Auf allen Kanälen: Neues altes Kampfblatt

Nr. 22 –

Ein Titel mit reicher Tradition in Italien: Die einstige kommunistische Zeitung «l’Unità» ist wieder da. Doch linke Kritiker:innen warnen vor Etikettenschwindel.

stilisierter Ausschnitt aus dem Logo der Zeitung «l’Unità»

Seit Mitte Mai haben Italiens Kioske eine neue Tageszeitung im Angebot. Neu ist zumindest die Aufmachung, vertraut dagegen der Name: «l’Unità» (die Einheit), so hiess das Zentralorgan des Partito Comunista Italiano (PCI), der in den 1970er Jahren zur stärksten kommunistischen Partei Westeuropas wurde. Auch nach deren Auflösung 1991 blieb die Zeitung erhalten, mehr oder weniger eng verbunden mit den sozialdemokratischen Nachfolgeparteien des PCI. Aber die Auflage sank kontinuierlich, die Schulden wuchsen – und 2017, nach mehreren Krisen und Neuanfängen, war Schluss. Endgültig, so schien es.

Nun also der Neuanfang. Die Macher:innen, allen voran der 72-jährige Chefredaktor Piero Sansonetti, geben sich betont traditionsbewusst. Unter den Zeitungskopf setzten sie die Zeile «Gegründet von Antonio Gramsci». Das war im Februar 1924, als Benito Mussolini bereits mehr als ein Jahr an der Macht war. Wenig später, als das faschistische Regime vorübergehend wankte, spielte «l’Unità» eine wichtige Rolle im antifaschistischen Widerstand. Nach 1945 war das Zentralorgan dann Pflichtlektüre für Millionen von Kommunist:innen. Kurz vor dem Hundert-Jahr-Jubiläum wird nun die ruhmreiche Vergangenheit beschworen. Das mag kluges Marketing sein, aber politisch ist diese Strategie zumindest zweifelhaft. Kritik kommt von den Redaktor:innen, die 2017 entlassen wurden und nun, ebenso wie das frühere technische Personal, aussen vor bleiben.

Ein Problem für Meloni?

Entschieden hat das Sansonetti, bislang Chef der Tageszeitung «il Riformista», die eher an der «neuen Mitte» des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi orientiert ist. Aus deren Redaktion kommen auch die sechs Redaktor:innen, die nun «l’Unità» machen und für einen radikal linken Kurs stehen sollen. Das zumindest versprach Sansonetti in einer Grundsatzerklärung vom 9. Mai unter dem Titel «‹l’Unità› wird für Giorgia Meloni ein Problem sein».

Der Text ist eine Sammlung starker Worte. Mit der Zeitung solle eine «neue, freie und moderne Ideologie» verbreitet werden, ausgehend von fünf zentralen Werten: Gleichheit, Demokratie, Gewaltlosigkeit, Freiheit und «garantismo», was sich am ehesten mit Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien übersetzen lässt. Denn zu den «grossen Mächten», denen er sich entgegenstellen will, zählt Sansonetti an erster Stelle die Justiz, noch vor der Wirtschaft und der Politik. Es sei eine «Pyramide der Macht» entstanden, an deren unterem Ende sich die «wahre, schwache, schweigende, leidende» Gesellschaft befinde. Als Beispiele nennt er «Migranten, Gefangene, Arbeiter, Minderheiten, Frauen». An deren Seite stehe die neue «Unità», ausgehend vom «Meister der Meister»: Antonio Gramsci.

Franziskus und Elly Schlein

Für die fünfzehn Mitglieder der 2017 abgewickelten Redaktion ist die Berufung auf Gramsci reiner Etikettenschwindel, wie sie in einer Erklärung im Konkurrenzblatt «il manifesto» kundtaten. Kritik übt auch «il manifesto» selber: Die genossenschaftlich organisierte kommunistische Tageszeitung verweist auf die dominante Rolle des Immobilienhändlers Alfredo Romeo, der «l’Unità» für gut 900 000 Euro ersteigert hat. Er ist schon Herausgeber von «il Riformista» und verfügt nunmehr über zwei Zeitungen mit linkem Anspruch.

Diesen einzulösen, dürfte nicht einfach werden. Am Tag vor der ersten Ausgabe nannte Sansonetti weitere politische Bezugspunkte, darunter die Gedanken von Papst Franziskus. Zwar sei die Zeitung unabhängig, zugleich aber nah am Partito Democratico (PD), «der wichtigsten politischen Kraft der Linken», erklärte er. Die ersten Ausgaben deuten darauf hin, dass die Redaktion einige Hoffnungen auf die neue PD-Generalsekretärin Elly Schlein setzt.

Das gilt auch für viele links vom PD, und davon könnte die neue «Unità» profitieren. Täglich zwölf Seiten für 1,50 Euro sind zudem ein Angebot, mit dem auch junge Leser:innen angesprochen werden sollen. Eher an Ältere gerichtet ist das Versprechen, in jeder Ausgabe eine Seite mit einem Text aus dem schier unerschöpflichen Archiv der alten «Unità» zu füllen. Zu deren Gastautor:innen gehörten einst Edelfedern wie Pier Paolo Pasolini, Italo Calvino oder Natalia Ginzburg. Leider können sie nicht mehr befragt werden, was sie von der Neugründung halten.