Leser:innenbriefe

Nr. 20 –

Umfassend und grossartig

«Antiimperialismus: Mit Hammer und Sichel in die Ukraine», WOZ Nr. 17/23

Für den umfassenden Bericht von Anna Jikhareva bedanke ich mich herzlich. Diese Darstellung des Hintergrunds des Kriegs gegen die Ukraine war längst fällig. Gut, dass auch die Kämpfe von Solidarność in Polen erwähnt worden sind. Ja, das Nichtwissenwollen vieler linker Menschen über die Unterdrückung von Demokratiebewegungen in den sogenannten Oststaaten ist immer noch verbreitet.

1980 hatte ich am Dreiländer-Ostermarsch teilgenommen. Ich war im Osteuropakomitee aktiv und wollte ein Flugblatt mit Informationen zu Solidarność verteilen. Ein Basler Grossrat der PdA versuchte, mich daran zu hindern. Als ich nicht sofort verschwand, bedrohte er mich mit Ohrfeigen. Diesen Vorfall habe ich bis heute nicht vergessen.

Regula Keller, per E-Mail

Die Redaktorin hat in ihrem Artikel auf grossartige Weise die Situation und das Dilemma gewisser Linken dargestellt. Man könnte solche Leute auch als «Steinzeitkommunist:innen» bezeichnen. Die UdSSR (und nun Russland) wie auch die Volksrepublik China haben auf schändliche Art und Weise die Werte einer linken Politik und auch Urgedanken des Sozialismus verraten. Unter dem Deckmantel des Kommunismus haben beide Staaten eine brutale Einparteiendiktatur errichtet (wobei Russland heute eher eine Einpersonendiktatur ist).

Viele Werte von uns Linken wurden und werden weiterhin mit Füssen getreten: Solidarität mit Minderheiten, mit den Schwachen und Ausgegrenzten, Solidarität aber auch mit unserer Umwelt (oder Mitwelt?). Auch im «antidot.inclu» wird auf die Probleme der Indigenen Russlands hingewiesen. Spätestens der Krieg gegen die Ukraine müsste doch alle geweckt haben; tut er aber leider nicht. Russland ist der älteste und mit Abstand grösste Kolonialstaat, der immer noch unvermindert besteht und sich sogar wieder vergrössern möchte. Das muss uns einfach allen mal klar werden.

Sie haben auf ganz viele Punkte der Unterdrückung in Russland hingewiesen. Ich habe noch selten (oder nie) in dieser Vollständigkeit alle diese Aspekte zusammengetragen gelesen.

Flavio Rohner, Zürich

Klassenkampf von oben

«Repression am 1. Mai: Polizeiliche Absurditäten», WOZ Nr. 18/23

An der Berichterstattung über die Ereignisse des 1. Mai in Basel kann man leicht die Funktion der bürgerlichen Massenmedien entlarven. Die Masche ist, Wesentliches zu unterschlagen und Unwesentliches aufzubauschen. So wird ein furchterregendes Bild eines imaginären, schon fast terroristischen «Schwarzen Blocks» gezeichnet, ohne den Widerspruch zu erwähnen, dass von den 317 einer Personenkontrolle und teils Leibesvisitation Unterzogenen an der Kundgebung nur ein Bruchteil Coronamasken trugen. Von Werkzeugen, mit denen man die, Zitat, «Stadt in Schutt und Asche» hätte legen können, keine Spur. Kaum ein Wort darüber, dass unter den Eingekesselten die weit überwiegende Mehrheit friedfertige Kundgebungsteilnehmer:innen waren.

Gezielt wird auch marginalisiert, dass es eben nicht eine entfesselte Meute gewesen ist, die entschieden hat, sich der von der Polizeivorsteherin beabsichtigten Entsolidarisierung von den Eingeschlossenen zu widersetzen, sondern einhellig das gesamte 1.-Mai-Komitee, das letztlich von den grossen Gewerkschaften bestimmt wird. Dass auch Nationalrät:innen, Leitungsmitglieder der wichtigsten Gewerkschaften und zahlreiche Träger:innen der lokalen Zivilgesellschaft in der blockierten Kundgebung verharrt haben, blieb eine Randnotiz.

Auf diese Weise wird der Öffentlichkeit ein Bild gezeichnet, das dazu geeignet ist, den Spaltpilz in die Bewegung der Arbeiter:innen zu tragen und ihr eine falsch informierte Öffentlichkeit abspenstig zu machen. Teile und herrsche. Das ist mit etwas politischer Erfahrung unschwer als Teil eines strategischen Klassenkampfes von oben zu verstehen. Man beachte die Kausalitäten: Bankenkrisen, Preiserhöhungen, Lohn- und Rentenkürzungen, Steuergeschenke an die Reichen und Mehrwertsteuererhöhung für die Ärmeren, Aufrüstung der Repressionskräfte. Etwas, was in linken Kreisen heute leider nur noch selten Teil der Analyse ist.

Hanspeter Gysin, Basel

Wetten: Ohne den Schwarzen Block hätte es in Basel ein friedlicher 1. Mai werden können. Es hätten dem «Tag der Arbeit» entsprechend Themen in den Medien Platz gehabt wie zum Beispiel der Arbeitskampf bei Toblerone (WOZ Nr. 17/23) oder die Gleichstellungsproblematik. Stattdessen steht der massive Polizeieinsatz im Fokus der Medien, auch der WOZ.

Wenn mit der Intervention der Polizei in Basel das Verhindern von Sachbeschädigungen das Ziel war, war der Einsatz zu hundert Prozent erfolgreich. Ob er denn verhältnismässig war, darüber müssten die Gerichte entscheiden, wenn denn der Tatbestand der Unverhältnismässigkeit angezeigt würde.

Tatsache ist, dass der Polizeieinsatz durch das Nichteinhalten des Vermummungsverbots von einzelnen Demonstrationsteilnehmern provoziert wurde. Vermummung bedeutet Anonymität, um sich bei Straftaten einer Strafverfolgung entziehen zu können. Im Gegensatz dazu stehen die radikalen Klimaaktivisten, die persönlich für ihren Protest Verantwortung übernehmen und bewusst die Abführung durch die Polizei in Kauf nehmen. Schliesslich ist es ja nicht ihr Ziel, am Boden festgeklebt zu bleiben, bis ihre Klimaschutzforderungen umgesetzt sind.

Mit der unkritischen Distanz gegenüber den vermummten Demonstranten – die laut bürgerlicher Wahrnehmung die Stadt zuweilen in Schutt und Asche legen –, sind die Linke (WOZ) und die Gewerkschaften nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems eines nicht gewaltfreien 1. Mai.

Urs Zeder, Basel