Silvio Berlusconi (1936–2023): Der diabolische Schönwetter­populist

Nr. 24 –

Als Anführer der ersten rechten Regierung Italiens lieferte der Medienunternehmer die Blaupause für den Rechtspopulismus in Europa und in den USA.

Silvio Berlusconi hätten sie wohl sehr gefallen, all die Nachrufe, Würdigungen und Beileidsbekundungen politischer Freund:innen ebenso wie seiner Gegner:innen. Als «Ausnahmeerscheinung» wurde er da gefeiert, als Genie, als Kämpfer auch – als der Mann, der Italien wie kein anderer in den vergangenen Jahrzehnten zu prägen wusste.

Ein Wort jedoch war, wenigstens in Italien, mit ganz wenigen Ausnahmen nicht zu vernehmen. Das Wort vom grossen Populisten. Dabei lieferte Berlusconi die Blaupause für populistische Politik nicht nur in Europa, als er 1994 in die Politik einstieg und in den Wahlen jenes Jahres sogleich die Regierungsmacht eroberte. Schon in der auf allen italienischen TV-Kanälen ausgestrahlten Videobotschaft, in der er die Gründung seiner Partei Forza Italia bekannt gab, redete der Medienunternehmer Klartext. Gegen die «Politikaster», die in seinen Augen verlogenen Vertreter:innen der anderen Parteien, gehe er «aufs Feld», dafür sei er «dem Schützengraben der Arbeit» entstiegen. Es war der Sound, der die folgenden Jahrzehnte prägen sollte. Auf der einen Seite er, der Selfmademan, der mit harter Arbeit Grosses aufgebaut haben wollte und sich trotz seines Milliardenvermögens als Vertreter des einfachen, hart arbeitenden Volks inszenierte – und auf der anderen Seite die Vertreter:innen der verachtungswürdigen politischen Elite, «die in ihrem Leben noch nie gearbeitet haben».

Die Justiz als grösster Feind

Ganz gewiss nicht zu dieser Elite gehörten in Berlusconis Augen jene zwei Parteien, die er sofort als Bündnispartner gewann: die stramm nationalistische und damals gerade erst postfaschistisch gewendete Alleanza Nazionale sowie die mit aggressivem Populismus gegen das «diebische Rom» und den «parasitären Süden» aufgestiegene Lega Nord. Sie sollten 1994 zusammen mit seiner Forza Italia die erste rechte und offen populistische Regierung Italiens bilden. Vorneweg lebte der Populismus Berlusconis und seiner Partner von der scharfen Polarisierung gegen «die Roten», die Italien angeblich «ein Schicksal der Unfreiheit» bescheren wollten. Unfreiheit jedoch befürchtete der neue Star der italienischen Rechten in Wirklichkeit aus einer ganz anderen Ecke: von Staatsanwält:innen, die gegen ihn ermittelten, wegen Bestechung, Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung.

Ihnen gegenüber verteidigte sich Berlusconi, indem er – auch hier ganz Populist und heute von Donald Trump oder auch Benjamin Netanjahu kopiert – auf den Angriff als die beste Verteidigung setzte und sich als Opfer «roter Roben», «kommunistischer Richter» inszenierte, die ihn «politisch verfolgten». Das ging schon 1994 los: Im Mai hatte er die Regierung übernommen, im November stellte ihm die Staatsanwaltschaft Mailand einen Ermittlungsbescheid zu, im Dezember trat Berlusconi wegen eines Krachs mit der Lega Nord zurück – und schob diesen Rücktritt auf den «Justizputsch der Mailänder Staatsanwaltschaft».

Die Justiz delegitimieren, sich nicht in den Prozessen, sondern (auch mit zahlreichen Gesetzesänderungen zu seinen eigenen Gunsten) gegen die Prozesse verteidigen: Dies sollte bis zuletzt Berlusconis Umgang mit den Verfahren gegen ihn prägen, in denen er sich selbst nur als «Märtyrer» sehen mochte. Als er 2013 wegen Steuerbetrugs erstmals in letzter Instanz verurteilt wird und daraufhin sein Senatsmandat verliert, stellt er sich vor einige Hundert demonstrierende Anhänger:innen und brüllt: «Ich bin unschuldig!» Bis zuletzt behauptet er steif und fest, gegen ihn sei «die Justiz politisch genutzt» worden.

Doch nicht nur gegenüber der Justiz hatte Berlusconi keinerlei Hemmungen, demokratische Institutionen und Prozeduren zu delegitimieren. So zum Beispiel im Jahr 2006, nachdem seine Rechtsallianz die Parlamentswahl hauchdünn gegen das seinerzeit von Romano Prodi angeführte Mitte-Links-Bündnis verlor: Nur gut 30 000 Stimmen oder 0,07 Prozentpunkte trennten die beiden Lager. Für Berlusconi war der Befund sofort klar: «Viele Betrügereien» habe es bei der Auszählung gegeben. Fortan schwadronierten er und seine Gefolgsleute ohne irgendeinen Beleg davon, der Rechten sei der Sieg gestohlen worden – ganz so, wie es Trump vierzehn Jahre später tun sollte.

2008 eroberte Berlusconi die Regierung zurück – und musste erst im November 2011 erneut den Hut nehmen: Die Eurokrise beutelte auch Italien, bei den Staatsanleihen war der Zinsabstand gegenüber Deutschland auf über fünf Prozentpunkte geklettert, Berlusconi verlor eine wichtige Abstimmung im Parlament und reichte seinen Rücktritt ein. Schon wenige Jahre später deutete er auch diesen Moment um, redete auf einmal davon, er sei durch einen «Staatsstreich» aus dem Amt getrieben worden – orchestriert von Deutschland, Frankreich, der EU und der Europäischen Zentralbank. Beweise blieb er auch hier schuldig. Ihm genügte seine eigene Welt «alternativer Fakten», mit denen er systematisch das Vertrauen in die demokratischen Institutionen untergrub.

Eine lange Reihe von Versprechen

In einem Punkt allerdings unterschied sich Berlusconi deutlich von all jenen, die nach ihm auf Populismus setzten – von Trump genauso wie von der AfD, der spanischen Vox, den Schwedendemokraten oder auch von seinen jüngsten Allianzpartner:innen Giorgia Meloni und Matteo Salvini. Sie alle setzen darauf, Ängste zu schüren und ihre Wähler:innenschaft gegen imaginierte äussere Feinde in Stellung zu bringen, gegen Migrant:innen oder auch die EU. Berlusconi dagegen bot optimistischen Schönwetterpopulismus, der vordergründig vielmehr von Verheissungen lebte. Für seine Wähler:innen hatte er Versprechen ohne Ende, wollte er «ein neues italienisches Wunder» ins Werk setzen: mit «einer Million neuen Arbeitsplätzen», «weniger Steuern für alle», mit einer Verdoppelung der Mindestrenten oder der Abschaffung der Grundsteuer auf selbst bewohntem Eigenheim.

Dass sich dieser Schönwetterpopulismus überlebt hat, musste in den letzten Jahren selbst Berlusconi zur Kenntnis nehmen. Früher war seine Forza Italia die stärkste Kraft im italienischen Rechtsbündnis, in ihren besten Jahren kam sie auf 30 Prozent. Doch das Gros seiner Gefolgschaft war schon in den vergangenen Jahren abgewandert, erst zu Salvinis Lega, die bei den Europawahlen 2019 mit ihrer Hetze gegen Ausländer:innen 34 Prozent holte – und dann zu Melonis Fratelli d’Italia, die bei den Parlamentswahlen 2022 rund 26 Prozent einfuhr, während Forza Italia auf 8 Prozent absackte.

Niemand in Italien mag darauf wetten, dass Forza Italia ihren Gründer überdauert. Wahrscheinlicher ist, dass ihre Vertreter:innen ihr Heil in den Reihen Melonis und Salvinis suchen – und die Wähler:innen es ihnen gleichtun werden. Doch auch wenn seine Spielart des Populismus der Vergangenheit angehört, so bleibt Berlusconi doch das zweifelhafte Verdienst, als erster Populist in einer westlichen Demokratie die Regierungsmacht errungen zu haben.