Wichtig zu wissen: Das gekippte «N»

Nr. 14 –

Ruedi Widmer über luftpolizeiliche Aufgaben und Behauptereien

SVP-Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) hat stets eine Herde von selbstgezüchteten Problemen um sich. Einerseits hat er seine Kollegin Simonetta Sommaruga umgangen und hintenrum mit Kanada telefoniert, um ein Nato-Militärtransportflugzeug, dem das Bazl das Überfliegen der Schweiz auf dem Weg von England nach Italien bereits gestattet hatte, doch noch zu stoppen, weil Kriegsmaterial darin war, was Putin verärgern könnte. Das ist für die SVP-Neutralität vorbildlich, aber Cassis hätte schon genug Gelegenheit gehabt, Kriegsmateriallieferungen an Kriegsländer zu stoppen. Immerhin hat er sich bei Viola Amherd als ideale Luftpolizei empfohlen. Fünf eifrige Ignazios würden zur Sicherung des Schweizer Luftraums vollends reichen, da braucht es keine sechsunddreissig F-35.

Andererseits spricht unser Tessiner Luftpolizist in seinem Nebenjob als Aussenminister von «Geschehnissen» und nicht von «Kriegsverbrechen» in Bezug auf Butscha. Ein «Geschehnis» passt besser zur militärischen Sonderoperation, ist unblutig und clean. Cassis wird als Arzt schon selber wissen, wann etwas wirklich blutig ist. Trotzdem möchte ich persönlich nicht unbedingt von ihm sonderoperiert werden, wahrscheinlich wäre er von den Geschehnissen auf dem OP-Tisch schnell mal überfordert und würde hintenrum mit der SVP telefonieren, um Rat zu holen, ob ich neutralitätspolitisch überhaupt operiert werden dürfe.

Moskau behauptet, die Bilder aus Butscha seien von den Amerikanern gestellt worden. Moskau ist ja die Behauptstadt der Welt. Dort stösst man auch auf die Behauptung, Putin selber sei nur eine Erfindung der Nato, um den westlichen Vernichtungskrieg gegen Russland zu rechtfertigen. Putin ist sich allerdings selbst gewohnt, nur eine Behauptung zu sein. Er besteht aus Sicherheitsgründen aus mindestens sechs verschiedenen Personen, dem Politiker, dem Judoprofi, dem Oben-ohne-Modell, dem Eishockeyspieler, dem Fischer und dem Reiter. Putin ist so eine Art faschistische Village People.

Als Doppelgänger von Putin hätte man jetzt den bestbezahlten Job. Tatsächlich war dieses Thema dem kremltreuen Onlinemedium «Russia beyond» noch 2019 einen harmlos-ironischen Bericht in der «Lifestyle»-Rubrik wert. Dort wird unter anderen auch Daniel Craig als putinähnlich aufgeführt. Vielleicht kann er im nächsten «Bond» den Bösewicht spielen oder mithelfen, dass «Putin sein Gesicht wahren kann», wie von NZZ bis «Tages-Anzeiger» gefordert wird.

Hierzulande fühlen sich die SVP-Putin-Versteher Grüter oder Glarner standesgemäss «falsch» verstanden. Das ist nicht erstaunlich. «Putin-Versteher» heisst, dass man umgekehrt auch von Putin höchstpersönlich verstanden wird. So verstünde Putin ohne Weiteres Glarners willkürliches Gebaren in Oberwil-Lieli und Grüters schiefe Politik in Bern, was uns Normalos ja nicht möglich ist.

Wie Winterthur schon für Stadtzürcher:innen gefühlsmässig in Siebenbürgen und Rorschach am Schwarzen Meer liegt, so vermutet der gemeine Putin-Versteher die Ukraine hinter dem Ural, und da ist Putins Garten. Die Ukraine – ein Kanton Russlands. Klar schimpft man mal über die «z’Moskau obe», aber dann ist wieder gut. Die sollen endlich ihren Kantönligeist Selenski an die Kandare nehmen. Der ist sicher Nettobezüger.

Opportunist Gérard Depardieu hat im allerletzten Moment seine Freundschaft zu Wladimir gekündigt. Vielleicht wurde dem Oblixendarsteller Russland doch langsam zu römisch. Lenin, Stalin, Jelzin, Putin – aber warum nur Gorbi und nicht Gorbin? Es ist das «N», stupid! Egal ob nach links oder rechts gekippt, wird es zum «Z». Dieses Z, das die Russen nun hypnotisiert, imitiert die Bewegung, mit der man etwas auf einer Wandtafel durchstreicht oder wegwischt; es ist eine Bewegung des Eliminierens. Eine destruktive Geste.

Ruedi Widmer (Winterthur) heisst zum Glück nicht Ruedin.