Fahrende: Odyssee durchs Waadtland
Seit Jahren herrscht ein eklatanter Mangel an Halteplätzen für Fahrende. Ein aktuelles Beispiel zeigt: Besonders für jene aus dem Ausland ist die Situation unhaltbar.
Wie abgemacht hatten sie die tägliche Standmiete für Wasser und Strom in Yverdon-les-Bains bezahlt. Da es sich beim Grundstück neben dem Rugbyplatz aber nur um eine Übergangslösung handelte, hätten die Fahrenden aus Frankreich und Spanien das Gelände bereits am 2. August verlassen müssen.
Als die rund 25 Wohnwagen am Tag darauf noch immer auf dem Platz standen, begann ein Theater, wie man es auch von anderen Orten kennt: Erst stellte die Gemeinde das Wasser ab, tags darauf blockierte sie den Zugang zum Gelände und reichte schliesslich eine Anzeige ein. Am 13. August verliessen die Fahrenden den Platz. Laut einem Gemeindebeamten haben sie ein «völlig makelloses Feld» hinterlassen. Und was schlug man ihnen als Alternative vor? Den Transitplatz in Rennaz – der allerdings seit Wochen voll ist.
Gefragter denn je
In der Schweiz besteht nach wie vor ein krasser Mangel an Halteplätzen für Fahrende, besonders für jene aus dem Ausland – obwohl die Kantone laut einem Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2003 dazu verpflichtet wären, genügend zur Verfügung zu stellen. Diesen Sommer hat sich die Situation zugespitzt: Kaum je waren so viele Fahrende aus dem Ausland unterwegs – besonders in der Waadt. Vassilis Venizelos (SP), der zuständige Regierungsrat, nannte im Westschweizer Fernsehen RTS folgenden Grund dafür: gute Verdienstmöglichkeiten – unter anderem hervorgerufen durch den steigenden Mangel an Arbeitskräften.
Fahrende aus dem Ausland sind in der Waadt gefragter denn je. Ob bei Renovationen oder Reparaturen, für Gartenarbeiten, auf dem Bau oder als Programmierer: Einige haben sich einen festen Kundenstamm aufgebaut. Nur: Wenn es darum geht, einen Halteplatz zu finden, wird es schwierig. Im ganzen Kanton gibt es nur einen Transitplatz: den in Rennaz. Und selbst dort haben nur 42 Wohnwagen Platz.
Gesamtschweizerisch stehen sieben Transitplätze mit insgesamt 220 Stellplätzen zur Verfügung. Laut der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende bräuchte es zusätzlich zehn Plätze mit je 20 bis 40 Stellplätzen. Für viele Fahrende aus dem Ausland hat es keinen Platz. «Das entspricht quasi einem Halte-, wenn nicht gar einem Durchreiseverbot», schreibt die Gesellschaft für bedrohte Völker in einem Bericht zum Thema. Ein grosser Teil der erwerbstätigen Reisenden muss daher auf sogenannte Spontanhalte ausweichen – eine Praxis, die in der Regel ohne Zwischenfälle abläuft. Kommt es jedoch zu Konflikten mit Landbesitzenden oder Behörden, werden solche Halte medial oft als «illegale Besetzungen» bezeichnet – was wiederum antiziganistische Vorurteile schüren kann.
Auch in Penthalaz, wo die Gruppe, die Yverdon-les-Bains verlassen musste, zunächst neben einem Fussballplatz haltmachte, waren sie nicht willkommen. Der lokale Verein beklagte sich über die «untragbare Situation» kurz vor Meisterschaftsbeginn. Bereits am nächsten Tag forderte die Gemeinde den sofortigen Auszug. So musste die Gruppe am 15. August auch Penthalaz verlassen. Nächste Station: Echallens – doch auch dort beantragte der zuständige Gemeindebeamte inzwischen einen Wegweisungsbefehl.
Gekürzte Fördergelder
Wie weiter? Der Transitplatz in Rennaz ist voll, der kleinere Stellplatz in Lausanne seit Monaten überfüllt. Sicherheitsdirektor Venizelos will trotzdem keinen zweiten Transitplatz im Kanton schaffen. Bis dieser benutzbar wäre, würde es «vier bis fünf Jahre» dauern, sagte er gegenüber «24 heures». Vielmehr schweben ihm kleinere Flächen mit höchstens zwanzig Stellplätzen vor, wovon er sich auch weniger Spannungen mit der Nachbarschaft erhofft. Hierfür habe man bereits einen Dialog mit den Gemeinden eingeleitet. Ziel sei es, schon 2024 solche Plätze anzubieten. Ob das etwas bringen würde, ist allerdings fraglich: Ausländische Fahrende sind oft in grösseren Verbünden mit mehr als zwanzig Wohnwagen unterwegs.
Zusätzliche Transitplätze wären umso nötiger, als diverse Kantone begonnen haben, ausländische Fahrende von Halteplätzen mit Schweizer Fahrenden wegzuschicken, mit dem Argument, dass die kulturellen Unterschiede oft zu Konflikten führten. Diese Praxis verstösst allerdings gegen das Verfassungsrecht. Hinzu kommt, dass es für Halteplätze für Schweizer Fahrende auch Bundesgelder gibt. Nicht aber für Transitplätze. Unter Federführung des Bundesamts für Kultur (BAK) wurde 2018 zwar eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit dem Ziel, finanzielle Anreize für Kantone und Gemeinden zur Errichtung von überregionalen Transitplätzen zu schaffen. Das entsprechende Raumplanungskonzept soll voraussichtlich diesen Winter in die Vernehmlassung kommen.
Wie gering das Interesse der Kantone und Gemeinden an einer stärkeren Beteiligung ist, offenbarte sich erst kürzlich: Mitte Juli kündigte der Bund in seiner Kulturbotschaft für die Jahre 2025 bis 2028 an, die Fördergelder zur Errichtung von Halteplätzen kürzen zu wollen. Die Begründung: Gemäss BAK haben Kantone und Gemeinden jeweils nur einen Teil der Gelder bezogen – und schieben sich die Verantwortung weiter gegenseitig zu.
Für die Fahrenden aus dem Ausland geht die Odyssee weiter.