Medien und Propaganda: Die weisse Krähe

Nr. 3 –

Wie aus dem Journalisten Roger Köppel ein glühender Putin-Bewunderer wurde. Und was es bedeutet, dass er diesen Freitag das Hochamt der SVP im «Albisgüetli» zelebriert.

Roger Köppel mit einem Selfiestick
Hinter dem Selfiestick verschwindet die Realität: Roger Köppel. Foto: Anthony Anex, Keystone

Manchmal wird die «Weltwoche» für die russische Sicht auch handgreiflich. Es ist Sonntag, der 16. Juni 2024, die Konferenz für Frieden in der Ukraine auf dem Bürgenstock neigt sich dem Ende zu. Im Luxushotel hoch über dem Vierwaldstättersee haben Bundespräsidentin Viola Amherd, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und weitere Staatschefs soeben ihre Schlusserklärung präsentiert. Nun gibt Selenski solo noch eine Medienkonferenz, die letzte Frage soll jemand aus der Schweiz stellen. Bereits in Stellung gebracht hat sich NZZ-Sicherheitsexperte Georg Häsler – doch wider Erwarten hält plötzlich «Weltwoche»-Redaktor Marcel Odermatt das Mikro in der Hand.

Häsler wird später von einem «veritablen Bodycheck» sprechen, Odermatt wiederum will nichts getan haben, das Mikrofon sei ihm per Zufall in den Schoss gefallen. Wie auch immer: Am Ende liest Odermatt, der sich an der Konferenz zuvor vor allem für den tadellosen Einsatz der Innerschweizer Polizeieinheiten interessierte, eine Frage zur Weltpolitik vom Blatt: Ob denn damals in Istanbul, nur wenige Wochen nach Ausbruch des Krieges, nicht etwa ein Frieden auf dem Tisch gelegen habe? «Das war kein Verhandlungsresultat, wir wurden mit einem Ultimatum konfrontiert», antwortet Selenski. Dann verschwindet der ukrainische Präsident hinter den Kulissen.

Die Behauptung, die Ukraine hätte in Istanbul im März 2022 auf Druck Grossbritanniens auf einen Friedensschluss verzichtet, gehört zum Standardrepertoire all jener, die Russlands Angriff zu einer rein geopolitischen Auseinandersetzung zwischen der westlichen Militärallianz Nato und Russland umdeuten wollen. Auch von der «Weltwoche» wird diese These regelmässig ausgebreitet. Wie sich ihr Chefredaktor, Verleger und Inhaber Roger Köppel in den letzten Jahren überhaupt auf die Seite des russischen Aggressors geschlagen hat und unverhohlen Machthaber Wladimir Putin huldigt.

Die Entwicklung des Blattes ist ein Tabu der Schweizer Mediengegenwart. Alle wissen um die Radikalisierung, viele finden sie gefährlich, trotzdem gab es nur vereinzelte Berichte zu den Hintergründen. Viele Fragen sind offen: Welches persönliche Netzwerk zum russischen Machtapparat pflegt Köppel? Wie finanziert er seine Publizistik? Ist das noch Journalismus oder längst Propaganda? Wie wird er in Russland wahrgenommen? Und wie findet das alles mit dem Kurs der SVP zusammen? Am Freitag dieser Woche löst Köppel den Multimilliardär Christoph Blocher als Albisgüetli-Redner ab. Und leitet im Zürcher Schützenhaus somit das jährliche Hochamt der Partei.

1. Köppel schweigt über Köppel

Dass es auf diese Fragen bisher nur wenige Antworten gibt, hat auch damit zu tun, dass sich kaum jemand öffentlich zu Köppel äussern will. Beispielhaft ein SVP-Nationalrat am Rand der Wintersession: «Ich habe die ‹Weltwoche› gar nicht abonniert!» Um dann später im Bundeshausbistro angeschlichen zu kommen und sich über die Furcht in der Fraktion vor der Disziplinierung durch die Zeitschrift zu beklagen. Beispielhaft auch ein medialer Weggefährte, der sich entsetzt zeigt über Köppels Entwicklung, aber nicht einmal diese Aussage namentlich autorisieren will. Dass in dieser Recherche zwei Slawist:innen, Sylvia Sasse von der Universität Zürich und Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen, die präzisesten Einschätzungen liefern, kann nicht überraschen: Als Kenner:innen der früheren sowjetischen und der heutigen russischen Propaganda, im Übersetzungsraum zwischen deutsch und russisch, können sie am besten beurteilen, was hier vor sich geht.

Auch Roger Köppel selbst will sich nicht mit der WOZ treffen, obwohl er im Minutentakt auf Mails antwortet: «Alles ist gesagt und kann nachgelesen oder nachgehört werden.» Auf die Nachfrage, dass es im Interview auch um verlegerische Angelegenheiten gehen solle, ziert er sich: «Haben Sie Dank für Ihre Hartnäckigkeit. Alles, was ich publizistisch und verlegerisch tue, lässt sich täglich und wöchentlich besichtigen.»

Zumindest in diesem Punkt hat Köppel recht. Viele Informationen zu seinen Aktivitäten lassen sich gewinnen, wenn man den Nerv hat, sich durch seine immense Medienproduktion zu arbeiten, zu der auch zwei tägliche Youtube-Sendungen gehören. Weil alle Texte und Videos mit der heissen Nadel gestrickt sind, finden sich oft Querbezüge und Angaben zum Making-of der Beiträge. So lässt sich aus den vielen Puzzleteilen ein Gesamtbild zusammenfügen. Frei nach dem Lieblingsmotto des Philosophen Slavoj Žižek: «The truth is out there».

2. Der Türöffner

Wo nimmt die Geschichte ihren Anfang, wann begann Köppels Sehnsucht nach Russland? Es muss schon lange her sein, in seiner Zeit in Berlin von 2004 bis 2006, als er auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand. Erst hatte er das Magazin des «Tages-Anzeigers» geleitet, dann die einst linksliberale «Weltwoche» auf die rechte Spur gebracht. Nun war ihm der Sprung nach Deutschland gelungen, er war Chefredaktor des konservativen Renommee-Titels «Welt». So lernte er auch das Ehepaar kennen, das in der Hauptstadt damals für die rauschendsten Feste bekannt war: den russischen Botschafter Wladimir Kotenjow und Ehefrau Maria Kotenjowa.

An den Bällen in der Residenz mit bis zu tausend Gästen wurde an Krimsekt, Wodka und Kaviar nicht gespart. Grössen aus Politik, Wirtschaft, Medien und Showbiz nahmen teil, darunter der frühere SPD-Kanzler und spätere VR-Präsident der North-Stream-Gaspipeline Gerhard Schröder. Kotenjow gewinnt auch Köppel für sich: «Er hat mir damals, vor über zwanzig Jahren, die Augen für sein Heimatland geöffnet. Ihm verdanke ich meine ersten Reisen und Gespräche», erinnert sich Köppel in einem Beitrag. Bald ging er zurück nach Zürich, Kotenjow gab 2010 seinen Botschafterposten ab. Ihre Wege sollten sich später wieder kreuzen.

Köppel kehrte heim zur «Weltwoche», weil ihm rechte Financiers um den Tessiner Tito Tettamanti die Zeitschrift zu einem guten Preis zuhielten. Er war nun beides: Chefredaktor und Verleger. Und bald auch Politiker: 2015 liess er sich für die SVP ins Parlament wählen. Aussenpolitisch dominierte in der Zeitschrift damals vor allem ein Thema: die USA und der Aufstieg von Donald Trump. Köppel, der schon immer eine übersteigerte Affinität zur US-Popkultur und zu Hollywood-Blockbustern hatte, verfolgte begeistert Trumps Werdegang – und lud dessen Strategen Steve Bannon 2018 nach Zürich ein.

Russland war dagegen nur ein Inhalt unter vielen. Und diente der Werbemittelbeschaffung, etwa mit einer Sonderbeilage «Faszinierendes Russland» zur Fussball-WM im gleichen Jahr. Inserenten wie die Gazprombank oder die Sberbank erhielten wohlwollende Porträts im redaktionellen Teil des Hefts. Vermittelt hatte die Werbekunden gemäss Informationen der WOZ die russische Vertretung in Bern unter dem noch heute amtierenden Botschafter Sergej Garmonin. Die Botschaft pries die «lesenswerten Beiträge» denn auch schon einen Tag vor Erscheinen des Hefts auf Twitter an. Auffällig ist: Roger Köppel schrieb in der Beilage keine einzige Zeile zu Russland. So sollte es auch bleiben – bis zum Beginn des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022.

Cover der Weltwoche Ausgabe Nr. 8/2022 von 24. Februar
Missglücktes Timing? «Weltwoche»-Cover am Tag der russischen Vollinvasion in die Ukraine. «Die Weltwoche»

Die Berichterstattung darüber begann mit einem Fauxpas. Just am Tag, als der Kreml Kyjiw aus der Luft und am Boden angreifen liess, setzte die «Weltwoche» Putin aufs Cover: «Der Missverstandene». Autor des Beitrags war Thomas Fasbender, der bis dahin eine Sendung in der deutschen Ausgabe des russischen Propagandasenders RT hatte. Aber vielleicht war der Titel ja gar kein Fehler: Schon wenige Wochen später publizierte Köppel seine «Bekenntnisse eines Russland-Verstehers». Er zeigt darin Verständnis für Putins autoritären Führungsstil – und vergleicht ihn mit einem treuherzigen Bären, den der Westen mit der Osterweiterung der Nato so lange getriezt habe, bis er praktisch gar nicht mehr anders konnte, als zur Bestie zu werden.

Anfänglich finden sich im Blatt noch Berichte des bekannten Kriegsreporters Kurt Pelda aus der Ukraine. Doch schon im Juni kündigte dieser seinen Vertrag und ging zu CH Media. «Ich wollte nicht mehr für ein klar prorussisches Magazin schreiben und in der Ukraine arbeiten. Das ist letztlich auch einfach zu gefährlich», begründet Pelda im Gespräch mit der WOZ seinen Wechsel. Auch Kolumnist Henryk M. Broder verliess die Zeitschrift schnell. Alles habe eine Vorgeschichte, auch der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, schreibt er zum Abschied in der «Weltwoche». «Fest steht allerdings, dass Russland derzeit in der Ukraine wütet und nicht umgekehrt.» Broders Text endet mit den Worten: «Klarheit vor Einheit».

3. Ein Meister der Ausblendung

Einheit herrschte im Blatt spätestens ab dem Sommer 2022. Köppels Interesse an Russland wird zur Obsession. Dauernd schreibt er im Magazin, spricht auf seinen Videokanälen darüber. Lässt aufwendige Spezialausgaben produzieren, etwa eine Rechtfertigungsschrift des US-Historikers Benjamin Abelow: «Wie der Westen den Krieg in die Ukraine brachte». Köppel jettet sogar extra in die Vereinigten Arabischen Emirate, um Andrei Melnitschenko, dem früher in St. Moritz wohnhaften Oligarchen und bei Kriegsausbruch sanktionierten Besitzer des Zuger Düngemittelkonzerns Eurochem, ein ellenlanges Interview zu gewähren. Das Gespräch ist offenkundig Teil einer PR-Kampagne von Melnitschenko: Wenige Tage vor Köppel darf schon der rechte US-Moderator Tucker Carlson den Oligarchen zum Gespräch treffen.

Gerade bei diesem Thema kommen Köppels publizistische und politische Tätigkeit vortrefflich zusammen. Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission berichten, Köppel habe – falls er überhaupt an Sitzungen teilnahm – vor allem eine Sorge umgetrieben: dass Oligarchen wie Melnitschenko sanktioniert würden. In seiner Partei ist er mit diesem Engagement nicht allein, auch der Zuger Regierungsrat Heinz Tännler setzt sich damals für Eurochem ein. Am Ende wird das Staatssekretariat für Wirtschaft unter SVP-Bundesrat Guy Parmelin eine massgeschneiderte Lösung für die Firma treffen: Der Betrieb kann weiterlaufen, sofern die Verbindungen zu Melnitschenko gekappt sind. Die Oligarchenfürsorge der SVP pflegt Köppel indes auch nach seinem Rücktritt aus dem Nationalrat im Jahr 2023 weiter: Sein eigenes Land bezeichnet er einmal gar als «Kriegspartei gegen Russland», weil es die EU-Sanktionen übernommen und damit die Neutralität preisgegeben habe.

Das Ende seiner politischen Laufbahn begründete Köppel damit, dass er «mögliche Interessenskonflikte zwischen der zusehends internationalen Ausrichtung der ‹Weltwoche›» und seiner Parlamentstätigkeit verhindern wolle. Und landete schon wenige Wochen später in Moskau, um die vom Haager Strafgerichtshof wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder gesuchte Marija Lwowa-Belowa und den für seine Hetzpropaganda bekannten staatlichen Fernsehmoderator Wladimir Solowjow zu interviewen. Hätte er das als Nationalrat getan, der wiedergewählt werden möchte, es hätte wohl einen Sturm der Entrüstung gegeben.

das Kyjiwer Ochmatdyt-Kinderspital nach dem Einschlag eines russischen Marschflugkörpers im Juli 2024
Ausgeblendete Wirklichkeit: Das Kyjiwer Ochmatdyt-Kinderspital nach dem Einschlag eines russischen Marschflugkörpers im Juli 2024. Foto: Sergey Dolzhenko, Keystone

Die Positionen, die Köppel zum Krieg vertritt, sind verkürzt, verkehrt und bisweilen haarsträubend: Der Westen habe den Krieg durch die gleichzeitige Unterschätzung und Brüskierung Russlands «wesentlich mitverursacht», heisst es in einem Editorial kurz nach Beginn der Vollinvasion. Russland reagiert also nur, es agiert nicht. «Die Grossmächte USA und Russland stossen in der Ukraine aufeinander», schreibt er Ende letzten Jahres. Die Ukraine hat also keine Eigenmächtigkeit, fällt aus der Gleichung. Brutale russische Kriegsverbrechen mit Hunderten zivilen Opfern wie die Massaker von Butscha stellt er in einem Streitgespräch mit Kurt Pelda raunend «infrage». All das dient erkennbar dazu, Putin von jeder Schuld reinzuwaschen. Noch einmal Köppel in einem Editorial: «Russlands Staatschef macht auf mich den Eindruck eines Mannes, der das Schlimmste verhindern will.» Mehr noch, er kann dem Westen sogar die Zukunft bringen: «Ist Putin gar der Kälteschock der Wirklichkeit, den der Woke-Westen so dringend brauchte?»

Begleitet werden solche Aussagen vom üblichen köppelschen Theaterdonner, bloss eine vermeintlich «andere Sicht» als der Mainstream einzunehmen, eisern den journalistischen Grundsatz «Schreiben, was ist» zu verfolgen. Das Pathos überdeckt, dass Köppel ein Meister der Ausblendung ist. In seiner Konstruktion eines Stellvertreterkriegs geht nicht nur die ukrainische Gesellschaft vergessen, sondern auch die russische. Für die 1500 politischen Gefangenen oder die Zerstörung der Medienfreiheit interessiert sich Köppel kaum eine Zeile. Wie fügt sich all das in die russische Propaganda ein?

4. Verkehrungen ins Gegenteil

Die Slawistin Sylvia Sasse hat an der Uni Zürich im letzten Semester eine Ringvorlesung zu ­«Global Narratives of Disinformation in Russia» organisiert. Die Methoden der Propaganda und der Desinformation im heutigen Russland glichen jenen in der früheren Sowjetunion, führt sie bei einem Gespräch in ihrem Institut aus. «Putins erklärtes Ziel ist die Zersetzung der demokratischen Staaten. ‹Razlozhenie› lautet dazu der Begriff im Russischen, den schon die sowjetischen Geheimdienste pflegten.» Allerdings stelle man sich die Verbreitung dieser Propaganda heute oft falsch vor. «Sie erfolgt weniger über grobe Fake News, sondern über sanfte Erzählungen, die sich jeweils an spezifische Weltregionen und Staaten richten.»

Für die afrikanischen Länder laute das Narrativ etwa, dass Russland einen «antikolonialen Krieg» führe. Gegenüber Europa wiederum wird behauptet, dass die Nato einen Frieden verhindere. Und die Schweiz wird an ihre strikte Neutralität gemahnt. «Das verbindende Muster all dieser Erzählungen ist, dass sie ‹Verkehrungen ins Gegenteil› darstellen», sagt Sasse, die unter diesem Titel auch ein Buch über die Machttechniken populistischer und autoritärer Politiker wie Wladimir Putin publiziert hat. So marschiere Russland in einen souveränen Staat ein – und gebe sich gleichzeitig als koloniale Befreiungsmacht. So habe Putin den Entscheid für den Krieg gefällt – und inszeniere sich zugleich als Mann, der doch nur den Frieden wolle. Die Umkehrungen, so Sasse, funktionierten ganz nach dem Slogan, der in George Orwells dystopischem Roman «1984» auf dem Wahrheitsministerium prangt: «Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Ignoranz ist Stärke!»

Wobei man sich nicht etwa denken müsse, dass diese Verkehrungen im finsteren Keller eines ebensolchen Ministeriums ausgeheckt würden. «Sie entstehen vielmehr als Folge von ‹opportunistischen Synergien› zwischen Politik, Kirche und Medien.» Will heissen: Jede und jeder, der davon profitieren kann, strickt die Erzählungen weiter. Die krassesten Formulierungen stammten auch gar nicht von Putin selbst, sondern von Personen, deren Funktion es sei, die Grenzen des Sagbaren öffentlich zu verschieben, etwa dem medialen Scharfmacher Wladimir Solowjow oder von Aussenamtssprecherin Maria Sacharowa, die von der EU «als zentrale Person der Regierungspropaganda» sanktioniert wird.

Genau an dieser Stelle kommt Köppel ins Spiel. TV-Hetzer Solowjow lässt er in seinem Blatt Ukrainer:innen als Nazis verunglimpfen. Und mit Sacharowa diskutiert er auf dem Podium einer regierungsnahen Konferenz im russischen Sotschi über die Schweizer Neutralität. «Die Propaganda funktioniert in einer Wechselwirkung. Auch Personen aus dem Westen verbreiten die Narrative, weil sie selbst antidemokratisch denken – oder darauf einfach ihr Geschäftsmodell gründen», sagt Sasse.

5. Die Köppel Holding AG

Was genau ist das Motiv des dauerwachen Workaholics Köppel, der sich in seinen Videos stets penetrant gut gelaunt gibt? Ist es das Geld, die Aufmerksamkeit, die Ideologie? Vermutlich eine Mischung. Von der WOZ befragte Parlamentarier:innen und frühere wie aktuelle «Weltwoche»-Mitarbeiter:innen betonen alle: Köppel beziehe bei jedem Thema genau die Position, die der gängigen Meinung maximal widerspreche. Im besten Fall verschaffe ihm das nicht nur Aufmerksamkeit – sondern lasse sich auch finanziell in Wert setzen. Genau das habe er sich auch mit seiner russlandfreundlichen Positionierung erhofft.

Wie aber lässt sich mit diesem Kurs Geld machen? Die überraschende Antwort: mit Youtube-Videos. Bloss aus Spass steht auch Köppel nicht in aller Herrgottsfrühe auf, um mit den Aufzeichnungen für seine beiden Videoansprachen zu beginnen, eine für die Schweiz und eine für Deutschland. Zahlen des Vergleichsportals «Social Blade» zeigen, dass das 2018 gestartete «Weltwoche Daily»-Format erst ab Anfang 2022 abhob. Begründen lässt sich dies mit der Lancierung der Deutschlandausgabe kurz zuvor – und dem Beginn der russischen Vollinvasion. Die Abozahlen des «Weltwoche»-Kanals steigen von 57 000 im Februar 2022 auf 337 000 Mitte Januar 2025, im Gleichtakt klettern auch die Aufrufe der Videos empor. Immer dann, wenn es um Russland oder um die AfD geht, zeigt die Statistik Spitzenwerte. Mit den Themen aus dem Osten gewinnt Köppel also Geld im Norden. Genauer: mit der Werbung, die in und um die Videos platziert ist. Mitarbeiter:innen sprechen von einer «substanziellen Einnahmequelle».

Auch mit der Zeitschrift selbst dürfte Köppel noch viel Geld machen. Zwar halbierte sich die WEMF-beglaubigte Auflage seit seiner Rückkehr 2006 von 83 000 auf knapp 39 000 Exemplare, was mit dem vollen Abopreis gerechnet aber noch immer mehr als dreizehn Millionen Franken Einnahmen jährlich bringen würde. Köppel hat zudem die Redaktion radikal auf zwölf Personen zusammengekürzt, hinzu kommt ein kleines Produktionsteam. Die Ausrichtung auf Köppels Person zeigt sich auch in der Besitzstruktur: Die Weltwoche Verlags AG gehört gemäss Handelsregister einer Köppel Holding AG. Die wiederum kennt nur zwei Verwaltungsräte: Roger Köppel und seine Frau, die frühere UBS-Bankerin Bich-Tien Köppel. Über die Finanzen wissen abschliessend nur Herr und Frau Köppel Bescheid.

Gemäss Informationen, die der WOZ vorliegen, wurde die Sonderbeilage von Benjamin Abelow zum Westen als Kriegsverursacher von einem Unternehmer aus dem «Weltwoche»-Freundeskreis gesponsert. Mit dieser Feststellung konfrontiert, antwortet Köppel doch noch schriftlich: «Ihre Information ist falsch. Niemand hat diese redaktionelle Beilage gesponsert.» Zur Frage der Inseratevermittlung durch die russische Botschaft bei der WM-Beilage nimmt er keine Stellung. Zur Finanzierung der Zeitschrift hält er grundsätzlich fest: «Die Weltwoche finanziert sich ausschliesslich über Anzeigen und Abos und ist seit meiner vollen Übernahme als Unternehmer 2007 im Markt profitabel.» Zahlen zu seinen Werbegewinnen mit den «Daily»-Videos will Köppel keine liefern.

6. Friedensmesse im Dolder

Zur Geschäftstätigkeit der «Weltwoche» zählen auch Veranstaltungen mit prominenten Gästen, die den Russlandkurs teilen. 2023 war zum Neunzig-Jahr-Jubiläum der Zeitschrift der ungarische Staatschef Viktor Orbán zu Besuch, im letzten Jahr kamen Gazprom-Lobbyist Gerhard Schröder und Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. Orbán und Schröder lud Köppel kurz darauf auch zum «Friedensgipfel» in die Wiener Sofiensäle. Wie er sich überhaupt bisweilen wie ein Vernetzer der rechtspopulistischen Parteien in Europa geriert: Auch AfD-Chefin Alice Weidel darf in der «Weltwoche» neuerdings eine Kolumne bestreiten.

Die gegenseitige Ehrerbietung, die solche Veranstaltungen ausmacht, ist an einem regnerischen Mittwochnachmittag Anfang Dezember im «Dolder Grand» hoch über Zürich zu besichtigen. Streng bewacht von Einsatzkräften der Stadtpolizei – auf Kosten der Steuerzahler:innen also – hält Köppel eine Messe für Vučić ab. Auf der Bühne stehen eine serbische und eine Schweizer Flagge vor einer Leinwand voller «Weltwoche»-Logos, am Rand der Bühne wird später eine meterhohe Kerze von einem hohen Geistlichen der serbisch-orthodoxen Kirche in der Schweiz entzündet werden. Das Publikum ist schon eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung fast vollzählig und erwartungsfroh, 120 Franken hat bezahlt, wer hier auf einem der 500 Plätze sitzt.

Auch hier taucht wieder wie aus dem Nichts «Weltwoche»-Redaktor Marcel Odermatt auf. Es seien viele Serben da, man habe ja auch viel für sie gemacht, eine ganze Spezialausgabe im Oktober etwa, unter dem Motto «Würdigung eines Heldenvolks». Die Serben seien wie die SVP, sagt Odermatt, «man prügelt ständig auf sie ein». Die Veranstaltung richtet sich aber auch an den einflussreichen und vermögenden Freundeskreis von Roger Köppel: Eingeladen sind Christoph Blocher und Peter Spuhler, von dessen Stadler Rail Vučić für 180 Millionen Franken Züge kaufte. Auch die russisch-schweizerische Milliardärin Margarita Louis-Dreyfus ist da. Sie habe keine finanzielle Verbindung zur «Weltwoche», gibt sie zu Protokoll, sie interessiere sich einfach «für die politische Situation in europäischen Ländern». Auch Daniele Ganser, Verschwörungsprofi und ein weiterer Held aller Putinversteher:innen, ist anwesend.

Es ist ein Treffen Gleichgesinnter, eine Verbrüderung vor einmütigem Publikum. Köppel lobt Vučić als «Mann des Friedens», als «Wilhelm Tell Serbiens», die Serben als «Nation, die das europäische Christentum verteidigt». Nicht zur Sprache bringt er die nationalistisch-fanatische Vergangenheit von Vučić, der nur wenige Tage nach der genozidalen Ermordung von Muslimen in Srebrenica angesichts drohender Luftschläge der Nato im Parlament sagte: «Für einen toten Serben werden wir hundert Muslime töten.»

Vučić also, dieser «Mann des Friedens», überschüttet auch Köppel mit Komplimenten: «Du bist so energetisch, so konzentriert, ich kann so viel von dir lernen», sagt er gleich zu Beginn seiner Rede. In der folgenden zähen Stunde malt er nuschelnd ein düsteres Weltbild an die «Dolder»-Wand. Im Saal lauscht ihm auch Milorad Dodik, der sezessionistische Anführer der bosnischen Serb:innen, der in der Serbien-«Weltwoche» wiederum Putin als «Mann des Friedens» bezeichnen durfte. Wo man auch hinschaut im Saal: Frieden allüberall.

7. Die Ungarn-Connection

Noch enger als die Bande zu Vučić sind die zu Viktor Orbán. Köppels Weg nach Moskau, so könnte man sagen, führte über Budapest. Der ungarische Premier, der nach eigenen Worten eine «illiberale Demokratie» errichtet hat und sich mit seiner Fidesz-Partei enorm am Staat bereichert, tauchte schon früh im «Weltwoche»-Universum auf. 2012 gibt er Köppel das erste Interview, über die Jahre folgen weitere. Köppel wiederum kreuzt selbst wiederholt in Budapest auf, spricht etwa auf einem Treffen von US-Republikaner:innen und Rechtsaussen-Politstars oder an der Medienschule des Mathias Corvinus Collegium, der von der ungarischen Regierung gesponserten orbántreuen Kaderschmiede. Geleitet wird sie von Boris Kálnoky, der auch als langjähriger Ungarnkorrespondent der «Weltwoche» tätig ist.

Mit Orbán ist Köppel mittlerweile so vertraut, dass er ihn letzten Sommer «embedded» auf dessen sogenannter Friedensmission zuerst nach Kyjiw und dann nach Moskau begleiten durfte. Die beiden Reisen hat Köppel in aufgeregten Reportagen beschrieben, insbesondere auch den Moment, als er im Kreml Wladimir Putin zum ersten Mal leibhaftig begegnete: «Er ist kein raumfüllender Charismatiker, kein Showman. Seine Show liegt in der Ruhe.» Köppels grosses Ziel, das sagen Vertraute, sei ein Interview mit Putin. So, wie es sein grosses US-Vorbild Tucker Carlson erhielt, der ihm auch schon bei Oligarch Melnitschenko voraus war. Diesem berichtete Köppel gemäss seinem Reisebericht schon von unterwegs über sein Abenteuer mit Orbán. Tucker an Roger per SMS: «Klingt wie eine unglaubliche Reise. Gratuliere. Orbán ist ein Held.»

Post von Roger Köppel auf Twitter/X von 22. August 2023: Roger Köppel mit Tucker Carlson
Treffen mit dem grossen US-Vorbild: Moderator Tucker Carlson und Roger Köppel in Budapest. Screenshot: X

Um sein Ziel zu erreichen, setzte bei Köppel 2024 sowieso eine enorme Reisetätigkeit ein. Er flog erst noch einmal nach Moskau, später an den Gipfel der Brics-Staaten in Kasan. Für Übersetzungen aus dem Russischen braucht er stets einen Dolmetscher. Überhaupt sucht er selten das Gespräch mit der Bevölkerung. Stattdessen ergeht er sich in seitenlangen historischen Abhandlungen, etwa über die Mongolenherrschaft, sowie in Mutmassungen über die russische Seele: «Die Russen sind sensibel, empfindlich wie Frauen, aber auch unendlich gutmütig und wohlmeinend mit einem Zug ins Naive.» Köppel, von den Weggefährten seiner Generation als brillanter Kopf gefeiert, klingt in solchen Momenten eher wie Globi auf Reisen.

8. Im russischen Spiegel

Die bisher letzte Russlandreise führte ihn im November nach Sotschi an die Waldai-Konferenz. Der Diskussionsklub mit Stammgast Putin wurde einst vom Rat für Aussen- und Verteidigungspolitik (SWOP) mitgegründet, einer Denkfabrik bestehend aus Eliten des sowjetischen Sicherheitsapparats. Wenig überraschend lautete das Thema 2024 «Multipolarität», eines der derzeitigen Lieblingsschlagwörter russischer Propaganda.

An einer Fragerunde in Sotschi konnte Köppel Putin auch erstmals direkt ansprechen: «Ich habe noch nie einen Führer von Ihrer Statur gesehen, der so lange auf diesem Niveau kommuniziert hat. Gratulation, das ist fantastisch.» Nach dieser Huldigung bittet er Putin wenig verklausuliert um ein Interview. Auf ein solches wartet er zwar noch. Die russische Sicht nahm Köppel aber mit nach Hause, um sie in einem Editorial mit dem Titel «Putins letzte Warnung?» zu schildern. Der Text war ihm offenbar so wichtig, dass er ihn auch als ganzseitiges Inserat in der NZZ schalten liess.

Post von Roger Köppel auf Twitter/X von 23. April 2023 aus Moskau
Leuchtende Lämpchen, leuchtende Augen: Köppel im April 2023. Screenshot: X

Während Köppel in der Schweiz also die Sicht des russischen Regimes verbreitet, dient er in Russland umgekehrt als Fürsprecher aus dem Westen – etwa in einem Interview mit «Argumenti i Fakti», der meistgelesenen Wochenzeitung des Landes. Vermittelt hat es Exbotschafter und Partybär Wladimir Kotenjow, den Köppel in Moskau erneut trifft. Ob er angesichts seiner Positionen zu Hause keine Angst habe, will der Interviewer zum Schluss von Köppel wissen: Er falle damit doch auf wie eine weisse Krähe. Es sei ihm ein Anliegen, das Bild von Russland im Westen zu korrigieren, meint Köppel. Und preist Putin einmal mehr als «mächtige Führungspersönlichkeit», die für Stabilität sorge.

Auch die Videos, die Köppel aus den sauberen Strassen im «funkelnden Moskau» sendet, wo «im Gegensatz zum versifften Berlin» alles zum Besten stehe – Selfie hier, Selfie da –, werden von staatsnahen russischen Medien gerne aufgegriffen. Journalist Roger Köppel unbehelligt unterwegs in einem Land, in dem seit dem Amtsantritt des aktuellen Präsidenten mindestens 37 Journalist:innen ermordet wurden. Unterwegs als Beweis dafür, dass sich im Westen längst nicht alle gegen das so oft missverstandene Russland verschworen haben.

9. Silvesterzauber

Was aber lässt sich bei der russischen High Society in der Schweiz über Köppels Aktivitäten in Erfahrung bringen? Und was denken sie über den Krieg, den ihr Land gegen die Ukraine führt? Vor dem Hotel St. Gotthard an der Zürcher Bahnhofstrasse steht an einem frostigen Abend Mitte Januar ein strahlend weisser Rolls Royce, Spezialanfertigung, Zuger Kennzeichen. In der Lobby empfängt das Personal mit einem Glas Wodka. Begangen wird das alte russische Neujahr, ein Traditionsanlass. Früher kam das SRF regelmässig, um die reichen Russ:innen beim Feiern zu filmen, heute kommt das SRF nicht mehr.

Auch Roger Köppel taucht nicht auf, dafür hat er Hotelbesitzerin und Gastgeberin Ljuba Manz, die selbst aus dem ukrainischen Charkiw stammt, in seiner Youtube-Sendung liebevoll zum 84. Geburtstag gratuliert. Bögen mit Luftballons in den Farben der russischen Trikolore schmücken das Hotel. Es gibt Champagner, Lachstatar mit Kaviar und Rindfleisch mit schwarzem Trüffel. Dazu jedes Klischee, das man sich zu reichen Russ:innen so denken kann. An den festlich gedeckten Tischen sitzen der russische Botschafter Sergej Garmonin und seine Frau, ein extra aus Moskau eingeflogener Prinz sowie ein Urenkel des Zaren, dazu Vertreter:innen der Schönheitschirurgie; keine Oligarchen, kein Andrej Melnitschenko, dafür Ariel Davidoff, der Anwalt von Eurochem, und dazu zu später Stunde wie schon im «Dolder» noch Milliardärin Margarita Louis-Dreyfus.

Nach der überschwänglichen Begrüssung durch Ljuba Manz hält Botschafter Garmonin eine Rede. «Leider gelang es einige Jahre nicht, sich hier zu versammeln. Erst war die Pandemie, dann die bekannten Ereignisse», seufzt er. Um mit einem freudigen «Hurra!» die Party wieder in Gang zu bringen. Die Band schwelgt dem vergangenen Imperium nach, spielt den beliebten Klassiker «Ach Odessa, Perle am Meer!». Auch Odesa wird regelmässig von Russland angegriffen. Im November schlug etwa eine Rakete in einem Wohnviertel ein, zehn Menschen starben, fast fünfzig wurden verletzt. Die zur Schau gestellte Unbeschwertheit im Hotel St. Gotthard wirkt aufdringlich. Der Abend, er ist auch eine Meisterleistung der Verdrängung.

Im Fumoir lässt sich Anwalt Ariel Davidoff für ein Gespräch über seine Lobbyarbeit für Melnitschenko im Schweizer Parlament und über Roger Köppel gewinnen. Man ist sofort per Du, doch was er erzählt, will er nicht wiedergegeben sehen. Auch der Botschafter lässt sich in ein Gespräch verwickeln. Die Schweizer Medien müssten objektiv sein, sagt Garmonin, was sie leider nicht seien. «Aber Roger Köppel, der ist objektiv.» Er kenne ihn von einem Botschaftsempfang. Weiter führt die Unterhaltung vorerst nicht, Ljuba Manz fordert Garmonin zum Tanz auf. Zweiter Anlauf, doch als wir das Gespräch mit Garmonin wieder aufnehmen wollen, schickt uns Manz vom Tisch weg. «Das ist mein Gast, nicht Ihrer! Wir sind zum Feiern da, nicht für Interviews!»

10. Freiheitskämpfer unter sich

«Ich glaube, dass Köppel ein genuin schweizerisches Putinverstehertum vertritt», sagt Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen. «Und das ist etwas ganz anderes als das linke und rechte deutsche Putinverstehertum.» Schmid hat das Buch «Technologien der Seelen» veröffentlicht, es handelt von der Herstellung der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur. Und er verfolgt genau, wie sich Köppel seine Wahrheiten zurechtlegt.

«Das linke Putinverstehertum, wie es etwa Sahra Wagenknecht und ihr Wahlbündnis vertreten, hat seinen Ursprung im Antiamerikanismus», sagt Schmid. Die USA sei der Feind, der Ausbeuter, der Hegemon. Putin, der sich nicht davon beeindrucken lasse, erscheine dagegen als Lichtgestalt. «Das rechtsnationale Lager, das sich neu in der AfD formiert hat, findet seinerseits, der Westen habe kulturell abgewirtschaftet.» Deshalb müsse man die nostalgisch verklärte deutsch-russisch-sowjetische Beziehung wiederbeleben. Putin sei für diese Leute ein Held, weil er einen nationalistischen Revisionismus bediene, sagt Schmid. Und Köppel? «Er deutet die Weltpolitik als Allegorie des Schweizer Freiheitskampfes.»

In seiner Twitter-Biografie beschreibe sich Köppel mit vier Begriffen: Freiheitskämpfer, Journalist, Vater von vier Kindern, Schweizer. «Einen Freiheitskämpfer sieht er auch in Putin, weil der sich unbedingt für die nationale Souveränität einsetzt», sagt Schmid. Deshalb sei die ganze «Weltwoche»-Publizistik darauf ausgerichtet, Putin zu entdämonisieren. «Köppel behauptet nicht nur, dass der Westen Russland zum Angriff gedrängt habe, sondern dass der Krieg auch ohne Putin befohlen worden wäre. Er macht alles, damit Putin bloss nicht als Aggressor erscheint.» Als Journalist bezahle Köppel dafür einen hohen Preis, sagt Schmid. «Er übersieht komplett, dass die russische Gesellschaft gelähmt ist. Dass es keine Politik mehr gibt und kein Mediensystem. Es gibt keine Meinungsbildung. Russland ist heute ein Polizeistaat.»

Noch etwas sei für Köppel handlungsleitend: dass er über die Projektion auf Russland nicht nur eine strikte Auslegung der Neutralität fordern, sondern auch die aus seiner Sicht kontraproduktive, sinnlose und schädliche EU-Sanktionspolitik kritisieren könne. «Der Hauptfeind für Köppel ist die EU, und der ist so stark, dass sogar Putin zum Freund wird.» Nach Jahren der Russlandbeschäftigung wurde Köppel kurz vor Weihnachten denn auch wieder einmal an einer Medienkonferenz in Bern gesichtet: als der Bundesrat die «Bilateralen III» mit der EU präsentierte.

11. Blochers Säuseln

Diesen Freitag soll Köppels Geraune vom «Kolonialvertrag» der Schweiz im Zürcher Albisgüetli zu hören sein, wenn sich dort über tausend SVPler:innen zu ihrer jährlichen Tagung treffen. Das hoffe er jedenfalls, sagt Christoph Blocher, der fast vierzig Jahre lang die Rede im Albisgüetli gehalten hat und jetzt altershalber von Köppel abgelöst wird. Allerdings hofft Blocher nur selten auf Dinge, seine Ansagen sind immer noch Aufträge an die Partei.

Blocher sagt am Telefon, er erwarte, dass es in Köppels Rede «nicht nur um Putin oder Orbán geht, die müssen im Hintergrund bleiben». Dafür dürfte die «Neutralitätsinitiative» Thema sein: ein Herzensprojekt Blochers. Die Initiative will Wirtschaftssanktionen, wie sie die Schweiz gegen Russland ergriffen hat, verbieten. Und so klingt Blocher immer mit, hallt Putin immer nach, wenn Köppel spricht.

Videostill: Roger Köppel im Interview mit Viktor Orbán
«Embedded» im Team Orbán: Köppel mit dem ungarischen Ministerpräsidenten nach einem Treffen bei Wladimir Putin. Still: «Die Weltwoche»

Wer sich mit Blocher über Köppel und dessen Publizistik unterhält, findet sich rasch in der spiegelverkehrten Welt wieder, die Sylvia Sasse beschrieben hat. In der jene zu Opfern umgedeutet werden, die Medien gängeln und den Rechtsstaat aushebeln, oder wie im Falle Putins Kriege anfangen. Blocher sagt: «Köppel muss sich um die Verachteten und Ausgestossenen der EU kümmern. Deshalb ist er bei Orbán und bei Vučić und bei Putin.» Es sei immer Köppels Anliegen gewesen, auch den Angegriffenen einen Verteidiger zu geben, säuselt er. Und meint damit nicht die Ukrainer:innen, die im Schlaf von russischen Raketen getötet werden.

Blocher erweist sich als aufmerksamer Konsument von Köppels medialer Massenproduktion. Dieser habe das Unrecht, das Russland erlitten habe, erkannt, «auch wenn der Krieg eine Schande ist». Die Ausflüge nach Moskau und Sotschi, der publizistische Anschluss an die russische Propaganda haben Köppel, das wird im Gespräch deutlich, nicht von der SVP und ihrem ewigen Vorsitzenden weggeführt. Ganz im Gegenteil. Blocher versichert: «Roger Köppel steht auf dem Boden der Partei.» Fragt sich nur, auf welchem Grund eine Partei mit einem solchen Festredner steht.

Mitarbeit: Aleksandr Leonidowitsch.

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen