Ecuador vor den Wahlen: Wie viel Staat braucht das Land?
Ecuadors Präsident Rafael Correa tritt am Sonntag zur Wiederwahl an. Im Wahlkampf wird vor allem die Rolle des Staats neu verhandelt. Der Einfluss von basisnahen und indigenen Organisationen wird weiter vermindert.
Zwischen Rafael Correa und den linken und indigenen Bewegungen Ecuadors gab es nie eine innige Verbindung. Schon bei seiner ersten Kandidatur 2006 hatte der Präsident Ecuadors weder die Unterstützung des linken Movimiento Popular Democrático (MPD) noch der Indigenenorganisation Pachakutik genossen. Die beiden Parteien hatten ihre eigenen Kandidaten aufgestellt, erzielten aber insgesamt nur magere 3,5 Prozent der Stimmen. Correa zog mit der eigens für die Präsidentschaftswahlen gegründeten Alianza PAIS in die Wahl, kam als Zweitplatzierter in die Stichwahl und setzte sich schliesslich – dann auch mit der Unterstützung von Pachakutik und MPD – gegen den Kandidaten der Rechten durch. Bei den Wahlen nach der Verfassungsänderung 2008 gewann Correa schon in der ersten Runde.
Ecuadors Politik ist geprägt von der Frage, welche Kompetenzen dem Staat zukommen sollen. Während Correa in allen Bereichen einen starken Staat will, setzen linke, gewerkschaftliche und indigene Bewegungen auf die Autonomie ihrer Organisationen und fordern eine gleichberechtigte Mitsprache. Der Präsident erkennt diesen Anspruch aber nicht an. Politik machen und Massnahmen umsetzen seien Aufgaben der gewählten VolksvertreterInnen und damit letztlich des Staats.
Gute Ausgangslage
Den oppositionellen Linken und indigenen Organisationen unterstellt er, lediglich partikulare Interessen zu vertreten. Diese wiederum werfen dem Präsidenten Ignoranz, Selbstherrlichkeit und Autoritarismus vor. Doch diese Vorwürfe perlen an der Präsidentenschärpe ab – auch deshalb, weil Correa selbst nie ein linker Aktivist war und ihm das Verständnis für basisdemokratische Entscheidungen abgeht.
Correa ist der Macht- und Machertyp, dem das Regieren Spass macht und der sich oft gleich selbst um die Umsetzung der politischen Entscheide kümmert. Das kommt beim Grossteil der Bevölkerung gut an, und er weiss, dass ihr Wunsch nach politischer Stabilität für ihn spricht. Nach den vorzeitigen Amtsenthebungen von vier seiner Vorgänger in den letzten sechzehn Jahren ist Correa das erste Staatsoberhaupt, das seine Amtsperiode zu Ende führen wird.
Scharf wacht Correa darüber, dass er die Kontrolle über sein Land nicht verliert. Jede Form von sozialem Protest und Aufmüpfigkeit wird aufmerksam registriert und – falls von ihm als notwendig erachtet – mit polizeilichen und juristischen Mitteln unterbunden.
Mit dem Machtantritt von Correa und der Rückkehr zu einem starken Staat lösten sich auch die gesellschaftlichen und politischen Verbindungen zwischen den urbanen Mittelschichten und den indigenen und ländlichen Bewegungen allmählich auf. In den neunziger Jahren hatte ein grosser Teil der kritischen Mittelklasse noch zusammen mit der indigenen Bewegung gegen den Neoliberalismus gekämpft. Jetzt stellt sie sich hinter Correa und begreift dessen Politik als ihr Projekt. Zudem vermochte Correa sowohl konservative Kreise als auch Teile der gespaltenen Linken in seine Regierung einzubinden und die Ministerposten geschickt zu verteilen. So bildete er einen starken Block der Mittelschichten.
Nie zuvor in der Geschichte Ecuadors verfügte ein Präsident über einen solch finanzkräftigen Staatshaushalt wie Correa. Nach Angaben des Finanzministeriums steckte die Regierung Correa von 2007 bis Ende 2012 rund 25,5 Milliarden US-Dollar in öffentliche Investitionen – viermal mehr als die vier Vorgängerpräsidenten in den Jahren 1998 bis 2006 zusammen. Ein Grund ist der gestiegene und anhaltend hohe Weltmarktpreis für Rohöl. Selbst die internationale Finanzkrise von 2008 überstand das Land dank der immensen Nachfrage aus China und Indien relativ schadlos. Hinzu kommen einige neuverhandelte Verträge mit Ölfirmen, die eine bessere Rendite gewähren. Am wichtigsten sind mittlerweile die erhöhten Steuereinnahmen, die sich die Regierung Correa durch eine Steuerreform gesichert hat. Mit seiner Ausgabenpolitik ist es Correa gelungen, städtische Schichten für sich zu mobilisieren, welche die heute gespaltene Linke nie erreicht hatte und die zuvor in der Regel für die Rechte stimmten. Allen voran in seiner Heimatstadt Guayaquil in der Provinz Guayas, in der rund dreissig Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung leben.
Autonomie des Staates
Der Wahlkampf dreht sich stark um die natürlichen Ressourcen. Die grossen Auseinandersetzungen drehen sich aber nicht um die Frage, wie damit umzugehen sei, sondern wer die Kontrolle darüber haben soll. Nach Correas Auffassung ist das der Staat. Damit drängt er den Einfluss von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) zurück: In den neunziger Jahren gab es fünf soziale Räte, die als Zugeständnisse an die Forderungen von Protestierenden eingerichtet wurden, darunter auch ein Rat der indigenen Völker und ein Rat der AfroecuadorianerInnen. Sie reglementierten die Forderungen der NGOs und waren vom Staat anerkannte Verhandlungspartner. Seit der neuen Verfassung von 2008 werden sie als Gleichberechtigungsräte bezeichnet und befinden sich noch immer in einem Übergangsstadium. Nach Correas Willen soll ihre Zuständigkeit an den Staat übergehen, doch die betroffenen Organisationen wehren sich dagegen.
Die Kooperation mit gesellschaftlichen Organisationen ist dem Präsidenten generell ein Dorn im Auge. Auch der Einfluss der Privatwirtschaft wurde durch eine grundlegende Reform beschnitten. Beispielsweise in der Exportpolitik: Handelten die privaten Exporteure die Rahmenbedingungen früher weitgehend unter sich aus, so gibt heute der Staat die generelle Ausrichtung der Exportpolitik vor.
Am deutlichsten wird der Konflikt um die Mitbestimmung gesellschaftlicher Organisationen beim Zugang zum Wasser. Nach der neuen Verfassung ist Wasser eine Ressource, die nicht privatisiert werden darf. Dazu müsste längst ein entsprechendes Gesetz vom Parlament verabschiedet sein. Der Entwurf ist weitgehend ausgehandelt, ein Konflikt besteht jedoch über den «plurinationalen Wasserrat», den die neue Verfassung verlangt. Die indigenen Organisationen fordern, dass darin nichtstaatliche Organisationen zu mindestens neunzig Prozent vertreten sein sollen. Dagegen sagt Correa, dass der Staat den Vorsitz übernehmen müsse. Entsprechend stemmt sich Pachakutik gemeinsam mit der Rechten im Parlament gegen das Gesetz.
Linke geschwächt
Die Präsidentschaftskandidatur von Guillermo Lasso ist für Correa ein Glücksfall. Der Mehrheitseigentümer der zweitwichtigsten Bank Ecuadors präsentiert sich als moderater Rechter. Correa hatte mit der Ankündigung im vergangenen November, die Sozialhilfe über eine Besteuerung der Bankengewinne zu erhöhen, das zentrale Wahlkampfthema frühzeitig vorgegeben. Lasso reagierte prompt, versprach Steuersenkungen und weniger staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. Correa konterte mit der Frage, wie denn ohne Steuereinnahmen die Aufgaben des Staates finanziert werden sollen. Seither dreht sich nahezu alles im Wahlkampf um die Frage: Will Ecuador den sozialen Verteilerstaat beibehalten, der das neoliberale Modell abgelöst hat, oder will es zu Letzterem zurückkehren?
Die oppositionelle Linke hat mit dieser Themensetzung bereits im Wahlkampf eine Niederlage eingesteckt. Alberto Acosta, der Kandidat der «Plurinationalen Koordination für die Einheit der Linken», eine Allianz aus sechs linken Gruppierungen – darunter Pachakutik und MPD –, versuchte vergeblich eigene Themen ins Zentrum des mediatisierten Wahlkampfs zu hieven. Zum Beispiel eine Änderung der Produktionsstruktur des Landes. Je nach ExpertInnenschätzung werden die Ölreserven in zwanzig bis vierzig Jahren erschöpft sein, und das nahezu ausschliesslich rohstoffexportierende Land wird in eine tiefe Krise geraten. Doch Correa setzt weiter auf den Rohstoffabbau und wird nach seiner Wiederwahl den forcierten Einstieg in den Bergbau im grossen Stil vorantreiben.
Mehrstündige Livesendungen
Correa wird laut Vorhersagen mindestens 45 Prozent der Stimmen gewinnen. Das hat nicht zuletzt mit seiner Propaganda zu tun. Kein Staat in Lateinamerika gibt gemessen am Staatshaushalt mehr Geld für Propaganda aus als Ecuador. An den Strassen stehen alle zehn Kilometer grosse Werbetafeln, auf denen die Fortschritte des Landes verkündet werden. Das wichtigste Instrument seiner medialen Präsenz ist der samstägliche Auftritt in der Sendung «Enlace Ciudadano» – eine nach dem venezolanischen Vorbild «Aló Presidente» produzierte, mehrstündige Livesendung. Über Funk und Fernsehen erklärt Correa seinen Landsleuten die Erfolge seiner Politik und verkündet die weitere Marschrichtung. Er kritisiert die politischen Gegner und geht unermüdlich gegen die oppositionellen Medien vor, die ihn seiner Meinung nach beleidigen oder seine Politik falsch darstellen. Kaum ein Tag geht vorbei, an dem nicht in Print, Funk oder Fernsehen eine präsidiale Gegendarstellung gefordert wird. Ein Trommelfeuer, das Wirkung zeitigt.
Keine Frauen zur Wahl
Am 17. Februar sind in Ecuador rund 11,5 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Neben dem Staatsoberhaupt wählt das Volk den Vizepräsidenten und die 137-köpfige Nationalversammlung.
Acht Kandidaten – acht Männer – stellen sich der Wahl zum Staatspräsidenten. Darunter der amtierende Präsident Rafael Correa, der Banker Guillermo Lasso, der 2005 als Präsident abgesetzte Lucio Gutiérrez sowie der gemeinsame Kandidat der oppositionellen Linken und der indigenen Bewegungen, der ehemalige Präsident der verfassunggebenden Versammlung Alberto Acosta.
Erwartet wird eine Wiederwahl von Rafael Correa. Gemäss Einschätzungen wird er die Wahl mit rund 45 Prozent der Stimmen bereits in der ersten Runde gewinnen. Ausreichend wären 40 Prozent plus eine Stimme, bei einem Abstand von 10 Prozent zum Zweitplatzierten. Offener ist die Wahl der Nationalversammlung und die Frage, ob Correa in Zukunft auf eine eigene Mehrheit bauen kann oder ob er wie bisher mit wechselnden Allianzen regieren muss.