Protest des Reinigungspersonals: Zwanzig Minuten pro Zimmer

Nr. 25 –

Rassismus, Sexismus, Mobbing – und ständig im Stress: Es sind unhaltbare Bedingungen, unter denen meist migrantische Frauen die schweizerische Hotellerie in Schuss halten. Manche von ihnen setzen sich jetzt zur Wehr.

Flashmob beim Zürcher Hauptbahnhof zu unbezahlten Überstunden des Reinigungspersonals
Wer zu lange braucht, macht unbezahlte Überstunden: Flashmob beim Zürcher Hauptbahnhof.

Im Viersternehotel St. Gotthard, wenige Gehminuten vom Zürcher HB entfernt, fangen die Zimmerpreise je nach Saison bei 250 Franken pro Nacht an. Und gleich davor stehen auf dem Trottoir: ein aus Papier gebasteltes WC und daneben ein Klappbett.

Es ist der Morgen des 14. Juni, des feministischen Streiktags, und zwei Frauen in Schürzen, mit weisser Maske im Gesicht und Reiniger in der Hand «putzen» innert kürzester Zeit das «Zimmer». Sie entsorgen den Abfall, reinigen die Fenster, saugen, wechseln die Bettwäsche und die Handtücher aus. Lautlos kommt plötzlich die Vorgesetzte anmarschiert. Sie ist unzufrieden, herrscht die Reinigungskräfte an, dabei liegen diese schon erschöpft auf dem Boden. Meist junge Passant:innen bleiben stehen, filmen das Schauspiel mit ihren Handys. Manche applaudieren.

Ein «Ausbeutungssystem»

Es ist der erste von drei Flashmobs, die unter dem Motto «Mehr Lohn, mehr Respekt, mehr Zeit» von Unia-Mitgliedern für diesen Tag organisiert wurden. Rund hundert Personen ziehen gemeinsam durch Zürich, um auf ihre Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen: Sie protestieren gegen tiefe Löhne, Mobbing – und gegen den Zeitdruck in ihrem Beruf. Pro Zimmer haben die Reinigungskräfte lediglich zwanzig Minuten Zeit, egal wie dreckig es ist. Wer länger braucht, macht unbezahlte Überstunden. Und wer sich darüber beschwert, muss mit der Kündigung rechnen.

Schon 2018 gab es in Zürich einen Streik der Reinigungskräfte, damals richteten sich die Vorwürfe gegen die Marriott-Gruppe. Heute, so betonen die Protestierenden, gehe es hingegen nicht um ein bestimmtes Hotel – auch wenn sie den letzten ihrer drei Flashmobs vor dem teuren «25hours Hotel» an der Langstrasse aufführen. Schliesslich gehe es nicht um «bedauernswerte Einzelfälle», sondern um ein flächendeckendes Problem in der Branche. Es betrifft vor allem Migrantinnen: In diesem Job arbeiten kaum Männer und noch weniger Schweizer:innen.

Ein zentrales Problem bestehe darin, dass die Reinigungsarbeiten von den Hotels konsequent ausgelagert würden, kritisiert die Unia. Anstatt eigene Mitarbeiter:innen anzustellen, vergeben die Hotels die Arbeit meist an kleine Reinigungsfirmen, die auf dem Rücken der Frauen untereinander einen harten Preiskampf austragen. Die Hotels, die oft selbst unter ökonomischem Druck stehen, zahlen pro Zimmer; die Reinigungskräfte hingegen arbeiten im Stundenlohn; gemäss Gesamtarbeitsvertrag beträgt dieser in der Deutschschweiz mindestens 20.20 Franken, sagt die Unia. Damit Profit generiert werden kann, müssen Reinigungskräfte innerhalb kurzer Zeit so viele Zimmer wie möglich schaffen.

In Zeitnot könnten die Ansprüche der Hotelgäste nicht immer erfüllt werden, erzählen die Frauen. Dies könne zu Reklamationen führen und zur Kündigung. Es sei ein «Ausbeutungssystem», sagen mehrere von ihnen.

Angst vor der Arbeit

Rückblick: Zwei Wochen vor dem Streiktag proben Reinigungskräfte in einem Unia-Büro in Zürich ihre Performance. Auch Jolanda Cesari und Alessandra Mordasini sind hier. Beide Frauen heissen eigentlich anders, sie müssen anonym bleiben, um nicht um ihre Jobs in Luxushotels fürchten zu müssen. Beide sind alleinerziehende Mütter – und von ihren Jobs hängt auch die Aufenthaltsbewilligung ab. «Ich habe kaum Geld, und ich habe die ganze Verantwortung», sagt Cesari. «Immer ruhig bleiben und schaffen, nicht reklamieren.»

Cesari und Mordasini haben Festanstellungen bei Subunternehmen mit einem tiefen Stundenansatz, und sie müssen auf Abruf bereit sein, um die kurzfristigen Schwankungen in diesem Gewerbe aufzufangen. Ihre Dienstpläne erhalten sie oft erst kurz vor dem Einsatz. Die Unia weiss von Frauen, die in manchen Monaten 250 Stunden arbeiten, in anderen 5 pro Woche.

Schmerzende Glieder gehören zum Berufsrisiko, und oftmals haben die Frauen mehrere Anstellungen gleichzeitig, um am Ende des Monats doch nur auf einen Gesamtlohn von 4000 Franken zu kommen. Cesari und Mordasini leben schon seit Jahren in der Schweiz, aber zum Deutschlernen hatten sie kaum Zeit. Neben Rassismus habe sie auch sexuelle Belästigung erlebt, erzählt Cesari. Darüber reden möchte sie nicht – das Verfahren ist noch hängig. Rückhalt von ihrem Chef habe sie nicht erhalten, sagt sie nur. Und Mordasini berichtet von Beleidigungen wie «dumme Frau» oder auch von Trinkgeld, das von Vorgesetzten eingesteckt werde. Oder von Mogeleien bei der Zeiterfassung. Vorgesetzte würden auf Reklamationen nicht reagieren, erzählt sie.

Beide Frauen berichten davon, dass sie Angst empfinden, bevor sie zur Arbeit gehen, eine von ihnen sogar von Panikattacken. Krankschreiben lassen sie sich aber nicht. Schliesslich müssten dann ihre Kolleg:innen mehr arbeiten – und wenn sie nicht rasch genug gesund würden, drohe die Kündigung.

An diesem Streiktag stellen die Protestierenden vor allem zwei Forderungen: Anstatt für Subunternehmen zu arbeiten, wollen sie Festanstellungen direkt bei den Hotels. Und sie wollen Respekt von ihren Vorgesetzten, wie auf den Plakaten zu lesen ist. Darüber hinaus wünsche sie sich von den Hotelgästen, dass sie ihre Zimmer nicht mit Müll übersät zurückliessen, sagt eine Frau, «das wäre eine Wertschätzung unserer Person». Sie hebt den Arm, ballt die Faust und schreit: «Alerta, alerta, feminista!»