Von oben herab: Die Stille nach dem Stuss

Nr. 17 –

Stefan Gärtner über Roger Köppels Reise nach Moskau

Schlagfertigkeit ist ja, wenn die passende Antwort einen Tag später vorliegt, und natürlich habe ich die Reaktion auf den triumphalen Anwurf eines Kollegen, so doof wie ich, jahrzehntelang Fussball geschaut zu haben, sei er nie gewesen, noch immer so parat wie in der Beiz einst eben nicht: Dafür sei ich nie bei Facebook gewesen, bei Twitter, Instagram oder wo immer sonst sich der Kollege so herumtreibt.

Das ist, was mich betrifft, keine ideologische Entscheidung gewesen, eher eine vegetative; sie verdankte sich der Ahnung, dass mich, der ich schon jedes E-Mail stets sofort beantworte, Facebook die Hälfte meines Arbeitstages kosten würde. Und sicher ist Twitter erst mal nichts weiter als ein Werkzeug zur Meinungsbildung, das, wie ein Hammer, nützlich oder destruktiv sein kann, hat aber eben auch seinen Anteil daran, dass die Leut ihre Schädel nicht mehr vom Telefon kriegen; und wenn J. K. Rowling und die, die sie hassen, eine schöne Tasse Tee miteinander tränken, statt sich ständig wütend anzutwittern, vielleicht könnten sie agree to disagree und sich deshalb nicht gleich für genozidal respektive totalitär halten?

Freilich kommt man so nicht in die Zeitung, und vielleicht lebt Print nur deshalb noch, damit Leute, die nicht auf Twitter sind, mitbekommen, was auf Twitter los ist. Der SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Chefredaktor Roger («Taylor») Köppel war jetzt in Moskau, und zwar nicht, weil es da so schön ist, sondern damit die, die es falsch finden, im Krieg nach Moskau zu reisen, sich ärgern können. Offiziell ging es Köppel, der in Moskau eine Ausgabe seiner «Weltwoche daily» filmte, darum, das «sehr einseitige Bild, das wir in unseren Medien präsentiert bekommen», höchstselbst zu korrigieren: Die Läden seien voll, «keine Rede davon, dass Russland hier irgendwie am Boden liegen würde». Auch westliche Importprodukte gebe es, «fährt der Nationalrat gut gelaunt fort», wie der «Blick» entsetzt meldete. Denn: «Der Zeitpunkt ist brisant.» Zwei Tage zuvor hatte das Eidgenössische Departement fürs Auswärtige nämlich den russischen Botschafter einbestellt, weil der einem Korrespondenten der «Neuen Zürcher Zeitung» mit russischer Strafverfolgung gedroht hatte.

«Roger Köppel provoziert aus Moskau», titelte also der Online-«Blick», wobei die Provokation unter anderem so ging, dass Köppel vor einer mannshohen Hulk-Figur ein Selfie schoss und den Satz twitterte: «Kein Fussbreit den Grünen!» Und Deutschland bat, sich ein Beispiel zu nehmen, denn «in Moskau leuchten nicht nur die Lampen (viel Strom). Auch das Handynetz ist viel schneller als in Berlin.» Ich weiss nicht, ob es das deutsche Sprichwort auch in helvetischer Fassung gibt und es die Schweizer Eiche also gleichfalls nicht juckt, wenn eine Wildsau sich an ihr reibt; die grüne Nationalrätin Meret Schneider reagierte jedenfalls «prompt» («Blick»): «… und mangels demokratischer Prozesse kann auch politisch viel schneller agiert werden. Viel schneller. Schrei’n oder nicht schrei’n, das ist die Frage.» Und der Komiker Viktor Giacobbo (71) hatte keine Lust, sich einen Witz auszudenken, sondern wurde lieber sarkastisch: «Happy Electro-Boy mit schnellem Handy im leuchtenden Putinland!»

Da kann die Demokratie beruhigt schlafen, wenn jeder Pups unserer populistischen Medienkasper sofort vergolten wird. Denn schrei’n oder nicht schrei’n, das ist die Frage eben nicht, und ich bin ja nun der Letzte, der nicht verstünde, dass, wer Stuss redet, auch bitte Bescheid kriegen soll, das ist ja mein Geschäftsmodell. Aber ich muss mir überlegen, ob es für eine ganze Kolumne, vielleicht sogar zwei Seiten Aufsatz langt, und wenn es nicht langt, dann umso besser. Denn dass Provokationen, wie öd und billig immer, nie ins Leere laufen, ist ja eben der Grund dafür, dass es sie gibt.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

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