Thomas Kuczynski (1944–2023) : Marx forever
Als Wissenschaftler hat ihn seine Herkunft lange Zeit eher behindert. Sein Vater Jürgen Kuczynski (1904–1997) war einer der führenden Historiker der Arbeiterbewegung und nach der Rückkehr aus dem englischen Exil im DDR-Wissenschaftsbetrieb durchaus einflussreich. Dagegen wirkte der 1944 noch im Exil geborene Sohn Thomas Kuczynski lange Zeit im Hintergrund, von 1972 bis zu dessen Abwicklung 1991 am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Dabei versuchte er, die notorisch unter politischer Bevormundung leidende gesamtwirtschaftliche Volksrechnung der DDR mit statistisch-mathematischen Mitteln zu modernisieren. Einem Versuch, die marxsche Arbeitswerttheorie mit der Berücksichtigung des Produktionsfaktors Natur zu erweitern, blieb vorerst das Echo versagt.
Nach der Auflösung der DDR arbeitete Kuczynski als freier Wissenschaftler und Publizist. Bekannt wurde 1999 eine Studie, in der er die Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im deutschen Faschismus anhand der dadurch erzielten Gewinne der beteiligten Grossunternehmen errechnete. Verschiedentlich gab er Marx-Schriften in Fassungen «letzter Hand» neu heraus, 2018 den ersten Band des «Kapitals». Es war eine philologische Fleissleistung, eine dadurch erhoffte Popularisierung der Marx-Lektüre hingegen misslang.
Jahrelang schrieb Kuczynski für die – soeben eingestellte – politische Vierteljahreszeitschrift «Lunapark 21», mit umfassendem historisch-ökonomischem Wissen. Immer wieder erinnerte er verdienstvoll an dominierende kapitalistische Strukturen in der Weltwirtschaft, wobei er zwanglos seinen Marx zu Wort kommen liess. Noch den Vorschlag für eine reformistische Steuerpolitik vermochte er mit einer – plausiblen – Marx-Paraphrase zu begründen.
Letztlich hielt Thomas Kuczynski am US-Kapitalismus und US-Imperialismus als Hauptfeind fest und sah Europa, undifferenziert, als dessen «Vasallenstaat» – so schrieb er dann, bei expliziter Ablehnung von Putins Angriff auf die Ukraine, von einem von den USA «angeheizten Stellvertreterkrieg gegen Russland» und sogar «gegen die EU» im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf. Die darin sichtbar werdende Zerspaltung der Linken ist eine weitere, existenziell nicht so wichtige, aber doch elende Konsequenz von Putins Angriffskrieg.
Am 19. August ist Thomas Kuczynski mit 78 Jahren gestorben.