Erwachet!: I’m a Fan

Nr. 24 –

Michelle Steinbeck schreibt zur Abwechslung eine Rezension

An einem Buch kommt im UK zurzeit niemand vorbei: 2022 erschienen im (noch) kleinen Verlag Rough Trade, eher bekannt als vielleicht einflussreichstes Indie-Musiklabel, wird «I’m a Fan» seither wie wild gekauft, hoch gelobt und mit Preisen beklebt. Nun erscheint der Erstling von Sheena Patel in deutscher Übersetzung bei Hanser.

«Ich stalke eine Frau im Internet, die mit demselben Mann schläft wie ich.» So beginnt die Geschichte, die viel mehr ist als das: eine obsessive Dreiecksbeziehung, die grösstenteils über Instagram stattfindet. Die Autorin selbst beschreibt das Buch in einem Interview mit dem Londoner «Worms Magazine» als eine Art «Langgedicht», in dem jedes einzelne Wort auf die Goldwaage gelegt worden sei. So versammelt es kurze, dichte Texte, die neben und anhand der unglücklichen Lovestory auf brillante Weise Themen wie Race, Klasse, (Internet-)Kapitalismus, Kolonialismus und kulturelle Aneignung verhandeln und auf wenigen Zeilen messerscharfe Gesellschaftsanalysen liefern.

Das funktioniert viel über Gegensätze. Sowohl «die Frau, von der ich besessen bin», als auch «der Mann, mit dem ich sein will», repräsentieren Welten, die der Erzählerin als Tochter indischer Eingewanderter ohne Kapital verwehrt bleiben. Weiss und (einfluss-)reich, verkehren sie in elitären Kreisen, in die die Erzählerin höchstens als exotisierter Token Eingang findet. Dieses Problem sieht sie auch im Kulturbetrieb, zu dem die zweite Generation Migrant:innen zwar Zugang habe; erfolgreich sei aber nur, wer «aus der Opferposition» spreche, seine eigene Verwundbarkeit darstelle, «um der Gesellschaft zu zeigen: Ich bin ein Mensch und ich fühle Schmerz wie du.» Nahtlos fügen sich essayistische Plädoyers wie dieses in die Geschichte ein: «Vergrössern wir nicht den Schaden, indem wir unsere Andersheit performen, uns selber ver-andern für Likes und Re-Shares?»

Die Frau, von der die Erzählerin besessen ist, verdient ihre Likes auf andere Weise: «Sie kauft sich selbst einen Ring für 500 $ in einer Zeit, in der der Rest der Welt finanzielle Probleme hat, und gibt damit auf einem Selfie an.» In ihrem Onlineshop bietet sie für Nichtreiche unerschwingliche Gegenstände an, etwa «handgewobene Körbe, wie sie sie mal auf einem Markt in Oaxaca gesehen hat, diese jedoch gemacht von weissen Frauen (750 £)».

Während die Influencerin auf Biomärkten auserlesenes Gemüse drapiert und fotografiert, den Unterschied von «bio und bio» und ein luxuriöses Weniger-ist-mehr propagiert, beschreibt die Erzählerin ihre eigene Abhängigkeit von der industriellen Nahrungsmittelproduktion. «Sie kauft Wagyu Beef und zeigt, wie sie es in ein Küchentuch einwickelt, mariniert mit Salz, Rotwein und Kräutern. […] Die Kommentare unter dem Bild äussern alle dringend alarmierte Bedenken für das geopferte Handtuch, und ich denke, Weisse sind verrückt, wie sie echte Empathie für jedes Ding empfinden können, nur nicht für stark pigmentierte Menschen.»

Das Buch ist eine Anklage, deren Wut sich auf die Leserin überträgt – auch weil sie sich selbst erkennt. Patel sagt: «Ich wollte, dass den Lesenden schlecht wird», und ihnen «Angst machen». Gleichzeitig ist es gespickt mit feinem Humor, etwa wenn ihre Eltern mit einer Gruppe weisser Brit:innen eine Pauschalreise nach Indien machen. «Sehnsüchtig sagen sie, das war der beste Urlaub, den sie je hatten.»

Michelle Steinbeck ist Autorin. Die zitierten Passagen stammen aus dem englischen Original. Das Buch «I’m a Fan» ist auf Deutsch im Hanser-Verlag erschienen, übersetzt von Anabelle Assaf.