Aviatik: Wie abgehoben kann man sein?

Nr. 22 –

Kaum etwas trägt so effektiv zur Klimakatastrophe bei wie Privatflüge – und das Geschäft boomt wie nie zuvor. An einer der weltweit grössten Privatjetmessen hat die Branche in Genf ihre Entrücktheit zelebriert.

Besucher:innen an der Ausstellung von Privatjets, Luftfahrt-Messe EBACE 2023
Der Erfolg ist immer in Reichweite: Verkauft wird das Lebensgefühl der wohlverdienten Gediegenheit. Foto: Laurent Gillieron, Keystone

Die Frau hinter dem Empfangspult streckt ihr Handy entgegen: Man solle ihr die Fragen doch per E-Mail schicken. «Scannen Sie einfach den Strichcode, dann werden Sie alle meine Kontaktdaten finden», erklärt sie. Die Frau arbeitet für die Marketingabteilung von AV Fuel, einem der zahlreichen Treibstofflieferanten, die in den Palexpo-Hallen am Genfer Flughafen präsent sind – und mit «grünem» Treibstoff für sich Werbung machen, dem «Sustainable Aviation Fuel». Wie gross denn der Anteil dieses neuen Treibstoffs in der Branche sei, hätte man wissen wollen (kleiner Hinweis: Beim gesamten Flugverkehr sind es derzeit 0,1 Prozent). Nein, auf die Schnelle könne sie das wirklich nicht beantworten, sagt die Frau. Dann entgleisen ihr kurz die Gesichtszüge. Sie habe andere «wichtige Tasks», entfährt es ihr auf die Frage, ob sie nicht direkt eine E-Mail mit der Antwort schreiben könne, weil die Frage schliesslich schon gestellt sei und ja auch nicht so kompliziert.

Unangenehmer als offene Ablehnung ist nur eines: wenn einem die eigene Unwichtigkeit durch Überfreundlichkeit signalisiert wird. Durch herablassend nonchalantes Abwimmeln. An der Privatjetmesse «European Business Aviation Convention & Exhibition», kurz Ebace, erfährt man diese Behandlung insbesondere dann, wenn man als Besucher:in hier eigentlich gar nicht vorgesehen ist. Die Messe, die letzte Woche am Genfer Flughafen stattfand, ist ein Zusammentreffen der Superreichen und ihrer Hofierer:innen. Oder wie es die Veranstalter formulieren: «Ein führender Anlass und der jährliche Begegnungsort für die europäische Business-Aviation-Community».

So reizlos, so schäbig

Die Besucher:innen der Ebace werden in gläsernen Shuttlebussen zum Ausstellungsgelände gefahren. Junge Männer in Massanzügen werden vor den Hallen ausgespuckt. Wer dort Einlass zur grössten Branchenmesse Europas bekommt, wird von den Messeveranstalterinnen EBAA und NBAA – europäischen und amerikanischen Privatjetinteressengruppen – genau orchestriert. Online registrieren konnte sich nur, wer Mitglied einer der beiden Organisationen ist oder zumindest privat oder beruflich mit Privatjets zu tun hat. Von der Presse sind jene Vertreter:innen willkommen, die vorzugsweise für Aviatikbranchenmagazine Passagen schreiben wie die folgende, zu finden im deutschen «Fliegermagazin»: «Die Business Aviation legt, was den aktiven Klimaschutz angeht, unglaublich gut vor. Stichworte: Sustainable Aviation Fuel, Winglets, Folienbespannung der Aussenhaut, neueste Flügel-Aerodynamik. Bei so viel Klimaschutz werden Neuerungen der Kabinen-Ausstattung dieser Tage in Genf schon fast zur Nebensache.»

Der WOZ teilten die Veranstalterinnen schriftlich mit: Die Kriterien für die Presseakkreditierung würden leider nicht erfüllt. Doch dann, nach längerem Stehengelassenwerden beim Presseeinlass, taucht Michael auf, «Senior Vice President und Partner» einer amerikanischen PR-Agentur. Der Mann überbringt einen Badge und eine Visitenkarte, auf der steht: «The Power of True». «Melden Sie sich, wann immer Sie Fragen haben», sagt Michael.

Und dann also ist man drin. Auf dem Treppenaufgang zum Privatjettyp «Gulfstream G650» posiert ein junger Typ. In den Händen eine stillose Luxusaktentasche, auf der Nase eine golden glänzende Sonnenbrille, die zur Uhr am Handgelenk passt. Der Mann geht mit dem Rücken zum Flugzeug die Treppen hoch und runter, lässt den Blick in die Ferne schweifen, dann tauschen Fotograf und Model die Rollen. Der vom Charterunternehmen Qatar Executive präsentierte Flieger ist der einzige, der an diesem frühen Donnerstagnachmittag für den Durchschnittsmessebesucher geöffnet ist. Im Innern des mit flauschigem Teppichboden und glänzenden Marmorabdeckungen ausgestatteten Jets haben sich drei Frauen in die hellen Ledersitze gefläzt. Sie streichen ehrfürchtig über die Armlehnen. «Wir fertigen die Jets sonst immer nur ab», sagt eine von ihnen zur anwesenden Flugbegleiterin, «jetzt sehen wir endlich auch einmal einen von innen.» Erster Gedanke: So ist man bei den Reichen auch ohne Geld willkommen. Zweiter Gedanke: Sind die Verheerungen des Kapitalismus nicht auf traurige Weise noch sinnloser und tragischer, wenn die Welt der Superreichen so reizlos ist, so schäbig?

Denn eines steigt beim Betreten der Messe sofort in die Nase: der masslose Gestank von viel zu viel Parfüm, das sich in die abgestandene Luft mischt. Dazu all die Hässlichkeiten, die Luxus ausstrahlen sollen: golden eingepackte Stehtische, Lounges mit Leuchtelementen, Riesenvasen mit Kunstblumen.

Die Schweiz zuvorderst mit dabei

Es ist wohl weniger die Angst vor einer kritischen Berichterstattung, die Journalist:innen hier mit kritischen Fragen auflaufen lässt, als vielmehr die Berufsauffassung der Presseverantwortlichen. Diese lautet offensichtlich: Jede atmosphärische Störung für die reiche Kundschaft gehört vermieden. Denn während im Globalen Süden Inseln untergehen, verkauft die Ebace ihren Kund:innen ein Lebensgefühl: jenes der wohlverdienten Gediegenheit. Der Exklusivität. Des ewigen Fortschritts. «Wir haben die Lücke zwischen Ihnen und den besten Orten auf der Welt geschlossen», bewirbt die Leuchtreklame eines Privatjetcharterservice dessen Dienste. Weitere Leuchtslogans: «Menschliche Leistung erhöhen, betriebliche Exzellenz voranbringen.» Oder: «Erfolg ist immer in Ihrer Reichweite.»

Draussen auf dem Rollfeld, wo etwa fünfzig Flieger von Herstellern wie Boeing, Dassault oder Pilatus gezeigt werden, sind rote Teppiche ausgebreitet, die meisten Treppen zu den Fliegern mit einer Kordel abgesperrt. Sorry, es sei gerade eine private Führung im Gang, teilen freundliche Mitarbeiter:innen mit. «Nur auf Einladung» steht auf den Schildern der grössten Luxusflieger. «Haben Sie einen Pressetermin?» Andernfalls könne man leider nicht helfen. «Fragen Sie bei den Messeständen nach Adam, er wird Ihnen weiterhelfen.»

Die Zahl der Flüge mit Privatjets hat laut einer aktuellen Studie von Greenpeace im vergangenen Jahr drastisch zugenommen. Mit fatalen Folgen fürs Klima: Ein Jet stösst in der ersten Flugstunde nach dem Abheben rund drei Tonnen CO₂ aus. Wobei Wissenschaftler:innen davon ausgehen, dass der tatsächliche Klimaeffekt sogar rund dreimal stärker ist. Ein durchschnittlicher Jet stösst in einer einzigen Stunde also neun Tonnen CO₂-Äquivalente aus – während durchschnittliche Europäer:innen etwa elf Tonnen Treibhausgase pro Jahr verursachen (oder ein wenig mehr, wenn man auch hier das Fliegen dreifach zählt).

Wie die Greenpeace-Studie zeigt, gab es in Europa im Jahr 2022 volle 64 Prozent mehr Starts von Privatjets als im Vorjahr. Mit einem Plus von fast 63 Prozent bildet die Schweiz diese Entwicklung sehr gut ab. Der Studie zufolge hat sich die weltweite Privatjetflotte in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt, seit der Pandemie hat sich das Wachstum der Branche noch beschleunigt. Und die Schweiz ist ganz zuvorderst dabei: 35 000-mal hoben privat oder geschäftlich genutzte Privatflugzeuge mit Düsenantrieb im letzten Jahr hierzulande ab. Klammert man die kleine Insel Malta aus, wird damit pro Kopf nirgendwo sonst in Europa so viel privat geflogen wie im Land der Gigi Oeris und Nick Hayeks – mit Genf als einer der Hauptdrehscheiben.

Dass sich am ersten Tag der Ausstellung einige Hundert Klimaaktivist:innen Zugang zur Messe verschafft und Flugzeuge blockiert haben, ist auf der Ebace nur eine Randnotiz. Die hätten ihren Punkt gemacht, sagt die freundliche Pressefrau von Opus Aero – einem Unternehmen, das Flieger an reiche Kunden vermittelt und eines der grössten Flugzeuge der Show ausstellt. «Alles, was ich dazu sagen kann, ist: Die Branche existiert, und sie wird nie verschwinden.»

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Kommentare

Kommentar von kusto

Mi., 31.05.2023 - 21:38

Echt abstossend diese Top shots!
Leider ist diese Arroganz der Superreichen nur die Spitze des Eisbergs am Genfer Flughafen. Das setzt sich fort bei den Yachten, den Villen und natürlich bei den Privatbanken.