Ecuador: Der heimliche Wahlsieger
Während sich erst am 15. Oktober herausstellt, wer Ecuador die nächsten achtzehn Monate ad interim regieren wird, steht ein Gewinner schon fest: der Yasuní-Nationalpark, der dauerhaft vor der Zerstörung durch Erdölförderung geschützt wird.
Am 15. Oktober findet in Ecuador die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Antreten wird zum einen Luisa González, die sich als politische Nachfahrin des wegen Korruptionsvorwürfen in Ungnade gefallenen linkspopulistischen Expräsidenten Rafael Correa inszeniert; zum anderen der Überraschungskandidat Daniel Noboa, Kind des reichsten Mannes Ecuadors, der als neoliberaler Geschäftsmann die Förderung internationaler Investitionen bei gleichzeitiger Militarisierung der Grenze propagiert. Anlass der Wahl ist die Auflösung des Parlaments durch den aktuellen Präsidenten Guillermo Lasso im Mai dieses Jahres, der damit einer parlamentarischen Untersuchung gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen entgehen konnte. Gewählt wird das Staatsoberhaupt nur für achtzehn Monate, danach finden die regulären Neuwahlen statt.
Im Wahlkampf dominiert die nationale Sicherheitskrise, tragisch versinnbildlicht durch Fernando Villavicencio, den Präsidentschaftskandidaten, der furchtlos die Verbindungen zwischen Drogenkartellen und Politik anklagte und daraufhin auf offener Strasse erschossen wurde. Etwas in den Hintergrund gerückt ist derweil die Diskussion um den Yasuní-Nationalpark. Parallel zum ersten Wahlgang hatte die Stimmbevölkerung am 20. August in einem Referendum beschlossen, dort die Rohölförderung zu verbieten, und damit der Umweltgerechtigkeitsbewegung einen grossen Sieg beschert.
Erkämpftes Referendum
Die Positionen der beiden Finalist:innen zum Referendum folgten dabei so gar nicht den erwartbaren Schemata. So vertrat die linke Luisa González die Ansicht, dass die Einnahmen der Erdölförderung in Bildung und Sicherheit investiert würden und deshalb für das Wohl der Gesamtbevölkerung unabdingbar seien, auch wenn dieses Narrativ schon während Correas Amtszeit nicht der Wahrheit entsprach. Ganz anders warb Noboa entgegen den Interessen der eigenen Klientel für ein Ja zum Referendum, da Erdölförderung im Nationalpark auch aus ökonomischer Sicht uninteressant sei. Alexandra Almeida, Umweltaktivistin und Mitinitiantin des Referendums, sieht darin aber weniger ein genuines Interesse Noboas an der Umwelt denn puren Opportunismus: «Noboa ist ein intelligenter Mann und hat schnell verstanden, dass der Nationalpark heimlicher Entscheidungsträger dieser Wahlen sein wird.» Wer sich gegen dessen Schutz ausspreche, müsse nämlich auf die Stimmen sowohl der jungen urbanen als auch der indigenen Bevölkerung verzichten.
Der Yasuní, mit 10 000 Quadratkilometern doppelt so gross wie der Kanton Bern, ist Unesco-Weltnaturerbe, einer der Orte der Welt mit der grössten Biodiversität und Heimat indigener Gemeinschaften, die sich seit Jahrhunderten dem Kontakt zur Aussenwelt widersetzen. 1979 zum Nationalpark erklärt, steht er für den politischen Widerspruch zwischen Naturschutz einerseits und Rohstoffförderung als nationaler Entwicklungsstrategie andererseits. Dieser gipfelte 2007 darin, dass der damalige Präsident Correa die Staatengemeinschaft aufforderte, Ecuador dafür zu bezahlen, das Erdöl im Boden des Nationalparks zu lassen. Die Idee sorgte für Furore, brachte aber nicht genug Geld ein, sodass Correa 2013 Teile des Yasuní zur Erdölförderung freigab.
Almeida und ihre Mitstreiter:innen aus andern Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus dem ganzen Land schlossen sich daraufhin zum Kollektiv Yasunidos zusammen mit dem Ziel, durch ein Volksreferendum die Unversehrtheit des Parks ein für alle Mal festzuschreiben. Es gelang ihnen, weit mehr als die erforderliche halbe Million Unterschriften zu sammeln. Der politisch befangene nationale Wahlrat wollte aber nur die Hälfte als gültig anerkennen. Die darauffolgende juristische Auseinandersetzung um die Gültigkeit dauerte vier Jahre, nur damit derselbe Wahlrat 2019 feststellte, dass die Abstimmung nun hinfällig sei, da ja schon längst Erdöl im Yasuní gefördert werde. Nach weiteren vier Jahren entschied das Verfassungsgericht als oberste Instanz dann aber ganz anders: Es müsse so schnell wie möglich abgestimmt und bei einem Ja die bestehende Förderinfrastruktur wieder abgebaut werden.
Mit Argumenten gegen die Angst
Almeida und ihre Mitstreiter:innen starteten nach diesem Entscheid eine Abstimmungskampagne, die nicht zuletzt auf die unzähligen Basisbewegungen im ganzen Land setzte, die auf kreative Art die Wichtigkeit des Referendums vermittelten. Die aktuelle Regierung und die wirtschaftliche Elite schürten dagegen Ängste vor ökonomischen Einbussen.
Laut Almeida war für den Erfolg entscheidend, dass Ecuadors Zivilbevölkerung in den letzten Jahrzehnten ein Umweltbewusstsein entwickelt habe: «Der Yasuní-Nationalpark ist zu einem nationalen Symbol für die Schönheit und universelle Wichtigkeit der Natur geworden.» Sie schaut deswegen auch dem 15. Oktober entspannt entgegen. «Wir werden weiter Druck ausüben», verspricht sie. Beide Kandidat:innen könnten es sich bei einer Wahl nicht leisten, das Referendum zu missachten.