Pop: Ohne uns
Die Luzerner Band Film 2 hat drei Versionen ihres neuen Albums «Sorge*» veröffentlicht, das aus einem einzigen Song besteht. Hören kann man es nur auf Vinyl oder bei Vollmond und Neumond im Netz. Warum so geheimnisvoll?
Wieder führt der Weg ins Internet, auf eine schlicht eingerichtete Seite, und wieder muss man warten: bis Vollmond ist oder Neumond, damit man «Sorge*», das neue Album der Luzerner Band Film 2, hören kann. Das ist noch seltener als beim Vorgänger «Unbewusste Liebe» (2020), der dort immerhin zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang abgespielt wird. Auf den Streamingplattformen allerdings: nichts davon, nur ein paar vereinzelte frühere Songs. Ob sie sich lieber der Natur unterordneten als dem Markt? «Ach was», meint Gitarrist und Sänger Elischa Heller, «das ist doch eher eine Aneignung.» Das aber schon: den Streamingriesen entgehen, eigene, neue Wege finden, Musik zu veröffentlichen. Es gehe nicht darum, als Künstler möglichst zu verschwinden, sagt Heller, auch wenn das natürlich ein reizvoller Gedanke sei. Am Ende seien sie doch da, physisch an Konzerten oder auch im Internet – nur eben anderswo.
Die Arbeit an «Sorge*» ist auch abgesehen davon eine Auseinandersetzung mit Produktionsprozessen. Es gibt das Album in drei Versionen, die jeweils eine Aufnahme des ungefähr vierzigminütigen Stücks «Welt» beinhalten, aufgenommen an jeweils drei Tagen: einmal in Biel bei Lukas Rutzen, Schlagzeuger der Band Omni Selassi, einmal in Zürich bei Domi Chansorn, einem Lieblingsproduzenten der Schweizer Indieszene, und einmal in Bern, von Elischa Heller selbst produziert. Kein Stück, von dem sie in einem Studio hundert Takes hätten spielen können, bis es sitzt – so haben sie sich das ausgedacht.
Sicher geht es darum, die Absolutheit einer Aufnahme zu hinterfragen, das ist das eine. Das andere aber auch, sagt Heller, einfach mal drei Tage miteinander zu verbringen, sich Zeit zu nehmen, auch viel zu hängen, zu reden, zu essen. Sie hätten «Welt» dann jeweils zwei-, dreimal pro Tag gespielt. Wer sich «Sorge*» digital oder auf Vinyl kauft – von jeder Version gibt es 33 Exemplare – oder auf der Website anhört, weiss jeweils nicht, um welche Version es sich handelt.
Falsches Setting
«Wir wissen ja, dass wir die Welt nicht retten», sagt Heller, aber eine blosse Spielerei sei ihr Ansatz dann doch nicht. Oder anders: «Es ist uns ernst genug, dass wir machen, worauf wir Lust haben.» Im Fall von «Sorge*» bedeutet das, diese Spielweise ganz auszukosten, also dem zu folgen, was sie im gemeinsamen Musikmachen eigentlich suchen, «diesem Energieaustausch, der beim Spielen im besten Fall passiert – uns zu synchronisieren». «Welt» sei also in dem Sinne kein Song, sondern etwas, das guttue zu spielen.
Und so hört sich diese Musik auch anders an als frühere Veröffentlichungen, die schneller, gradliniger, härter sind und vor allem vorwärts treiben. Auf «Welt» kehren Film 2 immer wieder zur gleichen, von Jonas Albrecht gemächlich getrommelten Figur zurück; nur langsam legen sich die Schichten von Hellers Gitarre und Elias Bieris Bass darüber; die Verzerrungen, Hellers Schreie, nur langsam gewinnt das Stück an Lautstärke, an Dichte. Die Wut von früher ist immer noch da, aber dumpfer. Hier ist auch viel Luft zum Atmen. Heller sagt: «Es geht darum loszulassen, damit sich etwas verändern kann. Auch wir selbst.»
«Sorge*» lässt die Künstler nicht verschwinden, im Gegenteil: Stehen doch ihr Spiel und ihre Lust darauf so stark im Mittelpunkt. Auch live bleibt das Stück introvertiert, die Musiker aufeinander bezogen, eine Art Meditation, der das Publikum beiwohnen kann. Erst zweimal ist das tatsächlich geschehen, einmal vor dem Aufnahmeprozess, 2021 noch, einmal danach, kürzlich an der Plattentaufe in einem Berner Lokal. Man könnte sich auch vorstellen, dass diese repetitive, auch spirituell anwendbare Musik an einem Goafestival ganz gut funktionieren würde, und sieht bei den lauten Momenten schon die Leute durchdrehen und rumspringen – aber Heller lacht: An einem Festival sei die Stimmung doch sowieso viel zu gierig, es brauche Ruhe davor und Ruhe danach. Keine «Welt» also für das Luzerner Festival B-Sides, an dem die drei letztes Wochenende gespielt haben: falsches Setting.
Ein politischer Akt
Wenn nicht verschwinden – welche Rolle kann, soll, muss man als Künstler:in einnehmen? «Sobald man sich irgendwo hinstellt, öffentlich wird, ist das ein politischer Akt», sagt Heller. Ab diesem Moment brauche es eine reflektierte Haltung, eine Idee davon, wie man sich positioniert, welchen Platz man einnimmt, wie man sich verhält. «Um eine Haltung zu haben, muss ich als Künstler lesbar sein. Uns ist es wichtig, einen Weg zu finden, wie wir uns damit wohlfühlen können.»
Für Film 2 heisst das mittlerweile auch, dass ein Werk nicht unbedingt eine Botschaft haben muss, um politisch zu sein – oder eine klare Anklage, wie etwa das Stück «Europa» (2019), dessen Release mit einer Kampagne der Seenotretter:innen von Sea-Watch verknüpft war. Heute sei die Form des Veröffentlichens auch eine Entscheidung dafür, nicht auf möglichst viel Aufmerksamkeit abzuzielen. Die einzige Gesangszeile, die auf «Sorge*» auszumachen ist: «Die Welt muss ohne uns.»
Live in: Biel, Pod’ring, 13. Juli 2023; Les Bois, Tartare de Miettes, 14. Juli 2023; Eggersriet, Sur Le Lac Festival, 11. August 2023.