Film: Lasst die Alten sterben

Eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit, gekoppelt mit einer tiefen Geburtenrate: Das stellt Japan vor dramatische Probleme. Die Bevölkerung wird immer älter, die Sozialsysteme drohen zu kollabieren. Forscher:innen haben schon berechnet, wann der letzte Japaner, die letzte Japanerin geboren werden wird: im Jahr 4205. Was langfristig undramatisch wirkt, ist schon kurzfristig eine Katastrophe. 2016 ermordete ein 26-jähriger Mann neunzehn behinderte Menschen und verletzte viele weitere. Seine Tat verstand er als Akt der Euthanasie; als Dienst an der Gesellschaft, in der junge Leute scheinbar keine Perspektive mehr haben.
Eine ähnliche Gewaltszene steht auch am Anfang von «Plan 75», dann aber wechselt Regisseurin Chie Hayakawa das Register und imaginiert eine nicht allzu ferne Zukunft, in der man dem Problem auf sanftere und viel effizientere Art begegnet: mit einem staatlich geförderten, freiwilligen Euthanasieprogramm, das Bürger:innen ab 75 Jahren offensteht. Wenn der gesellschaftliche Druck zum Opfer für die Gemeinschaft nicht ausreicht, locken 100 000 Yen zur freien Verfügung – für ein letztes Spa-Wochenende, einen luxuriösen Restaurantbesuch. Und weil Japan nicht von ungefähr als effizienteste Dienstleistungsgesellschaft der Welt gilt, ist das ganze Prozedere so unbürokratisch und schmerzlos wie nur möglich.
«Plan 75» ist mehr soziale Spekulation als Science-Fiction: die Inszenierung sanft, die Oberflächen glatt, die Affekte gedämpft. Dass Drehbuch wie Inszenierung etwas gar monothematisch sind, wird wettgemacht durch die melancholischen Bilder von Hideho Urata und das leise, herzzerreissende Spiel von Chieko Baishō: Als gerade arbeitslos gewordene 78-jährige Michi wirkt sie gar nicht lebensmüde, aber durch das konstante Nudging (und fehlende Sozialhilfe) findet schliesslich auch sie ihren Weg zum Schalter mit dem freundlichen Personal. Zwar funktionieren nicht alle Figuren und Geschichten gleich gut, aber dass es Hayakawa gelingt, bei diesem Thema jeden Anschein von Zynismus zu vermeiden, ist doch einigermassen beeindruckend.