Wohnungsnot: Falsche Propheten

Nr. 34 –

Vergangene Woche wurde für Basel und Zürich die aktuelle Leerwohnungsziffer publiziert: In beiden Städten ist sie gesunken. In Basel liegt sie neu bei 1,1 Prozent, in Zürich bei 0,07 – mehr als 1 Prozent beträgt sie in fast keiner Stadt der Schweiz. Trotzdem gibt die Wohnungsnot im Wahljahr nur wenig zu reden. Tut sie es dennoch, dann meist im Sinne einer Exegese: Was ist los mit dem Markt? Und wie können wir Investor:innen, diese sensiblen Wesen, dazu bewegen, wieder Wohnungen für uns zu bauen?

Für die Bürgerlichen und ihre Propheten (die Immobilienanalyst:innen) ist klar: Alles eine Frage der Zinsen und der Regulierungen! Ihre Analysen sind nicht falsch. Aber sie entpolitisieren die Wohnungsfrage, indem sie den Markt zur Naturgewalt erheben.

Schon 1872 diskutierte Friedrich Engels die in fast allen europäischen Städten grassierende «Wohnungsnot». Seine Analyse ist erstaunlich aktuell: Der Markt verspreche zwar, die Not beheben zu können, profitiere aber vor allem von ihr: Wird zu viel gebaut, sinken die Preise, weil sich die Verhandlungsposition der Mieter:innen verbessert. Ein bisschen leiden müssen sie halt. In den letzten fünfzig Jahren betrug die Leerwohnungsziffer in der Schweiz im Schnitt gerade einmal 1,07 Prozent – weniger als heute.

Die Wohnungsfrage wieder zu politisieren, hiesse, radikale Antworten zu verlangen. Die Stadtzürcher SP etwa kann noch so lange Wahlkampf mit dem Slogan «Endlich mehr bezahlbare Wohnungen» machen, als wäre sie Oppositionspartei. Wenn sie das Problem auf kommunaler Ebene wirklich lösen könnte, hätte sie das mit ihrer linken Mehrheit längst getan.

Zynismus aber wäre fehl am Platz. Initiativen, wie sie in den letzten Jahren in Basel umgesetzt wurden, und die jetzt im Kanton Zürich lancierte «Wohnschutzinitiative» können Abhilfe schaffen: Letztere will Mietsprünge nach Sanierungen und Ersatzneubauten beschränken. Letztlich bleibt das aber Flickwerk. Der Markt konnte das Problem in den letzten 150 Jahren offensichtlich nicht lösen: Dieses Scheitern bietet Angriffsfläche. Man muss sie nur nutzen.