Omni Selassi: Nochmals komplett zerrupfen
Ein Gefühl der Freiheit, wie es in einer romantischen Zweierbeziehung nie möglich wäre: Omni Selassi sind drei Jahre lang über europäische Bühnen gerasselt, nun erscheint ihr Debütalbum «Dance or Dye».
Irgendwie braucht es drei, um eine richtige Band zu sein. Es braucht mindestens drei Perspektiven, Mirko Schwab, einer der beiden Drummer der Band, nennt Omni Selassi bei der Frage nach ihrer internen Gruppendynamik metaphorisch auch eine Dreiecksbeziehung. Eine lustvolle, intensive Dreiecksbeziehung muss das sein – das spürt man an Omni Selassis Konzerten, im Gespräch und auf ihrem frisch erschienenen Debütalbum «Dance or Dye». Eine Band, die sich reinschmeisst in das, was sie tut, seit Tag eins.
Erst bei Konzerten zeige sich manchmal, wie ein Song gespielt werden wolle.
Tag eins, das war nur kurz vor dem 11. November 2019 und ihrem ersten Konzert in der Dampfzentrale Bern, als die drei noch weit davon entfernt waren, ein fertig entwickeltes Set in petto zu haben. Rea Dubach, in Bern ausgebildete Jazzsängerin, brachte Lukas Rutzen aus Leipzig, der mit ihr an der Jazzschule studiert hatte, und Mirko Schwab aus Bern zusammen. Um sofort auf Tour zu gehen: Die Jazzplattform «Diagonales» machte dies möglich, auch wenn Omni Selassis Musik als Letztes in bestuhlte Jazzsalons passt. Ihre Gründungsgeschichte finden sie aber nicht wirklich spannend. Letztlich ging es ihnen darum, möglichst viel zu spielen. Sofern es die Pandemie erlaubte, rasselten und rasseln Omni Selassi seitdem über die Bühnen der Schweiz und Europas, mit Dubachs biegsamer Stimme, mal mit, mal ohne blubbernde Effekte, manchmal an der heulenden E-Gitarre, eingebettet in die treibenden Rhythmen und Polyrhythmen der beiden Schlagzeuge von Rutzen und Schwab.
Psychedelisch durch die Zeiten
Schaut man ihnen zu, hat man das Gefühl, ihr fein synchronisiertes Spiel habe telepathische Elemente. Die sichtbare und unsichtbare Kommunikation der drei macht sie als Liveband so gut: ihre Hingabe für- und der Spass aneinander. Sie loten sich gegenseitig aus und transportieren dadurch etwas, das – im Bild von Beziehungsdynamiken – eine romantische Zweierbeziehung nie könnte. Ein Gefühl der Freiheit, im mehrstimmigen Gemeinsamen, oszillierend zwischen Differenz und Symbiose. Ihre Musik klingt manchmal so: Wenn schon untergehen, dann wenigstens als Gang. Und zwei Schlagzeuge sind einfach besser als eins, wie es eine Kollegin kürzlich formulierte.
Erst jetzt, nach drei Jahren Tour und Treffen in abgeschotteten Ecken der Schweiz, um dort zu proben, geben Omni Selassi «Dance or Dye» heraus. Das Spektrum an musikalischen Referenzen geht rückwärts durch den Postrock der 2000er, ohne Angst vor Pompösem, beispielsweise erinnern sie an «Godspeed You! Black Emperor», nur brachialer. Sie wüten durch die Indie-Neunziger bis zu Gitarrenriffs der Siebziger, immer verspielt, aber sich reinkniend, ein psychedelischer Hexenritt durch die Zeiten zurück und in zeitgenössischen Noise hinein. In «D111nger» kann man Echos von Jenny Hval hören, in «XVT (Onîhanîghâ)» klingt nicht nur der Titel, sondern auch die metallene Perkussion ein wenig wie die indonesische Experimentalband Senyawa – obwohl das Wort eigentlich dadaistischer Berner Dialekt ist, ein Überbleibsel eines Refrains, der auf dem Album nicht mehr existiert: «Ohni hani gha».
Hört man das Album von hinten nach vorne, eignet es sich in seinem Aufbau sogar für den frühen Morgen: «A Child in It’s Water» beginnt mit leichter Perkussion und sphärischen Synth- und Saxofonklängen, die präzis phrasierende Stimme Dubachs weckt behutsam die Nerven. Track um Track bringen Omni Selassi den Körper in manische Fahrt, und plötzlich geht eine milde, aber melancholische Sonne auf, wenn der eine Popsong des Albums, «Frenchsong», erklingt. «J’aimerais sentir sincère ou si non, plus jamais» (Ich möchte auf ehrliche Weise fühlen, und wenn nicht, nie mehr), singt Dubach ohne Angst vor Kitsch. Vielleicht singt sie auch ganz etwas anderes. «Falsch» hörte nicht nur die Autorin dieses Textes den Refrain von «Horses They Run Too», sondern auch ein Bandmitglied: Nicht über drei, sondern über freie Pferde singt Dubach. Nicht eine Hymne über die eigene Band, sondern über das Gefühl des Gefangenseins, der Selbstrestriktion in einer Liebesbeziehung.
Wie über Lyrics erzählen, ohne den ganzen emotionalen Haushalt der letzten drei Jahre aufzurollen?, fragt sich Dubach. Intim sind ihre Texte nicht immer, manchmal ist sie inspiriert von Dingen, die ihr zufällig begegnen. Wichtig sind die Worte dennoch, auch wenn sie ihre Stimme oft eher wie ein Instrument einsetzt. «Words like ships», ein Zitat aus dem ersten Track des Albums, weist darauf hin: Ein Wort kann zum Container werden.
Rutzen erklärt, dass sie eben manchmal gar nicht verstehen würden, was der oder die andere beim Musikmachen meine. Es werde jedenfalls «nie identitär» bei ihnen; damit meinen sie ihren fluiden Umgang mit Kompositionen sowie mit ihren Positionen und Selbstverständnissen innerhalb der Band. «Rea war eins mit ihrem Text, aber für uns bedeutete er etwas anderes, und das ist okay so», sagt Rutzen. «Niemand muss bei uns ein Standing behalten», ergänzt Dubach. «Mir tut es gut, uns gegenseitig zum Loslassen zu bewegen. Mir gefällt das allgemein, dieses gemeinsame Leben und Erleben, ohne dass wir nun improvisieren würden.» In der ersten Phase sei es darum gegangen, zu spielen und das Material zu formen, «zu checken, was wir eigentlich machen», sagt Rutzen. Erst bei Konzerten zeige es sich manchmal, wie ein Song gespielt werden will.
Abgefuckt, aber in Form
Auch wenn ihr Zusammenspiel klingt, als komme es trotz aller Fragmentierung aus dem Bauch heraus, debattieren die drei viel über ihre Kompositionen. Es komme aber immer der Punkt, wo man es einfach ausprobieren müsse. Erstaunlich oft passiere es, dass sie Songs, die sie «zusammengestiefelt» und jahrelang auf eine Art gespielt hätten, «plötzlich nochmals komplett zerrupfen»: «Die letzten Jahre haben wir es so gedacht, aber jetzt lassen wir es los und machen es ganz anders», sagt Schwab.
Dieser freie Umgang mit Material spiegelt sich auch im Visuellen wider. In den sozialen Medien pflegt die Band eine eigene Ästhetik und Sprache: collagiert, wild, blinkend, leicht abgefuckt, aber in Form gebracht. Drei schlecht animierte Pferdchen springen über die Website der Band (also doch!), der Mauszeiger ist ein giftgrün-pinkes Kreuz, das klobig über die Seite schleift. Ein wichtiger Teil sei der Spassfaktor, denn sie alle würden nicht gerne auf sozialen Medien rumgammeln, sagt Schwab: «Wenn man es schon macht, warum nicht auf diesen Kanälen dieselben Ideen einfliessen lassen wie in der Musik?» Lesen fällt bei den unzähligen Spezialzeichen und dem Slang nicht ganz leicht, aber bietet als eine Art Rätsel Unterhaltung und sieht gut aus. Wie bei einem Post Anfang September, entziffern Sie selbst: «¿卄obby+profession? those [̲̅3] cringies making Ⴆυɾɠҽɾʂ und so tomorro for You !!»
Musikmachen ist eine Profession, die mit Unsicherheit verbunden ist, aber nur ein Hobby war es für die drei nie. Geldjobs haben sie alle keine mehr: Schwab hat seinen Lieblingsjob als Zeitungsausträger wegen des vielen Unterwegsseins verloren. Daneben ist er Redaktor beim Berner Kulturmagazin «KSB», er schreibt gelegentlich für die WOZ und arbeitet wie auch Dubach fürs Label Blaublau. Vor zwei Monaten hätte er das Panino, das er gerade vor sich hat, nicht bezahlen können, sagt er, aber gerade gehe es. Rutzen produziert zwischendrin Tracks für andere Musiker:innen, und für Dubach war es immer klar, dass sie auf die Musik als einzigen Beruf setzen will, auch wenn dies heissen könne, für eine Zeit untendurch zu müssen. Es sei jetzt aber nicht mehr so, dass sie jedem Gig zusage und sechs Projekte nebeneinander laufen habe. Mit Omni Selassi sei ihr Hunger nach einer Band gestillt. Für alle drei ist die Band eine Hauptbeschäftigung. Oder eine Art, zusammenzuleben.
Live: 27. Oktober 2022, Genf, L’Écurie; 28. Oktober 2022, Bern, Dachstock; 29. Oktober 2022, Zürich, Baby Angel; 26. November 2022, Nyon, Usine à Gaz.
Omni Selassi: «Dance or Dye». A Tree in a Field Records. 2022.