihrer alten, abgelöschten Mutter mitzunehmen – bei der sie eine ebensolche Wirkung hervorruft.
In einem Showdown wird Grace jedoch ein schreckliches Schicksal zuteil: Das Buch steuert in vier Kapiteln darauf zu, jeweils an die Fersen einer der vier Protagonist:innen geheftet. Mitunter werden dieselben Episoden erzählt mit einer anderen Person im Mittelpunkt. Zürchers Sprache entfaltet einen eigenen Rhythmus: Sätze, die sich mit etlichen Kommas über eine halbe Seite erstrecken, wechseln sich ab mit einzelnen prägnanten Aussagen oder Dialogen auf ein, zwei Zeilen. Die Protagonist:innen sind in ihren Gedanken und Handlungen sprunghaft. Trotzdem gelingt es dem Basler Autor, ein präzises Bild seiner Figuren, ihres Umfelds und ihrer Beweggründe zu entwerfen. Dabei helfen auch die stellenweise gnadenlose Selbstbespiegelung und die abschätzigen Urteile über die anderen Figuren.
Weshalb sie schliesslich in einer kalten Dezembernacht, inmitten der düsteren Szenerie einer verlassenen Waldhütte, scheinbar belanglos zivilisatorische Grenzen überschreiten – dies überlässt Zürcher der Vorstellung der Leser:innen.