Erwachet!: Die letzte Generation?

Nr. 18 –

Michelle Steinbeck hört von ungeahnten Begierden

«Vierzig Prozent der jungen Menschen wollen keine Kinder mehr kriegen», titelte vor einer Weile die «Zeit». Der Grund ist nachvollziehbar: Die Angst vor den Folgen des Klimawandels überwiegt selbst bei vielen, die sich früher eigentlich Kinder gewünscht hatten.

Aber was, wenn dein bisher vernünftiger Körper plötzlich ungeahnte, eigene Begierden entwickelt?

Die britische Autorin Sophie Mackintosh hat darüber einen Roman geschrieben. «Blue Ticket» spielt in einer dystopischen Gesellschaft, in der Mädchen beim Einsetzen ihrer Periode von einer Art Lotteriesystem in zwei Kategorien eingeteilt werden: solche, die Kinder kriegen, und solche, die sich amüsieren, sprich ausgehen und sich betrinken. Die Protagonistin hat ein blaues Ticket gezogen, sie ist also zweiter «Art» und geniesst den hedonistischen Lifestyle. Doch spürt sie nach einer Weile ein so heftiges Verlangen, ein Kind zu bekommen, dass sie dafür alles aufs Spiel setzt. «Ich hatte zwei Hirne in mir und zwei Herzen, und das Babyhirn und das Babyherz wollten mich übernehmen», heisst es im Roman.

Die Autorin erzählt in Interviews, dass sie immer überzeugt war, nie Mutter werden zu wollen. Bis sie sich mit Ende zwanzig plötzlich heftig ein Baby wünschte – und sich ärgerte, wie unkontrolliert sich das anfühlte und wie fremd ihr eigener Körper ihr erschien.

Ähnliches beschreibt die US-amerikanisch-britische Comedienne Micky Overman in ihrem neuen Programm: «Dein ganzes Leben lang ging es darum, nicht schwanger zu werden. Und plötzlich bist du dreissig, und alles sagt: Jetzt musst du!» Das Programm kreist um den sich wiederholenden Satz: «I want Baby.» Obwohl sie sich und dem Publikum versichert, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, ein Kind in diese Welt zu setzen, dass im Gegenteil überwältigend viel dagegenspricht, kommt sie doch immer wieder auf dieses Wollen zurück. Immerhin, so erzählt Overman, fürchte sie sich als Frau zumindest nicht vor dem drohenden Szenario einer Machtübernahme durch KI-gesteuerte Roboter. Sie meint: Diese Angst, in Zukunft von einer Übermacht unterdrückt zu werden, hätten eh nur weisse cis Heteromänner. Für alle anderen sei das schliesslich nichts Neues.

Es zeigt sich in einigen aktuellen feministischen Werken: Millennials stellen den (inneren) Konflikt um Mutterschaft gern mit dystopischen Horrorszenarien dar. In der britischen Horrorcomedyserie «The Baby» sucht sich etwa ein mörderischer Säugling gezielt Frauen aus, die keine Kinder wollen. Diese macht er wider Willen zu Müttern – und ihr vormals selbstbestimmtes Leben verwandelt sich in einen Albtraum.

Neu ist das alles nicht: Schon die Bibel verhandelt Kinderkriegen in apokalyptischen Zeiten – und rät im Übrigen davon ab. Ein entsprechendes antinatalistisches Gedankenexperiment wird derzeit am Theater Basel gezeigt. Dort hat der König die goldene Endzeit ausgerufen: Alle, die auf ihre Reproduktionsorgane und somit auf ein Fortbestehen der Menschheit verzichten, werden reich belohnt. Die letzte Generation soll noch einmal richtig auf den Putz hauen dürfen, ohne schlechtes Gewissen. Alles ist schön, bis die Tochter des Königs von einem seltsamen Körpergefühl überfallen und dem verbotensten aller Wünsche getrieben wird – und das Reich in einen hoffnungsvollen Abgrund stürzt.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Am Theater Basel läuft jetzt ihr Stück zum Thema: «Die beste aller Zeiten».