Wichtig zu wissen: Über das Homedrohing
Ruedi Widmer zur Osterweiterung des Gendertages
So wie der Beitritt Finnlands zur Nato eine für den Aggressor ungewollte, aber logische Antwort auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, ist die logische Antwort auf den Angriff der Köppel-Söldner von Andreas «Lieli» Glarner auf die Schule Stäfa nicht etwa die ängstliche Umbenennung des Gendertages, sondern die Einführung eines Nationalen Schweizer Gendertages (NSG). Grenzen setzen, das ist das, was diese Leute verstehen.
Am NSG sollen in allen Schulhäusern die Jugendlichen über Geschlechterrollen, Liebe, Sex und Fortpflanzung unterrichtet werden, damit die SVP Oberwil-Lieli nicht mehr in Stäfa intervenieren muss, sondern gleich die Lehrpersonen ihrer eigenen Kinder im örtlichen Schulhaus bedrohen kann («Wir drohen noch in unserem eigenen schönen Dorf!»).
So was nämlich bräuchte Mut, weil es sich schnell herumspräche, welche Eltern welcher Kinder auf dem Pausenplatz gezetert und Mordio gerufen haben oder an die SVP-Fantasien glauben, an Gendertagen fänden Sexorgien im Singsaal statt oder Geschlechtsoperationen im Biologiezimmer (Mann, solche Eltern sind so peinlich, Alter!). Die meisten würden es dann wohl lassen. So könnten die Schulen wieder normal arbeiten.
Oder es wird doch ein Nullsummenspiel. In der Droherszene könnte es Abkommen geben: Die SVP Trötzlikon droht in Schimpfenbach, die SVP Schimpfenbach droht in Trötzlikon. Natürlich online und anonym. Deshalb ist Homedrohing schon so lange etabliert. Viele süddeutsche und sächsische Drohfachleute drohen bekanntlich in der Schweiz (weil wir Fachkräftemangel auch in diesem Bereich haben), vorzugsweise zu den Themen Abendland, Werte, Gender, Corona und Zuwanderung; und damit sie nicht täglich zu uns fahren müssen, erledigen sie ihre Stänkerarbeit online – einfach und bequem von zu Hause aus. Schätzungsweise fallen jedes Jahr allein in der Schweiz 200 000 Autofahrten weg, weil die Drohenden das Internet benutzen.
Auch Schweizer:innen können dank des Internets ins Ausland hinausdrohen, zu den Themen Windräder, Atomausstieg, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Wolodimir Selenski und Flüchtlinge. Der durchschnittliche «Bürger in Wut» (wie eine neue Partei in Bremen heisst) weiss: Von je weiter weg gedroht und beleidigt wird, desto weniger juristische Konsequenzen hat es. Sage ich, Joe Biden werde höchstens noch der Pepsodent der Vereinigten Staaten, dann habe ich kaum etwas zu befürchten. Sagt das aber jemand aus seiner Partei, dann muss er oder sie sich zur Strafe selbst für das Amt aufstellen lassen. Nichts fürchtet jede:r US-Demokrat:in mehr als das.
Ideale Beleidigungs- und Drohdistanzen sind neben Winterthur–Washington also Dresden–Stäfa, Oberwil-Lieli–Kiew und Oberwil-Lieli–Berlin.
Doch die Droherszene geht auch an die Öffentlichkeit. Sie verlangt auf gesetzlicher Ebene bei umstrittenen Veranstaltungen (Woke, Gender, 1. Mai, Windräder) die Einrichtung von Drohhotlines auf Kosten des Veranstalters («Wollen Sie auf Deutsch drohen, drücken Sie Taste 1»). Für viele Droher:innen ist das Homedrohing auch einfach nur die erste Stufe, und sie wünschen sich mehr Begegnungen mit Gleichgesinnten, um nicht zu vereinsamen. Das sind jene Leute, die eine stundenlange Anreise zu Schulhäusern mit einer Woke-Veranstaltung oder Maskenpflicht unternehmen. Sie verlangen die Bereitstellung von Wutzügen durch die SBB, die sie zu den wichtigsten Woke- und Gender-Events bringen, plus die Bereitstellung einer Trychlergruppe auf Kosten der jeweiligen Schulgemeinde.
Auch Drohnen zu Drohzwecken sollen in Zukunft auf Staatskosten bezogen werden können. Eine Drohne mit Kamera und eventueller Schiessmöglichkeit gehöre zum demokratischen Grundvokabular, sagt Hansjüse Pfatt von der Vereinigung Drohen im Alter.
Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur und hat einen Abendlandwert von 533 Milligramm pro Kilometer.