Kino: Es wuchert wild und schön

Nr. 41 –

Filmstill aus «La chimera»
«La chimera». Regie und Drehbuch: Alice Rohrwacher. Italien, Frankreich, Schweiz 2023. Jetzt im Kino.

Nur ganz wenig Licht dringt von irgendwoher herein, spiegelt sich im Wasser und beleuchtet sanft die Wandmalereien. Es ist ein unmögliches Bild: Wir befinden uns in der unterirdischen Tempelkammer, bevor es den Grabräuber:innen gelingt, die Platte zu dieser anzuheben und die Luft hereinzulassen, die die seit 2000 Jahren verborgenen Malereien in wenigen Augenblicken verblassen lässt. «Diese Dinge sind nicht für die Augen von Menschen gedacht, sondern für jene der Seelen», sagte Italia (Carol Duarte) noch kurz zuvor, aber die Tombaroli lachten nur. Der jenseitig schönen Göttinnenstatue schlagen sie den Kopf ab, damit sie besser durch den schmalen Eingang passt. Neben der Grabungsstelle steht eine Ölraffinerie, am Horizont, unscharf, mehrere Bohrinseln.

Die Tombaroli, so singt der Troubadour dieses Films, erzielen mit dem Verkauf von etruskischen Grabbeigaben ein bescheidenes Einkommen. Hilfe erhalten sie von Arthur (Josh O’Connor, den man sich auch auf der Bühne des antiken Dionysostheaters vorstellen kann), ein chronisch schlecht gelaunter Brite mit der Gabe, die spirituell aufgeladenen Hohlräume unter der Erde zu fühlen. Im Gegensatz zu den Tombaroli, die direkt einem Pasolini-Film entsprungen scheinen, interessiert sich Arthur kaum für die weltlichen Früchte seiner Arbeit. Zwischen Erde und Unterwelt hofft er (wie Orpheus), eine verlorene Liebe wiederzufinden, bevor die protestierenden Stimmen der mit seiner Hilfe beraubten Seelen allzu laut werden.

War schon Alice Rohrwachers letzter Film, «Lazzaro felice» (2018), ein nie ganz entschlüsselbares Kunstwerk, das einen gleichwohl (und paradoxerweise) wissender und optimistischer in die Welt zurück entliess, ist es bei «La chimera» zweifelhaft, ob diese Rückkehr je wieder ganz gelingen wird. In allen Zwischenräumen dieses Films wuchert es, wild und schön: zwischen Mensch und Mensch, Gemeinschaft und Erde, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Ein roter Faden existiert, sogar buchstäblich, aber wo er hinführt, bleibt offen. Was ihn gespannt hält, kann nichts anderes als Magie sein.